Gelsenkirchen. In anderen Städten empfängt man Träger für mehrsprachige Kitas mit offenen Armen. Doch die Euphorie in Gelsenkirchen hält sich bislang in Grenzen.
Manchmal scheinen Welten zwischen Nachbarstädten zu liegen: Als vor etwa einem Jahr die Politik in Gladbeck den Weg freimachte für die erste türkisch-deutsche Kita in der Kommune, als die WAZ-Redaktion dort von den großen Vorschusslorbeeren berichtete, die das Projekt sowohl von der Verwaltung als auch der Politik bekam, da war die Idee einer bilingualen Kita auch Thema in der Gelsenkirchener Politik. Der Enthusiasmus hielt sich im Gegensatz zu Gladbeck allerdings stark in Grenzen.
Ali-Riza Akyol, führender Kopf der Wähler Initiative NRW (WIN) in Gelsenkirchen, wollte damals wissen, an welchen Kindergärten ein Angebot zur Förderung der Herkunftssprache unterbreitet wird. „Es gibt keine expliziten Angebote zur Förderung der Herkunftssprachen der Kinder“, antwortete man daraufhin aus dem Hans-Sachs-Haus.
Akyol interessierte aber auch, ob der Kommune Konzepte für bilinguale Kitas aus anderen Städten bekannt sind und, falls nein, ob sich die Stadt um solche Informationen bemühen kann. Die Antworten darauf - noch schmallippiger. „Nein“, hieß es jeweils kurz und bündig von der Stadt auf die Fragen. Angebote zur Förderung der Herkunftssprache seien konzeptionell nicht vorgesehen. Nicht erwähnt hat die Stadt, dass es mit der „Preschool Sunny“ Am Schifersberg eine englisch-deutsche Kita gibt – allerdings eine private.
Politiker: Gelsenkirchen hat „absolutes Desinteresse“ an dem Thema bilingualer Kitas
„Diese unbefriedigenden Antworten zeugen von einem absoluten Desinteresse an dem Thema“, sagt Akyol. Verstehen kann er das nicht. „Denn es ist doch unstrittig, dass man eine zweite Sprache besser beherrscht, wenn man in seiner Muttersprache gut ist.“ In der Tat wird durch Studien und Sprachexperten oft unterstrichen, dass das frühe Lernen der Herkunftssprachen weniger ein Hindernis, sondern vielmehr vorteilhaft für das Erlernen der deutschen Sprache sein kann.
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So heißt es beispielsweise im „Faktencheck Mehrsprachigkeit in Kita und Schulen“ des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache: „Die internationale Mehrsprachigkeitsforschung ist sich überwiegend einig, dass es Kinder nicht überfordert, wenn sie mehrere Sprachen in früher Kindheit lernen, und dies auch nicht dazu führt, dass sie keine der Sprachen gut beherrschen.“
Grünen-Politikerin: „Wir werden immer mehr zu einer mehrsprachigen Gesellschaft“
Dass man deswegen – gerade in einer Stadt wie Gelsenkirchen, in der so viele Kinder mit Migrationshintergrund leben – auf das Konzept einer mehrsprachigen Kita setzen sollte, findet deshalb nicht nur die WIN. Auch die Grünen halten die Förderung der Herkunftssprache im Kita-Alter für eine gute Idee. „Wir werden immer mehr zu einer mehrsprachigen Gesellschaft, gerade auch in Gelsenkirchen. Diese Realität sollte man nicht verkennen“, sagt Derya Halici, die für die Grünen im Integrationsrat sitzt.
„Die sprachliche Entwicklung ist in den ersten Lebensjahren entscheidend und ein wichtiger Beitrag für die Chancengerechtigkeit“, findet Halici. Denn gerade Kinder, deren Eltern nicht perfekt Deutsch sprechen, bräuchten „Sprachvorbilder“, mit denen sie sich gemeinsam über alles austauschen können. „Wenn die Eltern nicht perfekt Deutsch sprechen und die Kinder ihre Muttersprache nicht gelernt haben, dann steht spätestens, wenn die Kinder im Jugendalter sind, eine Mauer zwischen den Eltern und ihren Kindern.“
Träger von bilingualen Kitas: Wenig Interesse an Konzept in Gelsenkirchen
Wie zuletzt schon bei zwei Anträgen, mit denen mehr Seelsorge und Gebetsräume für muslimische Patienten in Gelsenkirchen gefordert wurden, haben Grüne und WIN deshalb erneut ihre Kräfte im Integrationsrat vereint. In einem gemeinsamen Antrag mit den Integrationsratsmitgliedern Michael Hegmanns und Kasiani Kalaitzidis schlagen sie nun vor, dass sich die Stadtverwaltung mit den Vor- und Nachteilen von bilingualen Kitas beschäftigten soll, insbesondere mit dem Konzept des Ruhr Familienbildungszentrums e.V. (Rufa). Der Dortmunder Verein betreibt im dortigen Stadtteil Eving seine erste bilinguale Kita und wurde auch für die deutsch-türkische Kita in Gladbeck gewonnen.
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„Kinder lernen am effektivsten Sprache, wenn sie diese in Alltagszusammenhängen erleben“, beschreibt der Träger seine Herangehensweise. Bei der Vermittlung der beiden Sprachen gilt dann das Ein-Personen-Prinzip. Das heißt: Eine Erzieherin spricht deutsch, die andere dagegen nur türkisch. Diese „personengebundene“ Vermittlung der Sprachen ist typisch für bilinguale Kitas.
Wie Rura-Geschäftsführer Ali Türkoglu auf WAZ-Nachfrage bestätigt, hatte man vor einiger Zeit auch bereits versucht, mit der Gelsenkirchener Verwaltung Kontakt aufzunehmen, um sein Konzept hier in der Stadt vorzustellen. Im Hans-Sachs-Haus habe man dann aber „kein großes Interesse signalisiert“, so Ali Türkoglu. „In manchen Kommunen werden wir mit offenen Armen empfangen; in manchen nicht. Schade, dass man nicht bereit war, uns in Gelsenkirchen kennenzulernen.“
Integrationsrat ausgefallen
Bis der Antrag zu den mehrsprachigen Kitas von WIN und Grünen im Integrationsrat diskutiert wird, kann es noch dauern: Die letzte Sitzung des Integrationsrates am 11. November, wo der Antrag eigentlich besprochen werden sollte, ist aufgrund eines Krankheitsfalls im Vorsitz ausgefallen. Voraussichtlich soll die Sitzung nun im Januar wiederholt werden.
Die Grünen wollen das Thema bilinguale Kitas währenddessen schon einmal im nächsten Bildungsausschuss (24. November) einbringen und verlangen einen Sachstandsbericht zur frühkindlichen Bildung in Gelsenkirchen.