Gerlsenkirchen. Der Gelsenkirchener Heimatbund widmet sich der langen Geschichte von Haus Leithe. Dem Baudenkmal droht der Verfall. Was die Autoren jetzt fordern.
„Haus Leithe. Die Geschichte einer ,Ritterburg’ und ihrer Umgebung“ lautet der schnörkellose Titel des Heftes des Heimatbunds Gelsenkirchen. Die 33. Veröffentlichung (5 Euro, lokaler Buchhandel) der Reihe „Gelsenkirchen in alter und neuer Zeit“ ist es – und eine mit Anspruch über das Historische hinaus. Denn es wird klar: Dem Text-und Redaktionsteam – Burkhard Nowak, Karlheinz Rabas und Hans-Joachim Koenen – ist der Ist-Zustand des „ältesten und auch wohl bedeutendsten profanen Baudenkmals im Gelsenkirchener Süden“ ein Ärgernis. Dem Haus Leithe drohe der Verfall, kritisieren sie. Der „gegenwärtige Zustand des gesamten Ensembles“ am Junkerweg 30 könne nur „als erbärmlich bezeichnet werden.“
GGW verkaufte vor zehn Jahren das Gelsenkirchener Baudenkmal
1914 kam Haus Leithe in den Besitz der Stadt. 1986 wurde es in die Denkmalliste eingetragen. Seit 1997 gehörte es zum Eigentum der GGW. Die Gelsenkirchener gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft trennte sich 2012 von dem Baudenkmal in Rotthausen. Der Dortmunder Investor Jörg Zahn übernahm, konnte seine Ideen vom Wohnen im alten Adelssitz aber bislang nicht realisieren, auch weil seine Planungsentwürfe nicht mit denen der Bauordnung und des Denkmalschutzes kompatibel sind.
Zwischenzeitlich wurde das Wohnbau-Projekt mit Eigentumswohnungen im Haupttrakt und dem Torflügel sowie bis zu sieben Reihenhäusern im hinteren, heutigen Scheunenbereich des Anwesens bereits auf einem Immobilienportal beworben, erste Einheiten angeblich verkauft. Doch seit Jahren steckt das Verfahren in der Sackgasse. Zwei Brände, 2019 und 2021, haben zudem sichtbar Spuren am zunehmend maroden Bestand hinterlassen.
Brand zerstörte 2019 den Seitentrakt am Torhaus
Haus Leithe besteht aus drei Gebäudeteilen und dem Innenhof. Das Ensemble gibt noch einen ungefähren Eindruck von der Gräfte, dem Wassergraben, der es einst umgab. In der jetzigen Form – als zweigeschossiger, geputzter Rechteckbau mit Staffelgiebel, Renaissancegiebel und Satteldach – wurde es 1565 errichtet. Das zweigeschossige Torhaus wurde 1753 gebaut und schließlich 1860 mit der markanten Zinnenkrone aufgestockt. Die über 400 Quadratmeter große Scheune wurde erst später als Putzbau errichtet und 1978 nach einem Brand erneuert.
Ob Haus Leithe auf eine ehemalige sächsische Grenzfeste aus vorkarolingischer Zeit zurückgeht und damit die Wurzeln bis ins achte Jahrhundert zurückreichen, ist ungesichert. Heimatforscher haben sich früh mit der lokalen Geschichte des Anwesens, des Adelsgeschlechts und der Hofgerichtsbarkeit auseinandergesetzt. Auf Texte und Quellen, darunter eine Dissertation aus dem Jahr 1958, greifen auch die Heftautoren zurück.
Wappen der früheren Besitzer bezeugt die Herrschaftsverhältnisse
Der Leither Bach wird erstmals 947 erwähnt, eine Bauerschaft Leithe ist für 1019 beurkundet. Die Ursprünge des Hauses selbst weisen bis ins 14. Jahrhundert zurück. Der Stammsitz der Ritter von Leithe wird urkundlich erstmals 1366 benannt. Ihr Besitz in der Bauerschaft Leithe war ein Lehen der Abtei Deutz. 1438 erlosch das Geschlecht mit dem Tod von Ritter Friedrich, der kinderlos starb.
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Nach dem Tod seiner Witwe ging der Rittersitz in der Erbfolge an Hermann von Levendael, der es 1439 bereits – zusammen mit der Mühle, Teichen und der Fischerei auf Leithe – an Ritter Cracht Stecke auf Haus Baldeney verpfändete. Es ist der Auftakt zu etlichen Eigentumsübertragungen durch Erbfolge, Heirat oder Verkauf, Schenkungen und Versteigerungen, oft inklusive von Patronatsrechten an der Kirche in Wattenscheid und der Kapelle auf Leithe.
Haus Leithe wurde vererbt, verkauft, verpfändet, versteigert
Die Familie Nesselrode behielt den Sitz immerhin über 100 Jahre. In rascher Folge ging er darauf an von Hövel, von Asbeck zu Goor, von Strünkede zu Dorneburg und schließlich an Hauptmann Johann Moritz von Isselstein. Er wurde 1749 Hausherr und ersteigerte das überschuldete Anwesen. Dessen Nachfahren verkauften den gesamten Rotthauser Besitz schließlich 1901 für 237.000 Mark an den Gerichtsauktionator Wilhelm Behmer.
Als Adelssitz war Haus Leithe damit Geschichte. Es wurde von Behmers Witwe 1913 an den Landwirt Theodor Berger verpachtet. Die landwirtschaftliche Nutzung, Verpächter war längst die Stadt Gelsenkirchen, dauerte bis 2010. Damals verließ Theodor Berger das Gut als letzter Spross der Bauernfamilie.
Haus Leithe in Gelsenkirchen: Sechs weitere herrschaftliche Wohnsitze verschwanden
Über dem Rundbogen der Toreinfahrt prangt – arg verwittert – noch das Wappen derer von Isselstein im Scheitelpunkt. Es erinnert daran, dass hier einst ein Adelssitz war, der die Zeiten überstanden hat.
Gelsenkirchen war in vorindustrieller Zeit durchaus reich an Burgen und Schlössern. Neben Haus Leithe zeugen Haus Lüttinghof sowie die Schlösser Berge und Horst noch davon. Verschwunden sind die weiteren steinernen Zeugen herrschaftlicher Zeit. Die Heftautoren zählen die Wasserburg Buer, Haus Daarl und Haus Goor, das Wasserschloss Grimberg und auch die Wasserberg Leythe in Erle und auch Haus Achternberg auf der Grenze zu Essen-Kray auf.
Autoren fordern planvolles Handeln
Was wird aus Haus Leithe, wenn die Investorenpläne scheitern sollten? Wichtig sei entschlossenes politisches Handeln über Parteigrenzen hinweg, „um dieses Haus nach einer Neugestaltung zu einem Juwel für den Gelsenkirchener Süden zu machen“, sind sich die Autoren und auch der Verein „Bürger für die Rettung von Haus Leithe“ einig. Sie sehen eine Zukunft möglichst in öffentlicher Hand.
Wobei: Entschlossenheit hat das Handeln vielleicht nur beim Verkauf geprägt. Ansonsten kennzeichnet Unentschiedenheit das Verhalten. Renovierungen wurden ab dem Jahr 1982 begonnen - aber nicht fortgeführt. Und auch vor Jahrzehnten, wie (undatierte) Zeitungsausschnitte zeigen, wurde spekuliert, was mit Haus Leithe anzufangen sei. Damals hoffte man auf ein Heimatmuseum.