Gelsenkirchen. Putins Truppen kommen näher, aber Jürgen Hansen bleibt in der Ukraine. Warum er ständig an seine Grenzen gehen muss – und nun auch Tieren hilft.

  • Jürgen Hansen aus Gelsenkirchen ist weiterhin in der Zentralukraine – obwohl die Situation auch dort mittlerweile dramatisch gefährlich ist.
  • Besonders gebraucht werden dort aktuell Werkzeuge für Aufräumarbeiten.
  • Auch dem örtlichen Tierheim will Hansen nun gemeinsam mit der Gelsenkirchener Tiertafel helfen. Denn die Tiere seien „ganz unten in der Kette“ und in einer katastrophalen Lage.

Wie eine „Kraterlandschaft auf dem Mond“ sehe es mittlerweile dort aus, wo vor einem Monat die ersten russischen Raketen in Krementschuk einschlugen: Der Gelsenkirchener Jürgen Hansen ist immer noch in der Zentralukraine – obwohl die tödliche Gefahr des Krieges mittlerweile überall lauert. „Die Russen haben gar keine Hemmungen mehr, sie bomben die Knotenpunkte der Eisenbahn hier kaputt, die bomben die Schulen kaputt und die großen Kreuzungen an den Hauptstraßen“, erzählt uns der 65-jährige SPD-Ratsherr, der vor Ort humanitäre Hilfe leistet. Doch auf jede Zerstörung folgen die Aufräumarbeiten: Was die Ukrainer vor Ort aktuell am meisten gebrauchen können seien Spaten, Schubkarren, Kreuzhacken, Brechstangen – „grobes Handwerkszeug eben.“

Mit dem Gelsenkirchener Stadtwappen an der polnisch-ukrainischen Grenze: Jürgen Hansen (2.v.r.) und sein Helferteam haben mittlerweile auch zwei Krankenwagen in die Ukraine gebracht.
Mit dem Gelsenkirchener Stadtwappen an der polnisch-ukrainischen Grenze: Jürgen Hansen (2.v.r.) und sein Helferteam haben mittlerweile auch zwei Krankenwagen in die Ukraine gebracht. © Privat | Jürgen Hansen

Große Angst vor russischer Generalmobilmachung am 9. Mai

Die Situation in Krementschuk, wenige Kilometer entfernt von Hansens Haus in Switlowodsk, ist bereits brandgefährlich. Mit Sorge hatte Hansen, der mittlerweile selten ohne schusssichere Weste aus dem Haus geht, auch auf den 9. Mai und die mögliche russische Generalmobilmachung geblickt. Dass sich Putin nun doch erst einmal zurückhaltender gezeigt hat, „ist eine unglückliche Erleichterung für mich und für alle hier“. Dennoch wisse man nie, was der russische Präsident noch vorhabe. „Bei einer Generalmobilmachung hätte das ganze Land gebrannt“, sagt Hansen, der beim Eintreten einer solchen Eskalationsstufe schnellstmöglich versuchen würde, zurück nach Gelsenkirchen zu kommen – aber erst dann.

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Solange will Hansen dort, wo er eigentlich seinen Ruhestand genießen wollte, weiter „Putin seinen Krieg versauen“. Fünf Hilfstransporte mit Medikamenten, Konserven und mehr hat der Gelsenkirchener Kommunalpolitiker seit Beginn des Angriffskriegs vor rund zwei Monaten in die Zentralukraine bringen können. Der geschätzte Gesamtwert: eine halbe Million Euro. Auch zwei Krankenwagen hat er über die Grenze gebracht – trotz zahlreicher bürokratischer Hürden. Zum Beispiel ist es der fehlende TÜV gewesen, der dem Ausfuhrkennzeichen für einen der Rettungsautos im Weg stand.

