Gelsenkirchen. Auf Gelsenkirchens neuer Grundschule fehlt Photovoltaik. Aber vollbelegte PV-Dächer sind aus Sicht der Stadt derzeit „Steuerverschwendung“.
- Den Gelsenkirchener Grünen ist aufgefallen, dass die neue Grundschule an der Ebersteinstraße nicht komplett mit Photovoltaik ausgestattet ist.
- Die GGW, Bauherrin der Schule, erklärt dies mit „erheblich größeren Aufwand“, die Stadt hält PV-Anlagen, die über den Eigenbedarf hinaus produzieren derzeit für „Steuergeldverschwendung“.
- Dabei muss der Solardach-Ausbau in Gelsenkirchen vorankommen, um die Klimaziele zu erreichen. Die Stadt hat derzeit nur weniger als ein Prozent aller potenziell geeigneten Dachflächen mit Solaranlagen ausgestattet.
Schnelle Bauzeit, eingehaltene Planungskosten, moderne Vollausstattung: Die Stadt klopft sich mit Blick auf die neue Grundschule an der Ebersteinstraße auf die Schulter. Und auch bei der Politik findet man für den Bau vor allem lobende Worte. Doch nicht, wenn es um die Solaranlagen auf dem Dach der Schule geht.
Den Grünen war bei Besichtigung der neuen Grundschule aufgefallen, dass nur knapp die Hälfte der nutzbaren Dachfläche für Photovoltaik genutzt worden ist, wie die Fraktion jüngst mitteilte. Und das auf einem Neubau, den die Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft (GGW) im Auftrag der Stadt gebaut hat. Für die Grünen eine „halbherzige Lösung“, die die Frage aufkommen lässt: Wird das Solardach-Potenzial in Gelsenkirchen grundsätzlich nicht ausgeschöpft – in Zeiten, in denen die erneuerbaren Energien dringend Energieimporte ersetzen sollen?
Neubau in Gelsenkirchen: Warum die Schule an der Ebersteinstraße nicht komplett mit Photovoltaik ausgestattet ist
Installiert worden sind an der Ebersteinschule PV-Anlagen mit einer Leistung von insgesamt 80 Kilowattpeak (kWp), möglich und nötig gewesen wäre aus Sicht der Grünen das Doppelte. Warum der PV-Ausbau nicht flächendeckend erfolgte, beantwortet die GGW auf WAZ-Nachfrage lediglich mit einem kurzen Statement: „Die jetzt installierte Photovoltaik-Anlage entspricht den Anforderungen und Absprachen mit der Stadt Gelsenkirchen, da größere Anlagen einen erheblich größeren administrativen Aufwand verursachen.“
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Nur was genau ist mit den Anforderungen und dem Aufwand gemeint? Die Grünen teilen mit, auf Nachfrage bei der Stadt hätten sie erfahren, dass diese bei einer größeren Anlage das Problem gesehen hätte, dann über den Eigenbedarf der Ebersteinschule hinaus Strom vermarkten zu müssen. Und dies gehöre schließlich nicht zu der Aufgabe einer Stadtverwaltung.
Ein Problem sehen die Grünen bei der Stromvermarktung allerdings nicht: Denkbar sei es, diese über eine Tochtergesellschaft der Stadt umzusetzen. Beispielsweise gibt es in Gelsenkirchen die EGP, die ELE-GEW Photovoltaik GmbH Gelsenkirchen. Diese 2010 gegründete Gesellschaft wird zu 51 Prozent von den Stadtwerken und zu 49 Prozent von der ELE gehalten.
Stadt Gelsenkirchen zum reduzierten PV-Ausbau: „Alles andere wäre Steuerverschwendung“
Auf WAZ-Nachfrage erklärt Stadtsprecher Martin Schulmann, dass die Vermarktung des eingespeisten grünen Stroms in anderen Fällen tatsächlich auch über die EGP praktiziert werde. Aktuell mache ein Ausbau der Anlagen über den Eigenbedarf hinaus jedoch keinen Sinn. „Die Einspeisevergütung bei Photovoltaik-Neuanlagen ist so gering, dass das die Investitionskosten nicht ausgleichen würde“, so Schulmann. „Wenn wir derzeit eine neue Anlage bauen, bauen wir deswegen nur für den Eigenverbrauch. Alles andere wäre Steuerverschwendung.“
In der Tat ist die Einspeisevergütung für Solarstrom in den vergangenen Jahren stark gesunken. Lag sie 2000 noch bei rund 50 Cent pro Kilowattstunde, haben die Betreiber von PV-Anlagen zuletzt weniger als 6 Cent erhalten. Doch erst kürzlich hat die Bundesregierung die Einspeisevergütung über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2023 wieder hochgetrieben, um so auch dort den Ausbau von Solardächern zu fördern, wo weniger für den Eigenbedarf Strom produziert wird.
