Gelsenkirchen. Bei der Feuerwehr Gelsenkirchen ist die Verantwortung groß. Wer zur Tauchstaffel gehören will, muss sich sprichwörtlich hohem Druck stellen.
Es hat etwas von Raumfahrer-Atmosphäre, wenn die Kompressoren ihre Schwerstarbeit beginnen. Es zischt und rauscht dramatisch, als manövrierten Raketen eines Space-Shuttles einen tonnenschweren Koloss in die richtige Position. Hier am Bergmannsheil in Buer bewegt sich aber kein solches interstellares Schwergewicht. Rund um die 20 Tonnen schwere Druckkammer aus dickem Stahl strömen Tausende Liter Luft durch Rohre und Düsen und lassen die Herzen der sechs angehenden Feuerwehrtaucherinnen und -taucher im Innern schneller schlagen: Druckkammer-Test bevor es real ans Abtauchen geht.
Erster Härtetest in Druckkammer für Gelsenkirchener Feuerwehr-Tauchnachwuchs
Gut 35 Minuten dauert der „Tauchgang“. In 30 Metern Tiefe reagiert der Körper anders, die Feinmotorik lässt beispielsweise nach. „Es besteht die Gefahr, dass die Taucher ihre Reaktion falsch einschätzen“, sagt Lehrtaucher und Tauchstaffel-Leiter Marcus Frenthoff von der Berufsfeuerwehr Gelsenkirchen. Bei der Rettung eines Menschen kann das fatal sein. Deshalb müssen die Taucher wissen, wie ihr Körper in größeren Tiefen reagiert. Außerdem müssen sie ständig den Druck ausgleichen, sich die Nase zuhalten und dann gegenpusten.
„Manche werden ohnmächtig, wenn sie unter Wasser zu hektisch werden und sich überanstrengen“, sagt Christian Möllenbeck, der als Taucharzt und Druckkammerarzt der Klinik die Retter in spe einweist und begleitet. Der Mediziner ist selbst passionierter Taucher und engagiert sich bei der Freiwilligen Feuerwehr. Andere verlören die Nerven und hyperventilierten. Um solche Gefahren müssen die Taucher wissen und damit umgehen können. Denn unter Wasser müssen die Retter nicht selten mit schwerem Gerät arbeiten – sie schrauben, sägen und meißeln meist in einem schlammigen Fluss, See oder Kanal, wo man kaum die Hand vor Augen sieht. Wissen, was man tut und wie, das ist Sinn und Zweck dieser Übung und etlichen Tauchgängen hiernach.
30-köpfige Taucherstaffel der Gelsenkirchener Feuerwehr
30 einsatzbereite Taucher hat die Berufsfeuerwehr Gelsenkirchen, mindestens vier sind immer 24 Stunden einsatzbereit. Heimat des Tauchertrupps ist die Wache Heßler. Neben der Rettung von Menschen gehört auch das Bergen von Gegenständen wie Diebesgut zu ihren Aufgaben. Am Montag hat der 24. Tauchergrundlehrgang begonnen, er dauert neun Wochen.
Auf 30 Metern Tiefe, das entspricht einem Umgebungsdruck von vier bar, geht es „heiß“ her. Knapp über 40 Grad Celsius ist auf dem Digital-Thermometer am Bedienpult von Jörg Simon abzulesen. Simon ist pflegerischer Leiter des HBO-Teams, das Kürzel steht für „Hyperbare Oxygenation“. Das HBO am Bergmannsheil ist mit seinen beiden Druckkammern, auch für Intensivpatienten, das größte Zentrum Deutschlands für diese Art der speziellen Sauerstofftherapie, mit der Brandopfern nach einer Rauchgasvergiftung ebenso geholfen wird wie Diabetes-Patienten oder solchen mit hartnäckigen Infektionen, Wundheilproblemen oder Long-Covid. Lesen Sie dazu auch: [Abtauchen zur Druckkammerbehandlung in Gelsenkirchen]
Warum den Probanden die „Pumpe“ geht und der Schweiß in Strömen von der Stirn rinnt, veranschaulichen bunte Luftballone, die die sechs im Innern aufgeblasen haben. Der Luftballon hatte an der Wasseroberfläche (zum Start) bei einem Umgebungsdruck von einem bar, ein Volumen von einem Liter. Auf 30 Metern Tiefe, bei vier Bar, ist er nur noch ein schrumpeliges Abbild seiner selbst und verfügt gerade einmal über ein Viertel seines ursprünglichen Volumens (0,25 Liter).
