Gelsenkirchen. Gelsenkirchens Verwaltungsspitze glaubt, dass die Bedürftigkeit durch die Energiekrise weiter wächst. So will man besonderen Härtefällen helfen.

Sozialdezernentin Andrea Henze rechnet damit, dass die ohnehin hohe Bedürftigkeit in Gelsenkirchen im Zuge der Teuerungswelle bei Energie und Strom weiter wächst. „Ich gehe davon aus, dass sich die Zahl der Leistungsempfänger erhöht“, sagte sie im vergangenen Sozialausschuss. Nur was ist mit den Menschen, die nicht direkt durch das soziale Netz in Deutschland aufgefangen werden, für die die Mittel aus den Entlastungspaketen des Bundes nicht ausreichen, Menschen ohne Rücklagen eben, die jahrelang mit einem knappen Verdienst gerade so über die Runde gekommen sind – und dann von einer gigantischen Gas-Nachzahlung völlig kalt erwischt werden?

Um festzulegen, wie mit solchen Härtefällen künftig umgegangen werden soll, hat die Stadt geprüft, ob sich ein „Härtefall-Fonds“ in Gelsenkirchen einrichten ließe. Einen solchen Fonds aus kommunalen Notfallgeldern hatte zunächst die Linkspartei gefordert, vom Sozialausschuss erhielt die Verwaltung den Auftrag, über die Sommerpause zu prüfen, ob dieser auch für Gelsenkirchen sinnvoll wäre.

Energiearmut: Stadt Gelsenkirchen will besondere Härtefälle in neuem Arbeitskreis besprechen

Einen Härtefall-Fonds gibt es Andrea Henzes Erkenntnissen nach auf kommunaler Ebene zwar nicht, wohl aber in Bremen oder Hannover, wo dieser lange vor dem russischen Angriffskrieg und der Inflationskrise gegründet wurde. In Bremen umfasst jener Fonds ein Budget von 250.000 Euro, abgerufen werden aber nur zirka 30.000 Euro pro Jahr. „Die staatlichen Ressourcen ziehen offenbar so gut ins soziale Netz, dass nur wenige Fälle aufgeschlagen sind“, analysierte Sozialdezernentin Henze das Instrument des Stadtstaates.

Lesen Sie auch:

Adressiert werden mit den Fonds Menschen, die in einer finanziellen Ausnahmesituation sind, beispielsweise hohe Rückzahlungen bei den Energie- oder Wasserkosten haben, und/oder dazu keine Möglichkeit haben, eine Ratenzahlung zu vereinbaren. Diesen Menschen soll nun auch in Gelsenkirchen gezielter geholfen werden – allerdings will die Stadt darauf verzichtet, ebenfalls einen Härtefall-Fonds einzuführen.

Andrea Henze, Sozialdezernentin in Gelsenkirchen, zum neuen Case Management Energiearmut: „Es geht hier um die Frage: Wo gibt es Menschen, die aus dem Raster der gesetzlichen Regelungen rutschen?“
Andrea Henze, Sozialdezernentin in Gelsenkirchen, zum neuen Case Management Energiearmut: „Es geht hier um die Frage: Wo gibt es Menschen, die aus dem Raster der gesetzlichen Regelungen rutschen?“ © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Ins Leben gerufen wurde stattdessen ein sogenanntes Case Management, bei dem die Bedarfe besonderer Einzelfälle besprochen werden sollen. Hier trifft sich künftig regelmäßig (das nächste Mal am 26. September) das Sozialreferat der Stadt mit der Emscher Lippe Energie (ELE), der Verbraucherzentrale (VBZ) und dem Jobcenter. „Es geht hier um die Frage: Wo gibt es Menschen, die aus dem Raster der gesetzlichen Regelungen rutschen?“, formulierte Henze den Arbeitsauftrag der Einzelfallbesprechungen.

Vier Fälle sind laut Henze bislang in dem Case Management besprochen worden, aber – wie auch bei der Zahl der Leistungsempfänger generell – rechnet die Sozialdezernentin damit, dass sich die Zahl in den nächsten Wochen und Monaten erhöhen wird.

Hilfe für Härtefälle in Gelsenkirchen: „Die Frage ist natürlich immer: Wer zahlt am Ende die Zeche?“

Wenn Armutsbedrohte merken, dass sie ihre Rechnungen einfach nicht mehr bezahlen können, dann können sie dies allerdings nicht selbst beim Case Management melden. Vielmehr sollen Jobcenter, VBZ und ELE besondere Härtefälle, die bei ihnen aufgeschlagen sind, zur Beratung in die Runde geben und dann einen Weg finden, wie man den Menschen helfen kann.

Gelsenkirchens Jobcenter-Chefin Anke Schürmann-Rupp, (re., vor Sozialdezernentin Andrea Henze): „Die Frage ist natürlich immer: Wer zahlt am Ende die Zeche?“
Gelsenkirchens Jobcenter-Chefin Anke Schürmann-Rupp, (re., vor Sozialdezernentin Andrea Henze): „Die Frage ist natürlich immer: Wer zahlt am Ende die Zeche?“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Die Frage ist natürlich immer: Wer zahlt am Ende die Zeche?“, brachte Anke Schürmann-Rupp, Geschäftsführerin des Jobcenters die Kernherausforderung bei den Härtefällen auf den Punkt. „Wir haben jetzt auch vermehrt Anfragen von Leuten, die bislang nicht im Leistungsbezug sind. Wenn diese Menschen aber möglicherweise eine sehr große Gasnachzahlung haben, dann haben sie die Möglichkeit, einen Antrag auf Hilfsbedürftigkeit zu stellen“, erläuterte sie. Möglich sei, dass diese Bedürftigkeit nur wenige Monate andauert und die Menschen danach wieder komplett auf eigenen Füßen stehen können.

Klar aber ist: Wird ein Antrag gestellt, beginnt ein komplexes Verfahren mit vielen Fragen – und immer eine sehr individuelle Einzelprüfung, bei denen immer auch ein Ermessensspielraum gegeben ist. Gibt es etwa Anspruch auf Mehrbedarfe? Auf einmalige Leistungen, die als Darlehen zurückgezahlt werden müssen? Oder ist jemandem schon mit einer vernünftigen Beratung zur Senkung der monatlichen Kosten geholfen?

Bürgergeld statt Hartz IV: Zahl der Menschen mit Leistungsanspruch wird voraussichtlich deutlich erhöht werden

Auch interessant

Der Personenkreis der Menschen, für die Hilfsleistungen infrage kommen, soll jedenfalls perspektivisch mit der Einführung des Bürgergeldes 2023 erweitert werden. Vermögen von bis zu 60.000 Euro soll dann beispielsweise geschont werden und wird nicht auf den Anspruch auf Bürgergeld angerechnet. „Es werden dann also ganz andere Rahmen abgefragt als heute“, so Henze.

Für armutsbedrohte Menschen in Zeiten der Energiekrise könnte das eine deutliche Entlastung bedeuten. Für die Stadt Gelsenkirchen wiederum, die einen Großteil der Sozialleistungen aus dem eigenen Haushalt zahlen muss, könnte das ein Problem werden. Aber das steht auf einem anderen Blatt.