Gelsenkirchen. Konsens-Kandidatin mit langem Atem: Bochumerin Andrea Henze steht als neue Sozialdezernentin an der Spitze der Stadt Gelsenkirchen. So tickt sie.
Als Andrea Henze ihre Lehre zur Verwaltungsfachangestellten abgeschlossen hatte, da bekam sie von der Stadt Dessau, ihrem Geburtsort in Sachsen-Anhalt, das Angebot, entweder einen Posten in der Kämmerei oder im Sozialamt zu übernehmen. Lange überlegen musste sie nicht. 25 Jahre, drei abgeschlossene Studiengänge und zahlreiche Amtsleitungsposten später, ist die 45-jährige Mutter nun Chefin aller sozialen Belange der Gelsenkirchener Stadtverwaltung. Was hat sie vor? Das Antritts-GEspräch.
Frau Henze, während es um die Wahl des neuen Wirtschaftsförderungsdezernenten Simon Nowack einigen Wirbel gab, war der Konsens bei ihnen groß. Dafür sind Sie nun wesentlich unbemerkter ins neue Amt gestartet. Hätten Sie sich gewünscht, dass die Augen mehr auf Sie gerichtet gewesen wären?
Andrea Henze: Ich war zufrieden, wie es lief. Mir ging es nicht um die Aufmerksamkeit, sondern um die inhaltliche Diskussion – und die habe ich bereits vor meiner Wahl intensiv mit allen demokratischen Kräften in der Politik geführt.
Sie selbst haben kein Parteibuch – aber politische Grundüberzeugungen?
Für mich sind Werte wie Zuverlässigkeit, Beharrlichkeit, Vertraulichkeit, aber auch Leidenschaftlichkeit sehr wichtig. Da ich mich mein Leben lang mit sozialen Themen beschäftigt habe, bin ich natürlich auch politisch eher im Sozialen verortet.
Mit einem Parteieintritt, etwa in die SPD, haben Sie nie geliebäugelt?
Das schon. Für mich ist der inhaltlich-fachliche Austausch immer das prägende Handlungsbild. Und hier kann ich mit jeder demokratischen Partei gut diskutieren. Der Unterschied zwischen den Parteien ist meistens auch gar nicht so groß.
Wenn Sie von demokratischen Kräften sprechen: Meinen Sie dann auch die AfD?
Die AfD ist eine demokratisch gewählte Partei und insofern wird sie an den inhaltlichen Diskussionen teilnehmen.
- Lesen Sie auch:Warum sind Sie ausgerechnet in der AfD, Frau Seli-Zacharias?
Sprechen wir über Ihre Inhalte und Ziele. Was haben Sie sich vorgenommen?
Ich möchte in den ersten drei Monaten eine Bestandsaufnahme machen. Ich möchte wissen: Welche Bereiche wurden in der Stadt bereits beleuchtet? Wofür gibt es Statistiken, Analysen und Angebote – und wo muss man noch mal genauer hinschauen? Hierauf aufbauend werde ich gemeinsam mit Verwaltung und Politik Handlungsschwerpunkte definieren. Man wird im Anschluss natürlich nicht alle Themen anpacken können, jedes Referat hat seine Herausforderungen. Wir werden also priorisieren müssen.
Was sollen Ihre Schwerpunkte werden?
Die Altersarmut wird ein wichtiges Thema für mich. Und dabei muss man schon auf frühe Phasen im Leben blicken. Wenn beispielsweise bereits der Übergang von Schule zu Beruf nicht funktioniert, kann daraus auch Altersarmut resultieren. Auch deswegen wird die Jugendarbeitslosigkeit für mich ein weiteres Kernthema. Außerdem wird es stark um die Folgen der Corona-Pandemie gehen. Hier gibt es bereits fantastische Programme im Kinder- und Jugendbereich, aber nicht für ältere Menschen. Viele Seniorinnen und Senioren sind in der Pandemie von Einsamkeit bedroht gewesen. Wichtig bei allem ist mir: Mein Ansatz wird nicht sein, irgendwelche Statistiken zu befriedigen. Es geht mir darum, genau hinzuschauen – teils mit Geduld und Beharrlichkeit. Der echte Mensch darf hinter den Zahlen nicht verloren gehen.
In den vergangenen Jahren hatten Sie wenig Zeit, Themen langfristig anzupacken. Sie waren 2019 kurz Leiterin des Sozialamtes in Duisburg, wechselten dann 2020 bereits für weniger als zwei Jahre nach Bochum und leiteten dort ebenfalls das Sozialamt.
