Gelsenkirchen-Buer. Wie Gastronom und FDP-Stadtverordneter Christoph Klug einst nach der Wiederholung von Klasse 8 durchstartete. Als Versager fühlte er sich nie.

Ob die Band ABBA nicht versetzte Schülerinnen und Schüler im Kopf hatte, als sie ihren Hit „The winner takes it all“ („der Gewinner bekommt alles“) veröffentliche? Fakt ist: Nicht wenige Kinder und Jugendliche starten in diesen Tagen niedergeschlagen in die Sommerferien, weil sie eine Klasse wiederholen müssen. Während Eltern sich oft um die (berufliche) Zukunft des Nachwuchses sorgen, kämpft dieser nicht selten beschämt mit dem Image des „Versagers“. Dass eine Ehrenrunde kein Weltuntergang sein muss, dafür gibt’s jedoch viele Beispiele – wie Christoph Klug, Gastronom und FDP-Stadtverordneter aus Buer.

Es war das Halbjahreszeugnis der achten Klasse auf dem Leibniz-Gymnasium, das die erste Zäsur in Klugs Schullaufbahn markierte. „Ich hatte schlechte Noten in Mathe und Englisch, in Latein sogar eine Sechs“, berichtet der 47-Jährige grinsend; all das liegt schließlich rund 35 Jahre zurück.

Als der beste Freund sitzenblieb, fehlte Gelsenkirchener die Motivation zum Lernen

Gastronom mit Leidenschaft: Christoph Klug steht oft genug selbst am Zapfhahn, hier 2017 im Lokal ohne Namen in Gelsenkirchen-Buer.
Gastronom mit Leidenschaft: Christoph Klug steht oft genug selbst am Zapfhahn, hier 2017 im Lokal ohne Namen in Gelsenkirchen-Buer. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

Warum ein Teil seiner Leistungen so, nun ja, unterdurchschnittlich war? „Nachdem mein bester Freund ein halbes Jahr zuvor sitzengeblieben war, fehlte mir total die Motivation zum Lernen. Ich hab mich schlicht hängenlassen“, erinnert er sich noch gut, wie seine Beurteilungen teils um drei/vier Noten in den Keller gingen.

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So weiterzumachen wie bisher, sich „nur“ deutlich mehr anzustrengen: Nein, das kam für den Sohn eines Architekten und einer Medizinisch-Technischen Assistentin nicht in Frage. „Anfangs kam ich mir schon doof vor, als ich überlegt habe, die achte Klasse zu wiederholen. So, als wäre ich nicht intelligent genug. Aber ich wollte einen Neuanfang. Also ging ich, obwohl meine Eltern das für falsch hielten, zu Beginn des zweiten Schulhalbjahres freiwillig runter in die 7. Klasse. Und das war richtig so!“

Alptraumfach Latein wurde schließlich besondere Leidenschaft des Gelsenkircheners

Sozial engagiert: Christoph Klug, (l.), hier mit Johannes Möller, Betreiber des Restaurants Hexenhäuschen, zählte 2019 zu den Ausrichtern einer Weihnachtsfeier für Obdachlose.
Sozial engagiert: Christoph Klug, (l.), hier mit Johannes Möller, Betreiber des Restaurants Hexenhäuschen, zählte 2019 zu den Ausrichtern einer Weihnachtsfeier für Obdachlose. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Denn es war nicht nur der beste Freund, der ihm den Start in der ansonsten fremden Lerngruppe erleichterte. „Irgendwie platzte auf einmal der Knoten, und mir erschien vieles, was ich vorher nicht verstanden hatte, ganz logisch.“ In Latein etwa war es ein von den Eltern engagierter Nachhilfelehrer, der die vermeintlich tote Sprache für den an Geschichte interessierten Jugendlichen zum Leben erweckte. So groß geriet die Begeisterung, dass er das Fach am liebsten als Leistungskurs für die Oberstufe gewählt hätte. „Aber leider kam der Kurs nicht zustande.“