Gelsenkirchener Probanden erfahren vom Wasserdruck mit gefährlichen Nebenwirkungen
Die Wassermassen drücken arg auf den Körper und natürlich auf die Lungen. Wer da ein Auto aufbrechen muss in der Tiefe, um einen Menschen aus der Klemme zu holen, kommt schnell an seine Grenzen. Zumal der Druck noch viel gefährlichere Nebenwirkungen zum Vorschein treten lässt. Die Rede ist von einer Art Tiefenrausch, „ausgelöst durch zu viel Stickstoff, dass sich im Blut anreichert“, wie Christian Möllenbeck erklärt. Als Folge davon könne es zu Benommenheit, Angstzuständen bzw. ausgeprägten Glücksgefühlen (Euphorie), Halluzinationen und Bewusstlosigkeit kommen.
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In der Tat, in der Kammer wird viel gelacht und mit den Ballons herumgealbert. „Toller Aufguss“ tönt es frotzelnd aus den Lautsprechern des Überwachungspultes, „fast besser als in der Sauna“. Das mag aber auch mit dem Aussehen der Schrumpelgummis zusammenhängen.
Skurrile Taucherlebnisse wegen eines Tiefenrauschs: Fische mit Mundstück beatmen
Später, nach einer längeren Dekompressionsphase – das langsame Auftauchen wird durch schubweises Herunterfahren des Druckes simuliert – erzählen Julia Terliesner und André Beyer, dass sie „mehr mit dem Druckausgleich durch Schlucken, Kauen oder Gegenpusten durch die Nase“ beschäftigt waren. Von Euphorie hätten sie nicht allzu viel gespürt, dass ihre Stimmen in der Tiefe seltsam hoch und verzerrt klangen wie nach dem „Einatmen von Helium“, das fanden sie aber schon „sehr skurril und lustig“.
Abtauchen am Kanal, im Halterner See oder im Möhnesee
Zehn Tauchgänge in größeren Tiefen müssen Feuerwehr-Taucherinnen und -taucher pro Jahr absolvieren, eine Druckkammerphase wird als ein solcher Tauchgang gewertet. Weil Gewässer ab 30 Meter Tiefe in der Region aber eher selten sind, nutzen viele Berufstaucher dafür solche Druckkammern.
Während der Ausbildung tauchen Gelsenkirchener Lehrgangsteilnehmer unter anderem im Rhein-Herne-Kanal, im Halterner See oder im Möhnesee. Erfahrung in anderen Gewässern zu bekommen ist vorteilhaft, weil die Gelsenkirchener Tauchstaffel revierweit angefordert wird, beispielsweise aus Dorsten.
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Von merkwürdigen Unterwassererlebnissen können auch HBO-Experte Jörg Simon und Tauchstaffel-Leiter Marcus Frenthoff berichten. „Ich habe schon erlebt, wie Taucher in 30 Metern Tiefe Fische mit ihrem Mundstück beatmen wollten“, so Simon über riskante Folgen des Tiefenrausches und aussetzender Ratio. Und der erfahrene Feuerwehrtaucher ergänzt: „Andere fangen an, unter Wasser ihre Finger abzuzählen, wenn sie das Ergebnis von drei plus drei nennen sollen.“
Damit das nicht passiert, wird trainiert und trainiert. Der erste echte Tauchgang folgt Ende der Woche im Hallenbad in Buer. Auf fünf Metern Tiefe. Ob alle das Zeug zur Feuerwehrtaucherin oder zum Feuerwehrtaucher haben, wird sich dann oder in den Wochen danach herausstellen. Denn gewachsen ist dem Druck nicht jeder.