Gelsenkirchen-Horst. Die Frauengruppe „Roß und Ridersch“ erforscht und vermittelt historische Frauenreitkultur. Wirkungsbereich ist Schloss Horst in Gelsenkirchen.
„Unser Bild der Frau im Mittelalter muss neu gedacht werden. Da gab es nicht nur das Heimchen am Herd“, sagt Dörte Rotthauwe: „Es veränderte sich viel durch die Reformation. Kauffrauen zum Beispiel waren eigenständig. Frauen waren selbstständiger und lebten selbstverständlicher, als wir es heute denken.“ Die Rolle der Frau ist das Steckenpferd der Historikerin und Museumspädagogin, die, das passt zur Metapher, eben dies erforscht, lebt und erfahrbar macht am Beispiel der Frauenreiterei in der Renaissance.
Gemeinsam mit Anne Monetha, Germanistin, Pferdetrainerin und gelernte Sattlerin, gründete sie 2014 die Frauengruppe „Roß und Ridersch“, modern gesagt, „Pferd und Reiterin“. Jedoch: Um die Moderne geht es bei der historischen Truppe nicht. „Wir kennen uns über eine Reitschule und waren gemeinsam beim Gaudium am Schloss Horst in Gelsenkirchen mit dabei. Danach haben wir gesagt, wir gründen eine eigene historische Gruppe.“
So viel verrät die „Reitlehre“ aus dem 15. Jahrhundert
Die widmet sich nun zum großen Teil der „Living History“, der gelebten Geschichte. „Uns geht es darum, die Lebensweise und Mentalität der Menschen, speziell von Frauen, zu erforschen und darzustellen.“ Schnell finden die Frauen Spannendes, etwa die Schriften der Christine de Pizan. Im 15. Jahrhundert ist sie professionelle Autorin. „Wir empfinden sie heute als sehr emanzipiert. Tatsächlich steckt dahinter ein ökonomischer Druck, als Witwe die Kinder ernähren zu müssen“, weiß Anne Monetha. „Dafür wurde sie damals bemitleidet. Das ist immer eine Frage der Perspektive.“
Während Christine de Pizan zu vielen Themen schreibt, veröffentlicht sie auch eine bis heute bekannte Reitlehre. Eine, die durchaus vermuten lässt, dass Frauen selbstbewusste Reiterinnen waren, nicht nur zur Zierde im Damensattel durch Parkanlagen flanierten, nur eben nicht spazierenderweise, sondern hoch zu Roß. „Das gab es natürlich auch“, weiß Anne Monetha und verrät, auch Männer hätten das gemacht. „Ich habe Kontakt zu einer Frau, die historische Reitkleider aus dem Mittelalter nacharbeitet. Die legen den Schluss nahe, dass Frauen auch normal geritten sind“, sagt Dörte Rotthauwe. Mussten sie auch, zumindest, wenn sie vorwärts kommen wollten. Wahnsinnig zweckmäßig sei so ein Damensattel nämlich nicht.
Manche Details erfahren die Frauen durch Ausprobieren
So versuchen die Frauen, historische Reitkultur nachzubilden und darüber Geschichte besser zu verstehen. „Ich habe zum Beispiel einen historischen Reitrock nachgearbeitet und mich zuvor immer gefragt, warum die alle Scheinärmel haben, zusätzlich zu den eigentlichen“, berichtet Anne Monetha von einer dieser besonderen Erfahrungen. „Erst als ich den ausprobiert habe, habe ich festgestellt, dass die genau die Luft in die Schulter bringen, damit die echten Ärmel das Spiel haben für eine Bewegung der Arme. So etwas erfährt man nur, wenn man es ausprobiert.“
Mitglied werden – auch ohne Pferd
Die Frauengruppe „Roß und Ridersch“ besteht aktuell aus fünf Frauen – und sechs Pferden. Stets sei man offen für interessierten Zuwachs, betonen Dörte Rotthauwe und Anne Monetha. Ein eigenes Pferd zu haben, sei keine Voraussetzung. Vielmehr könne man aktuell zur Mitgliedschaft eine Reitbeteiligung anbieten.
Die Truppe, die sich auch als „Ruhrpottmädels“ bezeichnet, bietet weitere Informationen auf der eigenen Internetseite unter renaissance-pfer.de.tl oder auf der eigenen Facebookpräsenz.
Weil sie selbst so fasziniert sind, wollen die Frauen ihr Wissen teilen, besuchen Veranstaltungen und Festivals wie das Gaudium, um Menschen Geschichte zu erklären, sie im wahrsten Sinne begreifbar zu machen. Oder sie sind, wie Dörte Rotthauwe, im Museum Schloss Horst tätig. „Ohne Corona wären wir viel unterwegs gewesen in diesem Sommer“, sagt Anne Monetha. Wann man damit wieder starten könne, sei aktuell natürlich ungewiss. Im kleinen Kreis treffen sich die Frauen aber weiter, denken auch über Zeitreisen über ein ganzes Wochenende hinweg nach. Um für ein paar Tage ganz einzutauchen in die spannende Vergangenheit, die ihnen so viel Aufschluss gibt über die Wurzeln vieler heute alltäglicher Dinge.
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