Gelsenkirchen. Hans-Joachim Koenen ist seiner Heimat verbunden, kaum einer kennt so viele Fakten über Gelsenkirchen wie er. Im Interview verrät er Besonderes.

Hans-Joachim Koenen bezeichnet sich selbst als Hobbyhistoriker. Kaum einer kennt so viele geschichtliche Daten des südlichen Gelsenkirchens. Geboren ist er 1946 im Marienhospital, das damals noch in der Kirchstraße seinen Sitz hatte. In der Feldmark, die früher zum Stadtteil Schalke gehörte, lebt er bis heute. Seit 34 Jahren ist der gelernte Bauingenieur ehrenamtlich beim Heimatbund tätig, seit zwölf Jahren stellvertretender Vorsitzender. Im Gespräch mit der WAZ erzählt er, was ihn geschichtlich bewegt. Und darüber hinaus.

Herr Koenen, wie entstand bei Ihnen das Interesse für die Heimatforschung?

Hans-Joachim Koenen: Ende der 1970er habe ich eine Vortragsreihe der Volkshochschule über Ückendorf besucht. Dort lernte ich Karlheinz Rabas kennen, der zur Siedlung am Volkshaus in Rotthausen forschte. Dadurch kam ich auf die Idee, mich zunächst mit der GAGFAH-Siedlung in der Feldmark auseinanderzusetzen, in der ich wohnte. Dadurch, dass ich immer mehr Material zur Feldmark bekam, erweiterte ich die Forschung. 1985 wurde ich auf den Heimatbund aufmerksam. Dort nahm ich zunächst an einem Stammtisch für geschichtlich Interessierte teil und trat schließlich selbst bei.

Was bewegt Sie persönlich in die Geschichte ihrer Stadt einzutauchen?

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts sind meine Vorfahren aus Holland nach Gelsenkirchen gekommen und haben hier ihr Glück gesucht und gefunden. Mein Vater, der Architekt war, hat nach dem Kriege maßgeblich am Wiederaufbau der Stadt mitgewirkt.

Wie recherchieren Sie?

Ein Teil der Unterlagen liegt in Kirchenarchiven. Oft recherchiere ich im Stadtarchiv, dort sind zum Beispiel alte Zeitungen gesammelt. Aber ich studiere auch die entsprechende Literatur, die über unsere Stadt vorliegt. Zeitzeugen, mein Erlebtes und auch das Internet spielen zudem eine Rolle. Gerade das Internetportal „Gelsenkirchener Geschichten“ ist für die Stadtgeschichte eine Fundgrube. Bei Angaben im Internet ist es jedoch wichtig, vorsichtig zu sein und gegenzurecherchieren.

Was war denn eine besonders spannende Entdeckung?

Vor sieben Jahren haben wir erfahren, dass die evangelische Neustadtkirche geschlossen werden sollte. Ich habe mich daraufhin näher mit der dort hängenden Georgsglocke auseinandergesetzt. Bei meiner Literaturrecherche stellte ich fest, es gab verschiedene Daten hinsichtlich des Gusses der Glocke. Mit einem Kollegen aus Köln, der ein Buch über die Kölner Glockengießer geschrieben hatte, konnte ich klären, dass sie 1530 vor Ort von dem Kölner Heinrich von Overath gegossen wurde und damit der älteste Renaissance-Gegenstand in Gelsenkirchen ist – älter als das Schloss Horst oder der Altar der Bleckkirche. Das wusste zu diesem Zeitpunkt keiner und es war nirgends etwas dazu vermerkt.

Was ist wohl vielen Gelsenkirchenern gar nicht bekannt?

Gelsenkirchen hatte einen Flugplatz, der 1912 erbaut wurde. Dieser befand sich im damaligen Rotthausen, was jetzt zur Feldmark gehört. Er lag direkt neben der Trabrennbahn, die im selben Jahr erbaut wurde. In diesem Zusammenhang haben auch die Zeppelinallee und viele Straßen in der Feldmark, die nach Flugpionieren benannt wurden, ihren Namen erhalten.

Können Sie uns eine lustige Geschichte erzählen?

Schön finde ich die Geschichte des Kußwegs. Dieser hieß vorher Fußweg. Mitglieder der Kolpingsfamilie Schalke wandelten den Namen auf den Straßenschildern in den 1920ern mit Farbe in Kußweg um, weil sich dort viele Liebespaare trafen. Die Stadt übernahm schließlich den Namen.

Was gefällt Ihnen besonders an Gelsenkirchens Geschichte?

In den 1950ern sind viele Siedlungen mit damals modernen Bauten entstanden. Das Musiktheater, das 1959 eröffnet wurde, hatte weltweit einen Ruf als eines der modernsten Theater. Zudem galt Gelsenkirchen als größter Bergbaustandort Deutschlands und auch in der Glasindustrie waren wir deutschlandweit führend.

Was sind die negativen Veränderungen, die die Stadt durchgemacht hat?

Alt-Gelsenkirchen, ein Dorf mit etwa 500 Einwohnern, ist durch den Bergbau und die Folgeindustrien zu einer Großstadt geworden. Von den damals existierenden Bauten ist leider nicht viel übriggeblieben. Vieles wurde abgerissen, anderes im Krieg zerstört. Ein Grund sind auch die starken Veränderungen durch den Straßenbau. Von der Industrie sind lediglich Einzelstücke erhalten geblieben – ohne Nutzung verkommt alles. Trotzdem wundere ich mich immer, dass Gelsenkirchen in Rankings einen der letzten Plätze belegt.

Was ist prägend für diese Stadt?

Nicht nur Gelsenkirchen, alle Städte des Emscherraumes, sind aus kleinen Dörfern und den umliegenden Bauernschaften entstanden. So hat sich bis heute die Eigenständigkeit der Vororte erhalten und man wohnt in seinem Stadtteil. Erst dann kommt die Stadt, in die man dann ging, wenn größere Anschaffungen zu tätigen waren.

Herr Koenen, verraten Sie uns zum Schluss Ihren Lieblingsplatz in der Stadt?

Der Stadtgarten, der sich direkt vor meiner Haustür befindet. Mir gefällt die Ursprünglichkeit, vieles ist noch aus der Gründerzeit erhalten.

Haben Sie jemals daran gedacht wegzuziehen?

Nein. Meine Arbeitsstätte bei zwei Ingenieurbüros waren glücklicherweise in Gelsenkirchen. Ich hatte keinen weiten Weg zur Arbeit. Außerdem hätte ich woanders mein Hobby nicht weiterführen können.

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