Gelsenkirchen. Gelsenkirchener Alex Hellwich bringt seit März über 30 Ukrainer in seinen Zimmern unter und fragt: Warum genehmigt die Stadt keine Wohnungen?
- Der gebürtige Russe Alex Hellwich hat seit März über 30 Ukrainer in seinen Monteurzimmern in Gelsenkirchen untergebracht.
- Mit seiner Hilfe setzt er seine eigene Existenz aufs Spiel. Denn normalerweise verdient Hellwich mit den Zimmern seinen Lebensunterhalt.
- Helfen könnte schnelle Genehmigungen für eigene Wohnungen für die Flüchtlinge. Doch auf die wartet Hellwich mittlerweile seit Wochen.
Eines ihrer Kinder, ihren 20 Jahre alten Sohn, musste Halina Tronchuk zurücklassen. Die Ukrainerin entschied sich, zumindest ihre 12-jährige Tochter in Gelsenkirchen vor dem Krieg in Sicherheit zu bringen. Doch minütlich, das erzählt Deutsch-Russe Alex Hellwich, der ihr aktuell stets zur Seite steht, plage sie die Sorgen um ihren Sohn, der jederzeit an die Front geschickt werden könnte.„Wie verstörend ist bitte dieser Gedanke, sich zwischen seinen Kindern entscheiden zu müssen?“, sagt er. Und dann auch noch das: In Gelsenkirchen gab es nach einem Bluttest einen Tuberkulose-Verdacht bei Tronchuks Tochter. Drei Tage musste sie in einer Klinik bleiben. Ruhe, einen Rückzugsort bräuchte man in solch schattigen Lebensphasen – doch darauf müssen nicht nur Tronchuk und ihre Tochter seit Wochen verzichten.
Gelsenkirchener hat zig Wohnungsangebote für Ukrainer – doch keines wird genehmigt
Denn eine Genehmigung für eine Wohnung bekommen nicht nur die 41-jährige Ukrainerin und ihre Tochter seit Wochen nicht. Alle etwa 35 Flüchtlinge, die Alex Hellwich nach Beginn des Angriffskriegs in seinen kurzerhand leergezogenen Monteurzimmern unterbrachte, warten auf das Okay vom Amt für eine eigene Wohnung. Und das, obwohl Alex Hellwich, wie er mit einem entsprechenden Mail-Verkehr bezeugen kann, schon im März die ersten Wohnanfragen an die Stadt schickte.
170 Fälle gibt es nach Angaben der Stadt, in denen sich Ukrainer selbst Wohnungen in Gelsenkirchen gesucht haben oder über Bekannte oder Helfer haben suchen lassen. 70 Prozent davon hätten bislang bestätigt werden können. Damit die Menschen ordnungsgemäß einziehen können und die Mietkosten übernommen werden, muss eine entsprechende Anfrage an das Sozialamt geschickt werden. Übernommen werden dort nur jene Wohnungen, die im Rahmen sind – also deren Größe und Mietpreis nicht die Grenze überschreitet, die auch für Hartz-IV-Empfänger als angemessen betrachtet werden. Für Drei-Personen-Haushalte sind das 80 Quadratmeter und 530 Euro Warmmiete. Mehr zum Thema: Wohnungen für Flüchtlinge: Wenn aus Not Profit gemacht wird
Wohnungen für ukrainische Flüchtlinge: Bearbeitungszeit bis zu 7 Wochen
„Wir haben die Menschen aufgenommen, angemeldet, passende Wohnungen für sie gesucht und gefunden, also all die Vorarbeit geleistet. Die Stadt müsste nur noch ihre Bestätigung geben“, sagt Hellwich. Stattdessen erhielt er, nachdem er sich über den Stand der Bearbeitung informieren wollte, erst am 21. April wieder eine Mail vom Sozialamt, in der es heißt: „Leider - aufgrund von Personalmangel - kann die Bearbeitung mittlerweile bis zu 7 Wochen dauern.“
Was die Wartezeit besonders brisant macht: Hellwich verdient normalerweise seinen Lebensunterhalt, ernährt seine zwei erwachsenen Kinder mit den Monteurwohnungen, in denen die Menschen aus der Ukraine seit Wochen kostenlos auf engem Raum zusammenleben. „Es wird auch für mich schwierig“, sagt er. Im Sozialamt habe man ihm geraten, die Menschen ausziehen zu lassen. In Sammelunterkünften werde sich die Stadt um sie kümmern. „Aber das kann ich doch nicht einfach machen“, sagt er. „Wie soll ich diesen Leuten jetzt sagen, dass sie verschwinden sollen?“ Gerade als gebürtiger Russe sei er da in einer schwierigen Situation, wenn er das Signal gebe, dass seine Hilfsbereitschaft jetzt am Ende sei. „Wenn, dann hilft man auch bis zum Schluss!“
Verzweiflung bei ehrenamtlich aktivem Gelsenkirchener: „Das ist nicht menschlich!“
„Man sollte Alex danken und ihn nicht immer nur vertrösten“, meint Vladimir Osmolovski, der ebenfalls mit seinem Latein am Ende ist. Hauptberuflich bietet er Behörden- und Beratungsservice für die russischsprachige Community an, aber derzeit ist der Gelsenkirchener ebenfalls vor allem ehrenamtlich unterwegs ist, um Ukrainern zu helfen. Privat hat er aktuell ein altes Ehepaar aufgenommen, das gesundheitlich in keiner guten Verfassung ist.
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Es sei zunächst in der Wohnung eines Bekannten untergekommen. Doch manche Leute, das betont Osmolovski, würden an ihre Grenzen kommen, wenn sie die Menschen plötzlich viel länger bei sich aufnehmen müssten als zunächst gedacht. „So ein altes, traumatisiertes Ehepaar kann man aber doch nicht einfach in eine Sammelunterkunft bringen, nachdem diese bereits so lange privat untergebracht waren“, sagt er. „Das ist nicht menschlich.“
Ärger um Wohnungen für Ukrainer: So reagiert die Stadt Gelsenkirchen
Nachdem unsere Redaktion Sozialdezernentin Andrea Henze mit Alex Hellwichs Lage konfrontiert hat, versicherte sie, sich möglichst schnell um eine Klärung zu bemühen – nicht nur, was die Wohnungen für die Menschen, sondern auch was die Erstattung von Kosten angeht, die bei Hellwich durch die Unterbringung in den letzten Wochen entstanden sind. Hier sei schnell eine „unbürokratische Lösung“ möglich, so Henze. Hellwichs Frust und Ärger könne man nachvollziehen.
Gleichzeitig betonte Henze jedoch auch, dass der Ukraine-Krieg auch für die Stadt sehr plötzlich gekommen sei. „Wenn es neue Aufgaben gibt und schnelle Lösungen aus dem Boden gestampft werden müssen, gibt es Reibungsverluste“, so Henze. Priorität der Stadt sei zunächst gewesen, Sammelunterkünfte vorzubereiten. Da dies gelungen sei, könne man sich nun auf die Wohnungsvermittlung fokussieren. „Unsere Intention ist es, die Menschen so schnell wie möglich, in eigene Wohnungen zu bringen.“ Gerade bei schulpflichtigen Kindern sei es wichtig, ihnen schnell eine entsprechende Ruheatmosphäre fürs Lernen zu ermöglichen. In Henzes Referat seien deshalb mittlerweile mehrere Mitarbeiter abgestellt, die sich nur mit der Wohnungsthematik befassen. Die Anfragen arbeite man schrittweise ab.