Gelsenkirchen. Gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen SPD und CDU, die Grünen im Koalitions-Kreuzfeuer. Eine Politik im Krisen- und Eskalationsmodus.

Eigentlich war NRW-Ministerin Ina Brandes am Donnerstagabend zur CDU Gelsenkirchen eingeladen, um die Laudatio auf Ulrich Nickel zu halten, der für seine Ukraine-Hilfe den diesjährigen Bürgerpreis der CDU Gelsenkirchen erhalten hat. Zur Laudatio kam es auch, aber erst nachdem die NRW-Wissenschaftsministerin zum Rundumschlag gegen das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung ausgeholt hatte.

Nachdem NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mit einem Nein zum dritten Entlastungspaket des Bundes gedroht hat, kritisierte nun auch Brandes das Vorgehen der Ampel-Koalition scharf. „Das größte Problem, was wir haben, ist die Bundesregierung“, sagte die CDU-Politikerin in Gelsenkirchen.

Ihrer Ansicht nach hätte der Bund das 65-Milliarden-Euro-Entlastungspaket erst mit den Ländern besprechen müssen, statt es zunächst in einer Pressekonferenz zu verkünden. „Was wir nicht wollen, ist, dass unser Geld ausgegeben wird, ohne mit uns zu sprechen, vor allem für teilweise unsinnige Maßnahmen.“

NRW-Ministerin Ina Brandes lobt Grüne als „nicht ideologisch“

Auf Bundesebene koaliert die SPD mit der FDP und den Grünen, die auch Partner der CDU in Nordrhein-Westfalen sind – und offenbar weniger mit Brandes’ Kritik gemeint waren. In NRW würden die Grünen „pragmatisch und nicht ideologisch an die Sachen herangehen“, lobte die Kulturministerin den Koalitionspartner.

Hendrik Wüst hatte am Mittwochabend gegenüber dem Nachrichtenportal „The Pioneer“ mehr Mitsprache der Länder bei dem von der Bundesregierung angekündigten Entlastungspaket eingefordert und gedroht, das Bündel an Hilfsmaßnahmen noch durch weitere Beratungen aufzuhalten. „Was ich nicht in Ordnung finde, ist, dass man automatisch davon ausgeht, die Länder bezahlen das mit“, sagte Wüst. „Notfalls gehen wir in den Vermittlungsausschuss“. Das Gremium wird angerufen, wenn Bundesgesetze in der Länderkammer keine Zustimmung bekommen.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst: „Hier geht es für die Länder ans Eingemachte“

Bislang plante die Ampel-Koalition in Berlin, dass das umfangreiche dritte Entlastungspaket in Höhe von 65 Milliarden Euro zu einem Gutteil von den Bundesländern mitgetragen wird. Allein der NRW-Haushalt könnte mit bis zu fünf Milliarden Euro belastet werden. „Hier geht es für die Länder ans Eingemachte“, sagte Wüst.

Scharfe Kritik von Sebastian Watermeier (SPD) an CDU und Grünen in NRW

Sebastian Watermeier, Landtagsabgeordneter der SPD aus Gelsenkirchen reagiert erbost auf die Aussagen von Ina Brandes und erklärt: „Ministerin Brandes und die schwarz-grüne Landesregierung unter Hendrik Wüst, der sie angehört, haben in ihrem Profilierungsdrang gegen die SPD-geführte Bundesregierung jegliches Augenmaß verloren.“

Der SPD-Politiker erinnerte daran, dass seine Partei in der letzten Plenarwoche des Landtags Vorschläge eingebracht hätte, die Bürgerinnen und Bürger in NRW beispielsweise durch die Abschaffung von Kita-Gebühren, ein kostenfreies Mittagessen in Kitas und Schulen oder ein Mietpreis-Moratorium sowie einen erweiterten Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter zu entlasten. „Dies wurde unter Verweis darauf abgelehnt, dass das Land seinen Anteil leiste, indem es Maßnahmen des Bundes solidarisch mitfinanziere. Gleichzeitig wurde von Schwarz und Grün moniert, der Bund müsse mehr tun, zum Beispiel für Rentnerinnen und Rentner und Studierende. Nun tut der Bund mehr und wie lautet die Antwort der Regierung Wüst?“, fragt Watermeier und gibt die Antwort gleich selbst: „Mit einer Ankündigung einer Blockade im Bundesrat, weil man sich an der solidarischen Finanzierung nicht beteiligen will“.

Watermeier: „Grüne machen sich zum Erfüllungsgehilfen eines Birkenstock-Thatcherismus“

Der SPD-Abgeordnete nimmt aber auch die Grünen ins Visier und wirft der Partei vor, sich zu verbiegen. „Ihnen droht hier in ihrer devoten Haltung dem schwarzen Koalitionspartner gegenüber, sich zum Erfüllungsgehilfen eines Birkenstock-Thatcherismus zu machen, der seine politischen Geländegewinne am Ende auf Kosten von Erwerbslosen, Rentnerinnen und Rentnern und erwerbstätigen Menschen bis weit in die Mittelschicht hinein zu erzielen versucht, die unter der Energiekrise ächzen.“

Watermeier richtet sich auch direkt an seine Kolleginnen aus Gelsenkirchen und fordert die lokalen Abgeordneten der Grünen, Ilayda Bostancieri (Land) und Irene Mihalic (Bund) „dringend auf, sich in ihrer Partei für eine Nichtunterstützung der Blockadehaltung einzusetzen, die am Ende Zehntausende Menschen in Gelsenkirchen zu den Leidtragenden der politischen Spielchen von Friedrich Merz und Hendrik Wüst machen würde.“

Irene Mihalic (Grüne) kontert Kritik von SPD und CDU

Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion.
Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Eine der Angesprochenen nahm ihrerseits am Freitag Stellung zu Brandes und zu Watermeier. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, erklärt: „Frau Brandes scheint noch nicht auf der Höhe dieser sehr ernsten Zeit zu sein. Sie und der Ministerpräsident sollten sich gründlich überlegen, ob sie die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger unnötig hinauszögern wollen.“ Es gehe hierbei nicht nicht um Profilierung „im Parteien Klein-Klein“, sondern um schnelle, zielgerichtete Entlastungen, zu denen der Bund aber auch die Länder einen Beitrag leisten müssten.

Zu Watermeier sagt Mihalic: „Er sollte beim sachlichen Kern seiner Kritik bleiben, bevor er das Firmenverzeichnis nach Etikettierungen des Koalitionspartners durchsucht.“