Gelsenkirchen. Abermals landet Gelsenkirchen auf einem schlechten Platz mit Blick auf die Zukunftschancen der Stadt. Das ist das Ergebnis der Prognos-Studie.

Wie gut sind Deutschlands Kreise und Städte für die aktuellen und zukünftigen Transformationsprozesse gewappnet? Wie schneiden sie im Standortranking ab? Der Prognos-Zukunftsatlas 2022 ermittelt nach eigenen Angaben „die Zukunftschancen und -risiken aller 400 Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands“.

Seit 2004 wird demnach alle drei Jahre die Zukunftsfestigkeit der deutschen Regionen einander gegenübergestellt und in Form eines bundesweiten Rankings veröffentlicht. Wie gut die Regionen für die Zukunft aufgestellt sind, wird in Anlehnung an zahlreiche Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung anhand von 29 makro- und sozioökonomischen Indikatoren bewertet, die sich vier großen Themenfeldern zuordnen lassen:

■ Demografie
■ Arbeitsmarkt
■ Wettbewerb und Innovation
■ Wohlstand und soziale Lage

Gemessen daran bescheinigt die Studie Gelsenkirchen einmal mehr einen Platz auf den hintersten Rängen und den Stempel „sehr hohe Risiken“, „geringste Stärke“, „sehr geringe Dynamik“. Während Städte wie München, Erlangen, Ingolstadt, Stuttgart, Düsseldorf, Münster, Frankfurt und Hamburg die Rangliste der 400 Kreise und Städte wie gewohnt weit oben anführen, nimmt Gelsenkirchen den 393. Platz ein. Im Ruhrgebiet schneidet nur Oberhausen einen Platz schlechter ab, auf Platz 382 rangiert Herne, auf 365 Duisburg, auf 360 Hagen, auf 342 Bottrop, Bochum auf 297, Mülheim auf 290, Dortmund auf 281 und Essen auf 265.

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Für das Ranking des Zukunftsatlas hat Prognos einen quantitativen Ansatz gewählt, der auf objektiven, statistischen Daten basiert. Bewusst verzichtet wurde auf Befragungen und Diskussionen mit Politik und Wirtschaft, um deren subjektive Einschätzungen (z. B. zu Standortattraktivität, Zufriedenheit, Lebensqualität) zu ermitteln. Auf Basis statistischer Daten werde also aufgezeigt, in welchen Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland bekannte und neue Wachstumspotenziale zu erwarten seien und wo regionales Handeln erforderlich sei, so die Studienautoren.

Warum Gelsenkirchen in der Studie so schlecht abschließt

So betrachtet die Prognos AG, die nach eigenen Angaben „eines der ältesten Wirtschaftsforschungsunternehmen Europas“ ist, als Indikatoren für „Stärke“ etwa die Daten zu jungen Erwachsenen in der Stadt, zur Arbeitsplatzdichte, zur Arbeitslosenquote, zum Akademisierungsgrad, zur Schulabbrecherquote, zu unbesetzten Ausbildungsstellen, zum BIP je Beschäftigten, zur Gründungsintensität, zu in Bedarfsgemeinschaften lebenden Personen, zur Kaufkraft und zur kommunalen Schuldenlast.

In einer der einkommensschwächsten Regionen des Landes, in der zuletzt noch 7,8 Prozent aller Schulabgänger die Schule ohne einen Abschluss verließ (NRW-Schnitt 2,1 Prozent) und fast jeder Vierte (49.330 Menschen zwischen 15 und 65 Jahren) auf Sozialleistungen angewiesen ist, überrascht das abermalige schlechte Abschneiden Gelsenkirchens in der Zukunftschancen- und Risiko-Studie nicht.

Auch das Regionalranking des Instituts der deutschen Wirtschaft bescheinigt Gelsenkirchen eine schlechte Entwicklung

Im Sommer erst war Gelsenkirchen bei einem anderem, dem Regionalranking des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), auf dem letzten Platz gelandet. Während die Region insgesamt Boden gutmachen konnte, liegt die Emscherstadt, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht, weiter abgeschlagen auf Rang 400.

Hanno Kempermann, Geschäftsführer der IW Consult erklärte im WAZ-Interview dazu: „Die Wirtschaftsstruktur ist schwach und verbessert sich nicht wesentlich. Ein wichtiger Indikator dafür ist die gemeindliche Steuerkraft, die u. a. die Gewerbesteuereinnahmen abbildet. Hier liegt Gelsenkirchen im Niveau auf Rang 396 und in der Dynamik auf Platz 384. Gelsenkirchen hat von sehr niedrigem Niveau weiter den Anschluss verloren. Das liegt unter anderem auch an den sehr hohen Gewerbesteuerhebesätzen, die die Stadt unattraktiv für Neuansiedlungen machen. Hier muss eine Lösung für die Altschuldenproblematik gefunden werden. Zudem wandern die Fachkräfte der Zukunft, also 25- bis 30-Jährige, ab. Das ist ein Alarmsignal für die zukünftige Performance Gelsenkirchens.“

„Wir kennen die strukturellen Probleme und klotzen dagegen an“

Gelsenkirchens Wirtschaftsdezernent Simon Nowack (CDU), der Anfang 2022 von Schwelm nach Gelsenkirchen gewechselt ist, beteuert, dass die städtische Wirtschaftsförderung und die gesamte Stadtverwaltung täglich „kräftig in die Hände klotzen, um Gelsenkirchen nach vorne zu bringen und langfristig bessere Plätze in solchen Ranglisten einzunehmen“. Es sei aber, so Nowack, schließlich auch nichts Neues, „dass wir eine hohe Arbeitslosenquote, viele Schulabbrecher und eine geringe Kaufkraft haben.“

Die strukturellen Probleme seien da, „um das zu wissen, brauchen wir keine neue Studie“. Die Stadtverwaltung arbeite ressortübergreifend daran, „das Problem an der Wurzel zu packen“, sagt Nowack und verweist etwa auf Jugenddezernentin Anne Heselhaus, die schon bei der Bildung der Kleinsten in der Stadt versuche, Besserungen herbeizuführen. Nowacks Wirtschaftsförderung hingegen fokussiere sich darauf, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. Gerne verwendet Nowack in Anlehnung an den Wiederaufstieg des FC Schalke 04 im Sommer das Label „AufsteiGErstadt“, wenn er das Scheinwerferlicht auch auf die erfolgreichen Unternehmergeschichten in der Emscherstadt richten will, von denen es trotz der niederschmetternden Wirtschaftsdaten auch einige in Gelsenkirchen gibt. So attestierte eine Studie des Forschungszentrums Mittelstand der Uni Trier im Auftrag des NRW-Wirtschaftsministeriums beispielsweise Gelsenwasser, Norres und Masterflex wie auch Oexmann, August Friedberg und Amevida, dass sie in ihren Branchen zu den Weltmarktführern zählen. „Das sind Lichtblicke“, sagt Nowack.