Ich bin sicher nicht der klassische Springer; in Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt war ich etwa 20 Jahre tätig. Aber der Wechsel nach Gelsenkirchen ist langfristig angelegt. Mein Ziel ist es, in Gelsenkirchen anzukommen. Und mein Wunsch ist es, zu vernetzen – nicht in Silos zu denken, sondern Themen übergreifend zusammenzudenken. Das kann ich sehr gut in der Position, die ich jetzt innehabe, und dabei kann ich aus meinen Erfahrungen schöpfen. Wenn ich über Langzeitarbeitslosigkeit spreche, muss ich auch über Kinderbetreuung oder Pflege für Angehörige sprechen, sonst kann man die Menschen nicht in den Arbeitsmarkt integrieren.
- Lesen Sie auch: Langzeitarbeitlos: Wie ein Gelsenkirchener wieder Mut fand
Sie waren auch Geschäftsführerin des Jobcenters in Hagen. Die Ampel-Koalition will sich von Hartz-IV verabschieden und das „Bürgergeld“ einführen. Sollte man dabei auch die Sanktionen abschaffen?
Es wird zu häufig über die Sanktionen bei Hartz-IV gesprochen, die Zahl der Sanktionsbescheide ist relativ gering. Ich stehe grundsätzlich hinter dem Prinzip „Fördern und Fordern“. Wenn man davon ausgeht, dass jemand jede Arbeit ablehnt, man 17-mal einlädt und niemand zum Termin erscheint, dann halte ich Sanktionen für gerechtfertigt. Es gibt aber Gründe, warum man nicht zum Termin erscheint, das Kind kann krank sein oder Ähnliches. Dann nimmt man den Hörer zur Hand und sagt ab.
Aber gerade bei Menschen, die 17-mal nicht erscheinen kann es doch vielmehr um psychische Probleme statt Faulheit gehen.
Das ist in der Tat ein wichtiges Thema, für das ich damals auch meine Mitarbeiter im Jobcenter sensibilisiert habe. Wenn sich jemand 17-mal nicht meldet, dann steckt da mehr hinter, dann muss man ganz genau hinschauen. Deswegen wird es für mich auch ein wichtiger Punkt werden, Arbeitslosigkeit und Gesundheit zusammenzudenken.
Sie sind nun Gesundheitsdezernentin. Werden Sie die Corona-Krisenstabsleitung von Stadtkämmerer Luidger Wolterhoff übernehmen?
Ich bin mit Herrn Wolterhoff in einem sehr engen Austausch und nehme am Krisenstab teil. Die Krisenstabsleitung hat aber immer der Feuerwehrdezernent, also weiterhin Herr Wolterhoff. Ich werde vor allem die Vorgänge im Gesundheitsamt verantworten. Hier schauen wir uns zum Beispiel gerade an, wie wir die Kontaktverfolgung in der Omikron-Welle noch leisten können.
Ihre Tochter ist 21 Jahre alt. Wie hat Sie ihre berufliche Laufbahn im Sozialen als Mutter geprägt?
Meine Tochter studiert Sozialwissenschaften an der Ruhr-Uni Bochum. Was sagt Ihnen das? (lacht) Ich war lange alleinerziehend. Als meine Tochter klein war, habe ich mich in Dessau um die Wohlfahrtspflege, das Frauenhaus und die Telefonseelsorge gekümmert. Dadurch, dass ich nicht immer jemanden hatte, der in den Nachmittagsstunden auf sie aufpassen konnte, ist es durchaus auch mal zu Situationen gekommen, in denen meine Tochter als Fünfjährige in den Vorstandssitzungen der Telefonseelsorge mit dabei war. In solchen Momenten hat sie viel mitbekommen und einen Blick dafür bekommen, welche Herausforderungen das Leben bereit hält.
Sie wohnen weiterhin im Bochumer Stadtteil Dahlhausen. Wie fest sind Sie dort verwurzelt?
Ihre Frage zielt darauf ab, ob ich irgendwann nach Gelsenkirchen ziehen werde. Ich werde das nicht ausschließen. Wenn man eine Stadt erleben will, ist es zweifelsohne gewinnbringend, dort auch zu leben.
Henzes Vita: Die wichtigsten Stationen
Andrea Henze machte ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg an der Abendschule in Dessau. Nun hat sie drei Hochschulabschlüsse: 2021 beendete sie den Master in „Soziologie – Zugänge zur Gegenwartsgesellschaft“ an der Fernuni Hagen, 2017 den Bachelor in „Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft und Soziologie“. 2003 erlangte sie das Verwaltungsdiplom. 2012 wurde sie erstmals Amtsleiterin, im Amt für Wirtschaftsförderung, Tourismus und Marketing der Stadt Dessau-Roßlau. Es ist die einzige Station in Henzes Vita fernab des sozialen Bereichs. 2015 kam Henze ins Ruhrgebiet. Sie startete als Geschäftsführerin des Jobcenters Hagen (2015-2019), im Anschluss war sie für kurze Zeit Leiterin des Amtes für Soziales und Wohnen in Duisburg. Von 2020 bis Ende 2021 war sie Leiterin des Amtes für Soziales in Bochum und Geschäftsführerin der Bochumer Beschäftigungsförderungsgesellschaft.