Gelsenkirchener Jürgen Hansen: Kaum Sprit mehr in der Ukraine

Funktioniert hätte es mit den Konvois wohl nicht, wenn Hansen nicht immer wieder bereit wäre, an seine Grenzen zu gehen und sich mit Leuten anzulegen, die seiner Mission im Weg stehen. Exemplarisch dafür steht eine Situation an einer Tankstelle, die angesichts des aktuellen Sprit-Mangels im Land keinem Kunden mehr als zehn Liter verkaufen wollte. Unter großem Protest – irgendwann mussten sich Hansen zufolge sogar Polizeibeamte vor Ort einmischen – gestattete ihm der Betreiber der Tankstelle dann doch, 50 Liter einzukaufen. „Ich dachte dann, die anderen Leute an der Tanke würden mich steinigen.“

„Meine Nachbarin, die alte Olga. Wir haben ihr ein Päckchen aus Deutschland mitbringen lassen und zwei neue Krücken. Sie hat geweint und wollte es nicht nehmen“, erzählt uns der Gelsenkirchener Jürgen Hansen zu diesem Foto.
„Meine Nachbarin, die alte Olga. Wir haben ihr ein Päckchen aus Deutschland mitbringen lassen und zwei neue Krücken. Sie hat geweint und wollte es nicht nehmen“, erzählt uns der Gelsenkirchener Jürgen Hansen zu diesem Foto. © Privat | Jürgen Hansen

Stellt sich in solchen Momenten die Frage, ob man derjenige ist, der die 50 Liter tatsächlich am meisten gebrauchen kann? Macht man sich Gedanken über die Schicksale der anderen Kunden? „Man muss sich doch die Frage stellen, was wichtiger ist: Die Privatperson, die mit 50 Litern 18 Mal zum Supermarkt fährt – oder dass man mit voller Ladung einen Krankenwagen zum Ziel bringt, damit eine ganze Stadt davon profitieren kann?“, sagt Hansen. Man dürfe in solchen Momenten nicht zweifeln und grübeln. „Man muss machen.“

Das Problem mit dem fehlenden Sprit ist Hansen zufolge in der Ukraine aktuell besonders groß. „Selbst unser Oberbürgermeister hat kein Benzin mehr“, sagt er. Die Supermarktregale seien dagegen wieder etwas voller. „Warum das so ist, weiß ich nicht, aber wir haben am Basar sogar eine Ente bekommen, die wir uns bald gönnen wollen."

So sieht es in dem Tierheim in Krementschuk aus, das Gelsenkirchener Jürgen Hansen nun unterstützen möchte.
So sieht es in dem Tierheim in Krementschuk aus, das Gelsenkirchener Jürgen Hansen nun unterstützen möchte. © Privat | Jürgen Hansen

Notleidende Tiere: Jetzt will sich Jürgen Hansen um das Tierheim vor Ort kümmern

In dem Krankenwagen, den Jürgen Hansen zuletzt nach Switlowodsk gefahren hat, war auch Medizin für die Tiere aus dem Tierheim. „Sie sind ganz unten in der Kette und leiden besonders“, sagt Hansen – und gibt zu, dass ihm fast die Tränen kamen beim Einblick der dort lebenden, völlig ausgehungerten Hunde und Katzen. „Sie sind alle krank, haben alle eitrige Augen, weil es keine Behandlungsmittel gibt.“

Abgabestelle für Spenden

Spenden für die Ukraine nimmt weiterhin die „Task Force Flüchtlingshilfe“ entgegen.

Die Abgabestelle ist die Georgskirche an der Franz Bielefeld Str. 38. Abgabezeiten: mittwochs von 10 bis 17 Uhr und samstags von 10 bis 17 Uhr.

Hansens „Task Force Flüchtlingshilfe“, deren Mitarbeiter einen Großteil der Spenden aus Gelsenkirchen koordinieren, arbeitet eng zusammen mit Cornelia Keisel von der Tiertafel. Sie will im Mai mit einem Großtransporter voller Futtermittel ebenfalls in die Ukraine reisen, um das Tierheim vor Ort zu unterstützen. „Für die Tiere hier wäre das wie Ostern und Weihnachten zusammen.“ Und vielleicht, so hofft Hansen, ist bis dahin ja auch Werkzeug für die Aufräumarbeiten zusammengekommen, das direkt mittransportiert werden kann.