Auch in Englisch verbesserte er sich, wozu sicher auch 1993 der achtmonatige Aufenthalt des Elftklässlers in den USA beitrug – die zweite, diesmal sehr positive Zäsur. „Dort habe ich sogar mein amerikanisches Abitur gemacht, weil ich in den Kursen genügend Punkte gesammelt hatte“, erzählt Klug schmunzelnd. Abschlussprüfungen gibt’s schließlich nicht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Durchs Abitur kam Gelsenkirchener Christoph Klug, „ohne zu lernen“

Christoph Klug als Leibniz-Gymnasiast um 1990: Nach dem ersten Halbjahr in Klasse 8 wechselte er freiwillig in die siebte Klasse.
Christoph Klug als Leibniz-Gymnasiast um 1990: Nach dem ersten Halbjahr in Klasse 8 wechselte er freiwillig in die siebte Klasse. © Unbekannt | Klug

Zurück in Deutschland, bestand er 1995 auch das deutsche Abi mit Leistungskursen in Englisch und Sozialwissenschaften sowie den Prüfungsfächern Mathe und Erdkunde problemlos – „ohne gelernt zu haben“, wie er sagt. „Dafür kann sich der Schnitt von 3,1 doch sehen lassen!“

Was folgte, war der 18-monatige Zivildienst bei der Caritas: Klug avancierte zur „Allzweckwaffe“ für die dort betreuten Seniorinnen und Senioren. „Ich hab’ alles gemacht, von Essen reichen über Wohnung putzen bis zum Einkauf. War eine gute Zeit, die mich persönlich auf jeden Fall weitergebracht hat.“

Das Jura-Studium brach Klug ab – und machte sich selbstständig

Dann das Jura-Studium in Osnabrück: „Ich habe sehr lange studiert und dann erfolgreich abgebrochen. Es war eben nicht das Richtige für mich.“ Klug hatte schon während des Studiums eine PR- und Werbe-Agentur gegründet und Pressetexte für Unternehmen geschrieben, als ein Freund ihn auf einen Fernstudiengang in Heidelberg in diesem Bereich aufmerksam machte, den der Bueraner auch mit dem Bachelor als PR-Berater abschloss.

Mitten in die Stellensuche hinein platzte 2006 das Angebot, die Szene-Kneipe Lokal ohne Namen an der Hagenstraße zu übernehmen. „Den Vertrag habe ich in einer Nacht- und Nebelaktion unterschrieben. Und plötzlich habe ich nicht nur Kommunikation gemacht, sondern war Gastronomie-Wirt.“

Mittlerweile betreibt Christoph Klug drei Lokale und sein buersches Label „Kiezliebe“

2007 übernahm er mit zwei Freunden das Lokal Bikini nebenan, das er seit 2013 alleine unter dem Namen Domgold führt; 2021 kam schließlich noch das L.ON deli gegenüber hinzu sowie das Label „Kiezliebe“, unter dem er Weine („Weiß- und SpätBUERgunder“), Bier („Urbanus-Pilsener“) und Likör („Heiliger Bimbam“) (nicht nur) für Heimatfreunde vertreibt.

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Mittlerweile ist Klug nicht nur erfolgreicher, sozial engagierter Gastronom mit dem Näschen für das gewisse Etwas in der buerschen Szene sowie aktuell Mit-Veranstalter des jüngsten Stadtfests in Buer – sondern auch, mit sechsjähriger Unterbrechung, seit 2012 FDP-Stadtverordneter und Mitarbeiter des FDP-Bundestagsabgeordneten und Bundes-Justizministers Marco Buschmann, dessen Stellvertreter als Kreisvorsitzender er auch ist. Über den blöden Spruch „Wer nichts wird, wird Wirt“ kann er nur müde lächeln, und über die Ehrenrunde vor 35 Jahren auch. Er ist längst angekommen und weiß: „Ich habe alles richtig gemacht.“