Gelsenkirchen. Woran das Gelsenkirchener Schulamt denkt, falls sich bis August nicht mehr Lehrer beworben haben. Wieso Eltern dies für eine Katastrophe halten.

Alle Jahre wieder: Kurz vor Beginn des neuen Schuljahres fehlen besonders an Grund- und Förderschulen erneut zahlreiche Lehrkräfte. Und wieder müssen Kinder und Jugendliche von vertrauten Pädagogen Abschied nehmen, die plötzlich an andere Schulen abgeordnet werden, weil der Lehrermangel dort noch größer ist. Neu ist aber eine drastische Maßnahme, über die das Gelsenkirchener Schulamt nun nachdenkt, die bislang einzigartig im Regierungsbezirk Münster wäre.

65 Stellen sind es, die insgesamt zum 1. Juli fehlen an Gelsenkirchens Grund-, Förder-, Haupt-, Real- und Gesamtschulen, an der Sekundarschule Hassel sowie an den Gymnasien. Das Gros entfällt mit 35 bzw. zehn Pädagogen auf die Grund- und Förderschulen, so die Bezirksregierung Münster auf Nachfrage. Insgesamt zählt die Emscherstadt 3162 Lehrerinnen und Lehrer.

In Gelsenkirchen werden 78 Lehrkräfte von einer zur anderen Schule abgeordnet

Um eine „gleichmäßige Unterrichtsversorgung sicherzustellen“, so die Bezirksregierung, sind zum August insgesamt 89 Abordnungen geplant, 78 davon innerhalb des Schulbezirks, sprich: Lehrerinnen und Lehrer werden von einer Schule an eine andere in der Stadt abgegeben. Von anderen Städten werden elf Pädagogen nach Gelsenkirchen abgeordnet, neun davon an Grund- und Förderschulen.

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Konkret: 23 Lehrerinnen und Lehrer wechseln von einer Gelsenkirchener Grundschule zu einer anderen. Fünf Pädagogen werden im Zuge von Vorgriffsstellen von Gymnasien an Grundschulen abgeordnet. Bei den Förderschulen sind es gar 25 Lehrkräfte, die an eine weiterführende Schule des Gemeinsamen Lernens wechseln (weitere Zahlen s. Infobox unten).

Schulamt Gelsenkirchen erwägt mehrere Möglichkeiten, mit der Personalnot umzugehen

Eine Vollversorgung wird damit freilich in der Regel nicht erreicht. Und so hofft Fridtjof Unger vom Schulamt, „dass sich zum Ende des Schuljahres noch etwas tut bei der Lehrerversorgung.“ Falls dies nicht gelingen sollte? „Dann kann es passieren, dass wir die Pflichtstundenzahl an allen Grundschulen in Gelsenkirchen reduzieren müssen, damit überall die gleichen Lernbedingungen gelten“, bestätigt er eine entsprechende Information der Redaktion.

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Welche Fächer davon in welchem Umfang betroffen sein könnten, werde dann mit den Schulen und der Bezirksregierung abgestimmt, so Unger weiter. Denkbar seien darüber hinaus Zusammenlegungen von Lerngruppen, die Kürzung oder Streichung von Förderunterricht oder – etwa an Förderschulen – die Aufgabe von Doppelbesetzungen bei der Klassenleitung.

Stadtschulpflegschafts-Vorsitzender sieht Gelsenkirchener Kinder benachteiligt

Für Stadtschulpflegschafts-Vorsitzenden Jan Klug wäre die Kürzung der Pflichtstundenzahl bei Grundschülern „eine Vollkatastrophe“. „Dass ausgerechnet Gelsenkirchen mit seiner hohen Arbeitslosigkeit und Kinderarmut im Vergleich zu anderen Kommunen noch mehr benachteiligt wird“, sei „ein Unding.“

„In gut situierten Elternhäusern können Defizite durch die Finanzierbarkeit von Nachhilfe ausgeglichen werden. Kinder aus bedürftigen Familien haben da das Nachsehen. So geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf.“ Wenn überhaupt, seien Kürzungen nur als landesweite Maßnahme denkbar. „Die Bildungschancen müssen überall gleich sein.“