EEG-Reform soll Einspeisen von Solarstrom wieder lukrativer machen
So gibt es für PV-Anlagen, die nach dem 30. Juli 2022 in Betrieb genommen worden sind, wieder mehr Geld. Für die Kilowattstunde Sonnenstrom erhalten Betreiber bis zu 13,4 Cent und das 20 Jahre lang. Voraussetzung für die 13,4 Cent ist allerdings, dass man den gesamten Stromertrag, den man mit seiner Anlage erzielt, ins öffentliche Netz gibt. Sollte also – wie im Fall der Ebersteinschule – der Großteil des Solarstroms selbst genutzt und nur ein kleiner Anteil eingespeist werden, lohnt sich die Investition einer noch größeren PV-Anlage unterm Strich also möglicherweise nicht.
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Allerdings ist es auf der anderen Seite gerade auch das Ziel von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gewesen, mit Hilfe der Gesetzesnovelle Dächer künftig voll mit PV-Anlagen zu belegen. Deshalb wurde mit dem EEG 2023 mehr Flexibilität geschaffen, beispielsweise kann ein Teil einer PV-Anlage komplett für den Eigenverbrauch ausgelegt sein, die andere für die Einspeisung. So soll das komplette Potenzial der Flächen nutzbar sein. Ein Potenzial, das man bei der GGW, dem Bauherren der Ebersteinschule, augenscheinlich nicht ganz gesehen hat.
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Dabei wird der Stadt im Gutachten zum Klimaschutzkonzept 2030/2050, quasi der Klima-Leitfaden in Gelsenkirchen, klar nahegelegt, die „maximalmögliche Belegung der kommunalen Dachflächen mit PV‐Anlagen“ anzustreben. Und dafür müsste man eigentlich jede Möglichkeit eines Neubaus vollständig nutzen. Denn dem Klima-Gutachten zufolge liegt der Anteil der belegten Dachflächen an der potenziell geeigneten Gesamtfläche bislang nur bei unter einem Prozent, wobei insgesamt 209 städtische Liegenschaften mit PV ausgestattet werden können.
Die Stadt müsste ihre Dächer und diese ihrer Tochtergesellschaften „im Rahmen ihrer Vorbildfunktion endlich maximal für PV-Anlagen nutzen“, fordert deshalb Burkhard Wüllscheidt, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion – und meint damit auch die Nutzung über den Eigenverbrauch hinaus. Schließlich sei eine Einspeisung im größeren Stil mit Solaranlagen auf städtischen Immobilien „ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zur Erreichung einer zumindest bilanziellen Klimaneutralität der Stadt“. Damit dieses möglichst wirtschaftlich erfolgen kann, müsse man Optionen wie die Direktvermarktung, Verpachtungsmodelle oder die Nutzung der Stadttochter EGP prüfen. Dann würde es sich laut Wüllscheidt auch nicht um eine „Steuerverschwendung“ handeln, „sondern um eine sinnvolle Suche nach guten und großen Maßnahmen im Kampf gegen die Klimakatastrophe.“
So viele städtische Gebäude haben PV
Auf Nachfrage der AfD stellte die Stadt im Mai 2022 dar, dass sie bislang 17 städtische Gebäude mit PV ausgestattet hat. Darunter befinden sich vor allem Schulen, aber auch die zentrale Feuerwache. Die meisten Anlagen wurden im Jahr 2011 verbaut, die anderen in den Zeiträumen 2003 bis 2005 und nur eine einzige im Jahr 2021.
Zudem wurden 14 weitere öffentliche Gebäude mit PV ausgestattet, die nicht im städtischen Besitz sind (also so wie die Ebersteinschule). Auch hier geht es größtenteils um Schulen, aber auch um das Jugendheim an der Nottkampstraße oder eine Kita an der Königstraße.