Gelsenkirchen-Horst. Wie die neue Ausstellung in Gelsenkirchen-Horst das adelige Leben und die Kunst feiert. Und was sie gerade Familien mit Kindern bietet.

Für viele ist es gute Tradition: Am Ende einer Ausstellung gibt’s ‘was auf die Gabel. Diese Gewohnheit greift das Erlebnismuseum Schloss Horst mit seiner letzten Erweiterung auf, die beim Internationalen Museumstag am Sonntag, 15. Mai, schon mal einen Vorgeschmack gibt auf die fast fertiggestellte Präsentation: Dort wird hemmungslos geschlemmt. Jedenfalls (virtuell) vom einstigen Schlossherr Rutger. Aber vielleicht ist das auch besser so. Serviert wird ein Schwan – historisch korrekt im vollen weißen Federkleid.

Der (präparierte) Vogel wirkt, als wäre er gerade auf der langen Festtafel gelandet: scheinbar noch mit den Flügeln flatternd, die schwarzen Knopfaugen auf die fünf projizierten Teller gerichtet. Keine Frage, was im Keller als Zeitreise in die Renaissance beginnt mit Einblicken in Leben und Arbeiten der Handwerker auf der Schlossbaustelle im Jahr 1565, es findet einen Abschluss im Obergeschoss mit einem Ausflug in „Adliges Leben im Emscherbruch“. Denn der ist nun nahezu komplett mit zwei Räumen, in denen getafelt, getanzt und gefeiert wird: das Leben und die Kunst.

Gelsenkirchener Schau illustriert: Taubenhaltung galt einst als Statussymbol

Adelige Esskultur ist ein Schwerpunkt der Ausstellungserweiterung des Erlebnismuseums Schloss Horst in Gelsenkirchen. Die Besucherinnen und Besucher können per Knopfdruck weiterführende Informationen anfordern – und an einem Quiz teilnehmen.
Adelige Esskultur ist ein Schwerpunkt der Ausstellungserweiterung des Erlebnismuseums Schloss Horst in Gelsenkirchen. Die Besucherinnen und Besucher können per Knopfdruck weiterführende Informationen anfordern – und an einem Quiz teilnehmen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Wie schon beim 2010 eröffneten ersten und 2017 fertiggestellten zweiten Teil setzen die Ausstellungsmacher um den früheren Schloss-Leiter und Kunsthistoriker Elmar Alshut darauf, die lokale Alltagsgeschichte im Be-Greifen zu entdecken. Nur gucken, nicht anfassen: Das gilt nicht in Horst, zum Glück! Hier erleben Besucherinnen und Besucher Vergangenes vielmehr mit allen Sinnen.

Das zeigt schon der Übergang vom Studierzimmer Rutgers von der Horst (1519-1582) zum neuesten Ausstellungsabschnitt: Er ist der Taubenhaltung gewidmet, Gurren vom Band inklusive. Während die Vögel heute vielfach als parasitenbehaftete „Ratten der Lüfte“ gelten, war deren Haltung im 16. Jahrhundert zumeist Klöstern und Adelshöfen vorbehalten. Sprich: Als Statussymbole markierten sie den besonderen Rang ihres Halters. So erklärt sich, warum so ein prestigebewusster Adliger wie Rutger nicht nur jagte, sondern 1553 den Bau eines Taubenhauses in Auftrag gab.

Gelsenkirchener Museum erklärt Trinkgewohnheiten der Renaissance mit Augenzwinkern

Von der Skizze zum Wandgemälde: Der neue Ausstellungsabschnitt im Erlebnismuseum Schloss Horst in Gelsenkirchen veranschaulicht die Technik, mit der auch Michelangelo die Sixtinische Kapelle in ein rauschhaftes Kunst-Erlebnis verwandelte.
Von der Skizze zum Wandgemälde: Der neue Ausstellungsabschnitt im Erlebnismuseum Schloss Horst in Gelsenkirchen veranschaulicht die Technik, mit der auch Michelangelo die Sixtinische Kapelle in ein rauschhaftes Kunst-Erlebnis verwandelte. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Während in einem Wasserdampf-Kamin ein simuliertes Feuer knistert, illustriert der Hauptraum die Esskultur bei Hofe mit einem Quiz. Dafür werden Fragen auf das weiße Tischtuch projiziert; die Antwortmöglichkeiten können wie auf dem Touchscreen eines Smartphones angewählt werden. So erfahren Besucherinnen und Besucher, dass Nutzer eines so genannten Sturzbechers mehr als trinkfest zu sein hatten, schließlich musste dieser wegen eines fehlenden Fußes in einem Zug geleert werden. Ein paar Meter weiter ist der berühmte Horster Sturzbecher dann als Replik zu sehen.

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Anhand kurzweiliger Texte können sich Interessierte auch über Musik in der Renaissance informieren, auf Wunsch einzelne Instrumente wie Flöte, Laute, Harfe oder Organetto in den akustischen Vordergrund stellen oder sich auf Knopfdruck verschiedene Schreittänze vorführen lassen.

Gelsenkirchener Schloss-Leiter: Bildung spielerisch vermitteln, nicht mit Holzhammer

„Uns ist bewusst, dass die Museums-Besucherinnen und -Besucher schon eineinhalb Stunden im Haus unterwegs waren, wenn sie hier oben ankommen. Deshalb wollten wir ihnen zum Abschluss ein paar Schmankerl bieten, bei denen sie selbst aktiv werden“, begründet Schloss-Leiter Hans-Joachim Siebel das erlebnispädagogische Konzept, das sich freilich durch die gesamte Ausstellung zieht und besonders Familien mit Kindern im Blick hat.

