Gelsenkirchen. Gelsenkirchens Bezirksforen sind zu einem erfolgreichen Mittel der Teilhabe geworden. So viel Geld soll bis dato in besondere Projekte fließen.

Für viele ist es fast zu schön, um wahr zu sein. Doch die Bezirksforen sind so niederschwellig und bürgernah, wie sie beschrieben sind: Menschen kommen am frühen Abend zum genannten Termin in ihrem Bezirk, stellen sich und ihr gemeinnütziges Projekt vor, wünschen sich einen Betrag als Zuschuss – und gehen nur wenige Stunden später nahezu alle mit einer Förderzusage nach Hause.

Bezirksforen: So einfach kommen Gelsenkirchener an Zuschüsse für ihre Projekte

Meist ist es nicht die gewünschte Summe, sondern weniger. Aber immerhin ist es ein Beitrag, der die Projekte aus der Gesellschaft heraus möglich macht. Das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Und so sind die ersten drei von fünf Bezirksforen, am vergangenen Montag, Dienstag und Mittwochabend, gut besucht. Allein hier kommen an drei Terminen rund 120 Anträge zusammen, sind bis dato 167.000 Euro vergeben oder vielmehr, getreu dem Motto, „fair-teilt”.

Ein schöner Nebeneffekt: Die Akteurinnen und Akteure aus den jeweiligen Stadtbezirken treffen mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Verwaltung zusammen, es entsteht ein Austausch, ein Kennenlernen ist möglich – und die Anträge der Menschen bekommen ein Gesicht.

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So wie das von Marco Kolmasüß vom Schachverein in Horst. Beim Bezirksforum im Westen von Gelsenkirchen schildert er, wie überraschend groß der Zulauf junger Menschen ist. „Schach war in der Pandemie der beliebteste E-Sport“, erzählt er am Rande. Die Folge: 29 junge Menschen spielen jetzt in Horst Schach. Darunter seien viele Mädchen. Dazu kommen zahlreiche Erwachsene. Regelmäßig würden auch Turniere ausgetragen. Beim Bezirksforum West beantragt der Verein Mittel zur Sanierung der Toilettenanlage für die Damen.

Gelsenkirchener Bezirksforen: Es kommen auch viele alte Bekannte

Es sind auch viele alte Bekannte mit bei den Bezirksforen. In Horst zum Beispiel Adriano Gobbo, der einmal mehr Unterstützung erbittet für seine „Weihnachtswelt” an der Essener Straße. Auch Peter Nienhaus ist dabei, Präsident des KC Astoria. Er wünscht sich eine Unterstützung für den „Neustart Karneval im Stadtwesten”, also den „Sturm auf das Schloss Horst”. Jener bietet den Gästen kostenloses Programm an Weiberfastnacht, kann aber aktuell durch die corona-gebeutelte Vereinskasse nicht gestemmt werden.

Dirk Wobser von der Interessengemeinschaft Horst-Süd wünscht sich finanzielle Hilfe zur Umsetzung der Weihnachtsbeleuchtung an der Martinstraße. Und Nicola Schlicht erbittet einen Zuschuss zur Durchführung des Straßenfestes auf der Schwalbenstraße.

Erstmals fand das Bezirksforum für den Gelsenkirchener Süden in der Heilig-Kreuz-Kirche statt. Auch hier kamen viele Menschen, wurden viele Anträge gestellt.
Erstmals fand das Bezirksforum für den Gelsenkirchener Süden in der Heilig-Kreuz-Kirche statt. Auch hier kamen viele Menschen, wurden viele Anträge gestellt. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Ähnlich breit aufgestellt sind die Anträge im Stadtsüden. Erstmals findet das Bezirksforum hier in der Heilig-Kreuz-Kirche statt. Und anders als noch im vergangenen Jahr kommen viele Menschen, werden viele Anträge gestellt. Zum Beispiel von Barbara Christ vom Mädchenzentrum. Das bietet immer sonntags Mädchen und jungen Frauen ein Musikprojekt an, die „Mädchen-Musikakademie”. Am Rande erzählt sie: „Bei uns können die Mädchen Instrumente erlernen, eigene Songs aufnehmen oder sich auf ein Musikstudium vorbereiten.” Im Schnitt betreue man wöchentlich zwölf Mädchen. Mit einem großen Ziel: „Insgesamt sind zu wenig Frauen in der Popmusik sichtbar. Wir wollen helfen, das zu ändern.” Dafür biete man auch Workshops an, etwa darin, ein eigenes Label zu betreiben.

