Gelsenkirchen-Buer. Welche Bilanz die Programmmacher beim Experiment in Sachen Stadtentwicklung Gelsenkirchen-Buer ziehen. Und was Anwohner kritisierten.

„Autos runter, Menschen und Kultur rauf“: So lautete das Motto des „Urbanusherbsts“ vom 1. bis 23. Oktober in der unteren Hagenstraße. Mit Hilfe einer vorübergehenden Möblierung atmete die Sackgasse vor dem „Lokal ohne Namen“ nicht nur den Charme einer „Stadtterrasse“, sondern avancierte zum Schauplatz eines Experiments: Wie, bitteschön, lässt sich öffentlicher Raum denn sonst noch nutzen, wenn Pkw draußen bleiben müssen? Eine klare Antwort nach dem Ende des Projekts, die gibt’s allerdings nicht.

Die Stadtverwaltung jedenfalls mochte auf Nachfrage der Redaktion noch nicht Bilanz ziehen. „Wir warten erst einmal den schriftlichen Bericht des Vereins ,Insane Urban Cowboys’ ab“, erklärte Sprecher Martin Schulmann. Dieser Zusammenschluss von Kunstschaffenden und Unternehmenden war von der Stadt mit der Umsetzung des „Urbanusherbsts“ beauftragt worden, Programmgestaltung mit Konzerten, Diskussionen, Kreativ-Angeboten und Service für Radfahrer inklusive.

Gelsenkirchener Programmmacher: Zuschauer zu zählen, ist der falsche Ansatz

Mit einem Weintasting an zwei Tagen startete der „Urbanusherbst“ in Gelsenkirchen-Buer auf der Hagenstraße. Karl und Claudia genossen das Angebot der Essener Weinzeche sichtlich.
Mit einem Weintasting an zwei Tagen startete der „Urbanusherbst“ in Gelsenkirchen-Buer auf der Hagenstraße. Karl und Claudia genossen das Angebot der Essener Weinzeche sichtlich. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Und wie beurteilt der Verein selbst den Erfolg seines Experiments in Sachen Stadtentwicklung? „Deutlich positiv“, so der zweite Vorsitzende Roman Milenski. Genaue Besucherzahlen habe man zwar nicht erfasst, „aber unsere Botschaft, eine freie öffentliche Fläche kulturell, gastronomisch und als Begegnungsraum zu nutzen, kam an“, ist er nach vielen Gesprächen mit Menschen vor Ort überzeugt.

Zuschauer etwa bei Musik-Events als Indikator für eine erfolgreiche Veranstaltung zu zählen, sei der falsche Ansatz bei dem Projekt, „das eben kein Cityfest sein und nicht zur Belebung des Einzelhandels beitragen sollte“, so der Bueraner. „Natürlich war der Auftritt des Rappers Weekend im ,Lokal ohne Namen’ für viele ein Highlight. Auch die Radwerkstatt war sehr gut besucht, teils bildeten sich sogar längere Warteschlangen bis Einbruch der Dunkelheit. Aber Hauptanliegen war es, den Straßenraum subjektiv noch mal ganz anders zu entdecken und zu erleben.“

Sitzmöbel wurden abends in Gelsenkirchen-Buer häufiger genutzt als tagsüber

Sänger Ayo sorgte im „Lokal ohne Namen“ in Gelsenkirchen-Buer für ordentlich Stimmung beim „Urbanusherbst
Sänger Ayo sorgte im „Lokal ohne Namen“ in Gelsenkirchen-Buer für ordentlich Stimmung beim „Urbanusherbst". © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Tagsüber seien die Sitzmöbel zwar seltener genutzt worden, abends dafür umso mehr, als die Kneipengänger unterwegs waren. „Beim Zeichenworkshop für Kinder jedoch haben sich die Eltern auch tagsüber auf den Bänken entspannt und sind miteinander ins Gespräch gekommen“, so Vereinsmitglied Ole-Kristian Heyer. Auch habe so mancher Beschäftigte seine Mittagspause auf der Hagenstraße verbracht, die im Gegensatz zur Domplatte ordentlich Sonne abbekomme.

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Dabei sei ihm auch aufgefallen, „wie sehr der Zaun zwischen Spielplatz und Hagenstraße als Barriere wirkt und die öffentliche Fläche durchschneidet. Familien mussten entweder links oder rechts darum herum laufen, um zum Spielplatz zu gelangen“, sieht er hier einen Ansatzpunkt für künftige bauliche Veränderungen, wenn die untere Hagenstraße womöglich keine Parkplätze mehr bietet. Tatsächlich hatte eine Machbarkeitsstudie angeregt, diesen Bereich zu überplanen und dort sowohl eine Veranstaltungsfläche als auch einen Abenteuerspielplatz zu schaffen.

Verein: Nur wenige Besucher kritisierten Wegfall von Parkplätzen in Gelsenkirchen-Buer

Den dreiwöchigen Wegfall von 15 Parkplätzen hätten nur wenige Besucher kritisiert („weniger als eine Handvoll“), ein Anwohner habe sich über Lärm beschwert, so Milenski.

Stattdessen hätten durchaus Anlieger gelobt, mit den bepflanzten Blumenkübeln nun einen kleinen Vorgarten vor der Haustür zu haben, berichtet er und freut sich, dass auch Vandalismus ausgeblieben sei. „Entgegen den Erwartungen einiger Beobachter sind die Leute mit dem Mobiliar und den Säulen mit Radwerkzeug sehr pfleglich umgegangen. Nur ein paar Pflanzen wurden mitgenommen.“

Gastronom Christoph Klug: „Einmal haben Besucher auf Stadtterrassen gepicknickt“

Auch Gastronom Christoph Klug, dessen „Lokal ohne Namen“ als Ausweich-Domizil für eine Diskussion über die Stadtentwicklung und den „Urbanus-Kiez“ genutzt wurde, zieht grundsätzlich ein positives Fazit. „Viele, mit denen ich gesprochen habe, fanden das Konzept gut, hätten sich aber mehr Veranstaltungen gewünscht. Nur einige wenige meinten, die Parkplätze wären ihnen lieber.“ Was ihm noch ein paar Tage später ein Lächeln ins Gesicht zaubert: „Einmal haben vier Leute auf den Bänken gepicknickt.“

Was für die Zukunft bleibt? Nach der Premiere in Buer ziehen die „Stadtterrassen“ 2023 um zur Weberstraße in der Gelsenkirchener City, wo sie vom 4. August bis zum 3. September Station machen. Buer geht aber trotzdem nicht leer aus: Dort soll von Mai bis Ende September der „Urbanus-Kiez“ an den Start gehen – ein Pop-Up-Biergarten ähnlich dem auf der Skulpturenwiese an der Rottmannsiepe, der ebenso von mehreren Gastronomen bespielt werden soll. Ob die Insane Urban Cowboys dann wieder mitmischen, sei noch unklar, so Milenski. „Aber wir stehen bereit, uns mit unseren Erfahrungen einzubringen.“

„Stadtterrassen“ wurde vom Bund gefördert

Das Projekt „Stadtterrassen“ vom 1. bis 23. Oktober in der unteren Hagenstraße wurde vom Land NRW unterstützt: Die Straßenmöblierung wurde vom Zukunftsnetz Mobilität NRW kostenfrei zur Verfügung gestellt, nachdem sich Gelsenkirchen erfolgreich darum beworben hatte.

Die Stadt flankierte darüber hinaus das Projekt mit einem kulturellen Rahmenprogramm, für das sie 40.000 Euro bereitstellte – eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Kommunen, die ebenfalls das „Stadtterrassen“-Konzept realisierten.