Gelsenkirchener Mutter: Innerstädtische Abordnungen sind reine Mangelverwaltung

Sein Sohn ist selbst von einer Stundenreduzierung betroffen: Die Förderschule an der Albert-Schweitzer-Straße werde aufgrund des Lehrermangels zum nächsten Schuljahr den Unterricht bereits um 14.30 statt 15.30 Uhr enden lassen. „Die Lehrerinnen und Lehrer leisten Herausragendes, aber gerade Förderschüler, die auf eine regelmäßige Tagesstruktur und Förderung angewiesen sind, leiden unter solchen sich verschlechternden Bedingungen.“

Daniela Isopp, Pflegschaftsvorsitzende der Liebfrauenschule in Beckhausen, kritisiert unterdessen die innerstädtischen Abordnungen. „Was wir brauchen, ist Hilfe von außen, keine Mangelverwaltung innerhalb der Stadt.“ Lehrer seien Landesbeamte, denen ein Einsatz in einer anderen Stadt durchaus zugemutet werden könne, erklärt sie vor dem Hintergrund, dass Gelsenkirchen für viele Lehrkräfte auf Stellensuche als unattraktiv gilt.

Gelsenkirchener Eltern bereiten Protest gegen mögliche Pflichtstunden-Kürzungen vor

Die Bezirksregierung betont derweil, dass es bei Grund- und Förderschulen landesweit Personalmangel gebe und dass die Kürzung der Pflichtstundenzahl im Grundschulbereich „noch nicht ausgemachte Sache“ sei. „Es kann zum Schuljahresbeginn auch noch weitere Abordnungen von anderen Schulformen geben“, um dem Personalmangel zu begegnen, so Sprecherin Diana Seibert-Tombült.

Darauf wollen Daniela Isopp und Jan Klug nicht warten. Sie bereiten schon mal Protestaktionen vor, für die sie unter den Pflegschaftsvorsitzenden der Grundschulen noch Mitstreiter suchen. Kontakt: klug@stadtschulpflegschaft-ge.de

Die WAZ Gelsenkirchen hat 2022 in einem Online-Dossier schwerpunktmäßig die Kinderarmut in Gelsenkirchen berichtet. Lesen Sie hier noch einmal die wichtigsten Texte:

Aus anderen Städten wechseln elf Lehrer nach Gelsenkirchen

An weiterführenden Schulen werden innerhalb der Schulformen keine Lehrkräfte abgeordnet, wohl aber wechseln fünf Pädagogen (2,5 Stellen) im Rahmen von Vorgriffsstellen von Gymnasien an Grundschulen. Drei Lehrer (1,5 Stellen) gehen ebenfalls über Vorgriffsstellen von Gymnasien an Förderschulen. Für Vorgriffsstellen wurden die zusätzlich ab Schuljahr 2026/27 (13. Jahrgangsstufe) benötigten Lehrkräfte an Gymnasien bereits zum Schuljahr 2020/21 vorzeitig unbefristet eingestellt und mit der Hälfte der Stundenzahl an andere Schulformen abgeordnet, um dort Bedarfe zu decken.

Im Rahmen des Gemeinsamen Lernens wechseln drei Kräfte (1,2 Stellen) von weiterführenden Schulen an andere weiterführende Schulen in Gelsenkirchen. Im Zuge von Vorgriffsstellen werden 14 Personen (7,5 Stellen) von Gymnasien an weiterführende Schulen abgeordnet.

Aus anderen Städten kommen elf Pädagogen nach Gelsenkirchen: Sieben Kräfte aus dem Münsterland wechseln für je zwei Jahre an eine Grundschule (dafür geht’s danach an ihre „Wunschschule“). Im Rahmen von Vorgriffsstellen werden je ein Gymnasial-Lehrer an eine Grund- und an eine Förderschule abgeordnet. Weitere Wechsel stehen ebenfalls im Vorgriff für zwei Lehrer von Bottroper Gymnasien an weiterführende Schulen in Gelsenkirchen an.