Besondere Aktionen zum Museumstag am Sonntag

Zum Internationalen Museumstag am Sonntag, 15. Mai, ist das Erlebnismuseum Schloss Horst von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Dabei werden nach einer coronabedingten Pause auch wieder Audioguides ausgegeben. Für den neuen Ausstellungsabschnitt werden von 13 bis 17 Uhr Führungen angeboten, da der so genannte Zeitmeister mit seiner audiovisuellen Information für diesen Bereich noch nicht fertiggestellt ist. Auch einige Texttafeln sind noch geplant.

Auf die Besucherinnen und Besucher warten darüber hinaus eine Bilderzeitreise, ein Kinderprogramm, ein Mittelalter-Barde mit einer musikalischen Vorführung, eine Greifvogel- und Eulenschau sowie Kaffee und Kuchen. Auch die Historische Druckwerkstatt in der Vorburg hat geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Stadt Gelsenkirchen, Landschaftsverband Westfalen-Lippe und Förderverein haben in den Aufbau des gesamten Museums im Laufe der vergangenen Jahre eine hohe sechsstellige Summe investiert, so Schloss-Leiter Siebel. Auch viele Privatleute und Unternehmen spendeten Geld. Im Herbst 2022 soll der letzte Museumsabschnitt komplett fertiggestellt sein.

So können Mädchen und Jungen an einer Station in Kettenhemden und Rüstungen schlüpfen und sich mit einem (befestigten) Schwert fotografieren lassen – vor dem historischen Hintergrund, dass Rutger als Dienstadeliger seine private Truppe von Leibwächtern und Waffenknechten mit einer Schutzausrüstung versehen musste. „Wir wollen spielerisch Bildung vermitteln, nicht mit der Holzhammermethode“, so Siebel.

Benimmregeln des 16. Jahrhunderts gelten auch heute noch: Nase-Bohren ist unfein

Dass dies immer wieder mit einem humorvollen Augenzwinkern erfolgt, macht den besonderen Charme (nicht nur) dieses Ausstellungsabschnitts aus: Wenn in bewegten Bildern Benimmregeln des 16. Jahrhunderts visualisiert werden, wonach Besteck zu benutzen, Nase-Bohren und Blähungen aber zu unterlassen sind; wenn an einer Wand die Arbeitsschritte von der Skizze zum Wandgemälde veranschaulicht werden, eben jener Technik, mit der auch Michelangelo die Sixtinische Kapelle in ein rauschhaftes Kunst-Erlebnis verwandelte – dann dürfte dies bei vielen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und mit ihm die Erkenntnis: Geschichte kann richtig Spaß machen!

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Der kleinere Ausstellungsraum nebenan holt die Besucher schließlich ins 21. Jahrhundert zurück: Eine unverputzte Wand enthüllt den historischen Kamin oder vielmehr das, was davon übrig ist. Die gegenüber stehenden Aktenordner mit wissenschaftlichen Schriften machen unterdessen deutlich: Die Präsentation ist Ergebnis mühevoller Forschung.

Museumspädagogik im Schloss Horst ist nach Monaten der Vakanz wieder besetzt

Museumspädagogin Dörte Rotthauwe, von Haus aus Historikerin, ist dem Gelsenkirchener Schloss Horst seit Ende der 1990er Jahre eng verbunden.
Museumspädagogin Dörte Rotthauwe, von Haus aus Historikerin, ist dem Gelsenkirchener Schloss Horst seit Ende der 1990er Jahre eng verbunden. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Dass Geschichte spannend ist, aber auch Arbeit macht, weiß Dörte Rotthauwe nur zu gut: Die 60-Jährige hat Anfang des Jahres die neue geschaffene volle Museumspädagogik-Stelle im Schloss Horst übernommen, um die es einige Querelen gegeben hatte. Wie berichtet, war diese Position ebenso wie die einer Verwaltungsmitarbeiterin beim Förderverein angesiedelt gewesen. Als dieser Mitte 2021 zeitweilig vor der Auflösung stand, forderte er die Verwaltung auf, zwei entsprechende Stellen bei der Stadt zu schaffen – was am Ende auch gelang.

Mit der in Gelsenkirchen geborenen Wahl-Bochumerin Rotthauwe tritt eine Historikerin an, die dem Schloss seit Studienzeiten Ende der 1990er Jahre verbunden ist: Damals führte sie Besuchergruppen über die Baustelle, zeichnete Steinfunde, inventarisierte Quellen und übernahm ab 2003 Verwaltungsarbeiten im Kulturreferat. Ihre romantischen Schlossführungen bei Kerzenlicht, die sie bis 2017 anbot, entwickelten sich zum Publikumsmagneten, auch ihre Vorträge über Hexenprozesse in der Grafschaft Lippe – das Thema ihrer Magisterarbeit – stießen auf großes Interesse.

Als Museumspädagogin mit Erfahrungen in anderen Häusern im Revier will Rotthauwe die Dauerausstellung über die Grenzen Gelsenkirchens hinaus bekannter machen, verstärkt auch online und in sozialen Medien Werbung für „ihr“ Schloss machen. „Da ist noch viel Luft nach oben“, ist sie überzeugt. „Viele wissen gar nicht, was es hier zu erleben und zu erfahren gibt. Das ist ein echtes Pfund in der Museumslandschaft.“ Die Arbeit mit Schulen und Kindergärten soll fortgesetzt werden, ebenso die Kindergeburtstage.