Gelsenkirchen. „Ambitioniert“: Warum Gelsenkirchen beim Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur so gut wegkam.

Erst Toronto, jetzt das Ruhrgebiet: Gerade noch reiste er mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) durch Kanada, um die Energiepartnerschaft mit dem nordamerikanischen Verbündeten zu stärken – jetzt besuchte Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) Gelsenkirchen. Es war gewissermaßen eine inhaltliche Fortsetzung seiner Kanada-Reise.

Der Vize-Kanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Energie ist seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der damit einhergehenden drohenden Energiekrise in Deutschland so etwas wie der Mann der Stunde im Kabinett von Olaf Scholz. Habecks Mission: Nichts weniger als die Versorgungslücke zu schließen, die durch die reduzierte Gas-Zufuhr aus Russland als Reaktion auf die europäische Sanktionspolitik entstanden ist.

Robert Habeck in Gelsenkirchen: „Müssen uns aus der Klammer russischer fossiler Importe befreien“

Seither versucht der Grüne Minister Wege zu finden, um Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Gas abzufedern. „Wir müssen uns so schnell wie möglich aus der Klammer russischer fossiler Importe befreien und konsequent in Klimaschutz investieren“, betonte der Vize-Kanzler auch noch einmal seine aktuelle Kernbotschaft in Gelsenkirchen.

Ein Baustein dafür soll auch das am Dienstag mit Kanada geschlossenes Bündnis zur Erzeugung und den Transport von Wasserstoff nach Deutschland sein. Bis aus dem rohstoffreichen, zweitgrößten Land der Welt Tankschiffe mit Flüssiggas gen Deutschland aufbrechen können, werden aber noch mindestens drei Jahre vergehen.

Klimahafen: Robert Habeck lobt Wasserstoff-Projekt in Gelsenkirchen

Dabei soll gerade auch grüner Wasserstoff helfen, die Klimawende zu schaffen. Um sich davon zu überzeugen, wie weit man dabei in Gelsenkirchen schon heute ist, haben sich Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) am Donnerstag den „Klimahafen Gelsenkirchen“ angesehen. Die Mitte 2021 gestartete Initiative umfasst inzwischen 17 Unternehmen unterschiedlichster Branchen – verstärkt durch die IHK Nord Westfalen, den Wissenschaftspark und die Stadt Gelsenkirchen.

Mona Neubaur (NRW-Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, Die Grünen, links) Robert Habeck (Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Die Grünen, Mitte) und Lars Baumgürtel (geschäftsführender Gesellschafter Zinq GmbH, rechts) beim Rundgang durch die Werkshalle der Zinq GmbH in Gelsenkirchen.
Mona Neubaur (NRW-Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, Die Grünen, links) Robert Habeck (Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Die Grünen, Mitte) und Lars Baumgürtel (geschäftsführender Gesellschafter Zinq GmbH, rechts) beim Rundgang durch die Werkshalle der Zinq GmbH in Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Gemeinsames Ziel des Klimahafens ist eine schnelle Transformation zur Klimaneutralität. Unerlässlich ist deshalb aus Sicht der Initiative eine Verlängerung der vom Bund geförderten Wasserstoffpipeline GetH2, die ab 2024 grünen Wasserstoff aus Norddeutschland bis nach Gelsenkirchen-Scholven transportieren soll. Die Unternehmen in Gelsenkirchen hoffen, bei den Wasserstoffstrategien von Bund und Land stärker als bisher berücksichtigt zu werden – ein Wunsch, der beim Vize-Kanzler augenscheinlich auf fruchtbaren Boden fiel.

„Projekte wie diese zeigen, wie ambitioniert viele Akteure daran arbeiten, konkrete Klimaschutzprojekte voranzutreiben“, lobte Robert Habeck die Gelsenkirchener Initiative vor Ort. Die aktuelle Lage zeige mehr denn je, dass Investitionen in Energieeffizienz und Wasserstoff notwendig seien, da sie nachhaltig und langfristig einen Beitrag für eine unabhängige Energieversorgung leisten würden, betonte der Wirtschaftsminister.

Auch NRW-Superministerin Mona Neubaur nennt Gelsenkirchener Klimahafen „wegweisendes Vorreiter-Projekt“

Auch Habecks Partei- und NRW-Amtskollegin Mona Neubaur, die im bevölkerungsreichsten Bundesland das Superministerium für Wirtschaft und Klimaschutz führt, schwärmte von dem Gelsenkirchener Projekt: „Wir wollen in Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas werden. Dafür brauchen wir Vorreiter-Projekte wie den Klimahafen Gelsenkirchen mit seinem Fokus auf Wasserstoff und Kreislaufwirtschaft“, so die stellvertretende Ministerpräsidentin.

Hier in Gelsenkirchen werde gezeigt, wie der nachhaltige Umbau der Industrie zur Klimaneutralität im Verbund gelingen könne. „Das ist wegweisend für viele andere Industriecluster in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus.“

Und offenbar ist es für die Wirtschaftsbetriebe auch gar nicht so kompliziert, wie Lars Baumgürtel, Sprecher der Initiative, bei dem Werksrundgang durch die Verzinkerei der Zinq GmbH verdeutlichte: „In vielen Bereichen der mittelständischen Industrie ist Wasserstoff der logische Ersatz für Erdgas, sodass viele Anwendungen relativ schnell umzustellen wären.“ Der Anteil der Prozesswärme liege bei fast zwei Drittel des Gesamtenergiebedarfs der Industrie, erläuterte Baumgürtel, der auch geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens ist.

Gelsenkirchener Initiative präsentiert sich als „Blaupause für die Transformation“

Das Potenzial, CO2-Emissionen zu vermeiden, sei entsprechend hoch. Allein bei sechs Unternehmen der Initiative mit hohem Prozesswärmebedarf könnten durch Umstellung auf grünen Wasserstoff pro Jahr bis zu 30.000 Tonnen CO2 eingespart werden, betonte Baumgürtel.

Gegenüber Bundesminister Habeck und Landesministerin Neubaur präsentierte die Initiative den „Klimahafen Gelsenkirchen“ mit allen dazugehörenden Maßnahmen letztendlich als „Blaupause für die Transformation anderer mittelständischer Industriecluster“.

DGB-Geschäftsführer Mark Rosendahl und IHK-Hauptgeschäftsführer Fritz Jaeckel als Initiatoren des Besuchs werten die Gespräche als wichtigen Beitrag, qualifizierte Arbeitsplätze in Gelsenkirchen zu sichern und Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Darüber hinaus ließen sich Habeck und Neubaur auch im anschließenden Gespräch das „Gelsenkirchener Modell“ vorstellen. Ziel dabei sind freiwillige Vereinbarungen zwischen hiesigen Unternehmen und Energieversorgern über Einsparmengen und Gasreduktionen, um die automatische Abschaltung von Industriebetrieben in den kommenden Wintermonaten zu verhindern.