Bezirksforum Gelsenkirchen: Viele Akteure aus den Quartieren haben Ideen

Auch in den Stadtsüden kommen viele Fördervereine von Schulen, Jugendeinrichtungen oder ähnliche Initiativen. Dabei ist vielfach eines zu hören: der Wunsch nach einem Hochbeet. Grüne Projekte in der Natur, das wollen im gesamten Stadtgebiet viele. Beachtlich auch: Immer mehr interkulturelle Projekte sind vertreten. Deren Macher tun etwas für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – und wollen das künftig mit einem etwas größeren Etat tun.

Wie etwa die Frauen der alevitischen Gemeinde, die zum Bezirksforum Mitte kommen. Im vergangenen Jahr beantragten sie erstmals Mittel für Kreativangebote. Weil die so gut angenommen werden, kommen sie am Mittwoch ins Hans-Sachs-Haus. Das Angebot soll künftig ausgebaut werden. Neben dem Malen sollen Frauen hier demnächst auch töpfern können und Theater spielen.

Das Gelsenkirchener Hans-Sachs-Haus war ebenfalls gut besucht – und auch hier stellten die einzelnen Akteure ihre Ideen und Projekte vor, um finanzielle Förderung zu bekommen.
Das Gelsenkirchener Hans-Sachs-Haus war ebenfalls gut besucht – und auch hier stellten die einzelnen Akteure ihre Ideen und Projekte vor, um finanzielle Förderung zu bekommen. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Beeindrucken kann auch Heike Becker. Sie leitet einen Freizeittreff für Kinder und Jugendliche in der Kreuzkirche in der Feldmark. Erst vor ein paar Wochen gründet sie hier einen Leseclub. Weil sie bei ihrer Arbeit bemerkt, dass viele von ihnen nicht richtig lesen können, zu Hause zum Teil nicht ein Buch haben. „Ich habe erst einmal Clubausweise gebastelt. Die haben sich die Kinder ganz stolz um den Hals gehängt. Dann habe ich mit ihnen gemeinsam gelesen.” Ihr Wunsch beim Bezirksforum: Geld für Bücherregale, Bücher und Sitz-Säcke. „Es soll gemütlich sein, zum Lesen anregen.”

Kurzum: Die Bezirksforen laufen bislang gut und erfolgreich. Das freut auch Oberbürgermeisterin Karin Welge, die in ihrer Zeit als Stadtkämmerin das Konzept einst aus der Taufe hob. Das Erfolgsrezept sei, den Menschen etwas zuzutrauen. Umso erstaunlicher, dass das Format bis heute in Deutschland einzigartig ist. Es habe durchaus interessierte Anrufe gegeben aus anderen Städten des Landes. Aber es fehle vielfach an Mut. „Auch bei uns gab es anfänglich kritische Stimmen. Nach vierjähriger Erfahrung wissen wir aber, es stärkt ehrenamtliches Engagement”, so die OB beim Horster Bezirksforum.

Zwei Bezirksforen stehen noch aus

Es stehen noch zwei Bezirksforen aus. Am Mittwoch, 26. Oktober, findet das Bezirksforum Nord ab 18 Uhr im Stadtteilzentrum am Eppmannsweg 32 statt. Vergeben werden 60.000 Euro.

Am Donnerstag, 27. Oktober, endet der Reigen mit dem Bezirksforum Ost um 18 Uhr in der Aula der Gesamtschule Erle an der Mühlbachstraße 3. Vergeben werden 40.000 Euro.

Die Gelder werden 2023 ausgezahlt.

Mehr noch: Es stärkt das Miteinander. Ein faszinierender Moment bei allen drei Bezirksforen nämlich ist stets jener, wenn alle Anträge formuliert sind und das Budget gnadenlos überzeichnet. Dann geht es ans Verzichten. Viele Menschen korrigieren ihre Summe etwas nach unten, damit das Geld für alle reicht. In Ückendorf kommt es dabei zu einem absoluten Novum: Hier wünscht sich im letzten Antrag des Abends der Bürgerverein Rotthausen für seine Treffen eine neue Kaffeemaschine. Da meldet sich ein Zuschauer – und übernimmt kurzerhand die Kosten dafür aus seiner privaten Kasse.