Gelsenkirchen. Haushohe Berge von Rostasche und Bauschutt türmen sich Hafen Grimberg. Gelsenkirchen droht, auf einer Millionenrechnung sitzenzubleiben.
Wenn es nur darum ginge, der Natur freien Lauf zu lassen, so käme man mit Blick auf die Berge von Bauschutt und Rostasche am Grimberger Hafen in Gelsenkirchen zu dem Ergebnis, dass sich dort am Rhein-Herne-Kanal ein noch junges Biotop auf dem Gewerbegelände sehr erfolgreich breitmacht. Bäume und Sträucher überziehen die gut 20 Meter hohen Hügel. Es geht aber um zig Millionen Euro, denn dort lagern seit Jahren mehrere Hunderttausend Tonnen solchen Materials. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Stadt im laufenden Rechtsstreit mit dem in die Insolvenz gegangenen Betreiber auf den Kosten der Entsorgung sitzen bleibt.
Riesige Mengen an Rostasche und Bauschutt: Knapp eine Million Tonnen
Nach WAZ-Informationen befinden sich auf dem Gelände zwei Aufbereitungsanlagen, insgesamt fast eine Million (!) Tonnen Rostasche und Bauschutt. Die Stadt machte dazu keine Angaben. Genehmigt ist nach Angaben von Thomas Bernhard, Leiter des städtischen Umweltreferates, eine Lagermenge „von 200.000 Tonnen Rostasche“ sowie „ein Jahresdurchsatz von Bauschutt und Bauabfällen von 280.000 Tonnen“. Die riesigen grau-braunen Materialberge bestehen mit etwa 629.000 Tonnen zu zwei Dritteln aus Bauschutt und Baustellenabfällen und mit etwa 337.000 Tonnen zu einem Drittel aus Rostasche.
Das hartnäckige Problem: Zäher Rechtsstreit – Zwangsgeld ohne Wirkung
Der letzte Betreiber, die Heinrich Becker Umwelttechnik GmbH (HBU), eine Tochter des Bottroper Entsorgers Heinrich Becker GmbH (HBG), hatte 2015 Insolvenz angemeldet. Die Heinrich Becker Logistik GmbH ist die Rechtsnachfolgerin der HBU. Der Betrieb bei der HBL ruht seit Jahren, das Insolvenzverfahren zieht sich kaugummiartig in die Länge. Um wenigstens einen Teil der gigantischen Abfallmengen loszuwerden, geht die Stadt einen langen juristischen Weg.
+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Gelsenkirchen verpassen? Dann können Sie hier unseren kostenlosen Newsletter abonnieren +++
Per „Ordnungsverfügungen“ versucht die Verwaltung die HBL zu zwingen, die Namen der Bauschutt-Anlieferer herauszugeben. Denn solange der Bauabfall noch nicht weiterverarbeitet und entsorgt wurde, wird dieser Müll rechtlich dem Verursacher, also dem Anlieferer, zugeordnet. Sie kann man auf Grundlage des Kreislaufwirtschaftsgesetzes laut Bernhard „quotenweise“ zur Rechenschaft ziehen. Ähnlich geht die Stadt vor, um die Rostascheberge schrumpfen zu lassen, rund 140.000 Tonnen sollte die HBL per Ordnungsverfügung entsorgen.
Lesen Sie auch:
Gelsenkirchen: Verlorene Innenstädte – das sagen Politiker
Gelsenkirchen: Deutlich mehr Fehltage wegen Alkoholproblemen
Gelsenkirchen: Deutsch-Ukrainer in Sorge um seine Familie
Aber: Dagegen wehrt sich das Unternehmen juristisch vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und auch vor dem Oberverwaltungsgericht Münster, wobei die Stadt durchaus schon als Siegerin hervorgegangen ist. Angeblich ist ein Computer gestohlen worden, auf dem sich solche Unterlagen befanden. Doch selbst die Verhängung von Zwangsgeldern hat bislang keinen sichtbaren Fortschritt erzeugt, die Berge sind nach wie vor da und um keinen Zentimeter kleiner geworden. Anfragen dieser Redaktion beantwortet das Unternehmen seit längerem nicht mehr.
Entsorgungskosten für Rostasche- und Bauschuttberge: 50 bis 60 Millionen Euro
Müll ist ein Millionengeschäft. Für Bau-Mischabfall werden mittlerweile Preise von 200 Euro pro Tonne erhoben, bei Rostasche und Bauschutt bewegen sich die Spannen von 35 Euro bis 100 Euro pro Tonne. Tendenz: eher steigend. Das bedeutet: Im schlimmsten Fall bleibt die Stadt auf einem Millionengrab in der Dimension von 50 bis 60 Millionen Euro sitzen.
Die Weiterverwendung des Materials: Lärmschutzwände, Deponie-Landschaftsbau
Nach Angaben der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) „erfüllen alle Rostaschen die Zuordnungskriterien für die Deponieklasse I und können somit auf solchen Deponien abgelagert werden“, beispielsweise auf der umstrittenen Zentraldeponie Emscherbruch, gegen deren Erweiterung Anwohner gerade klagen. Auf Deponien werden laut BAM große Mengen mineralischer Materialien zum Landschaftsbau benötigt. Dafür werde Rostasche häufig eingesetzt. „Weitere Einsatzgebiete sind Lärmschutzwälle, Unterbau von Straßen und Parkplätzen“, erklärt Franz-Georg Simon, Leiter des Fachbereichs Schadstofftransfer und Umwelttechnologien.
Die Berge haben also durchaus wirtschaftliches Potenzial. Hohe Erlöse werden demnach „für die abgetrennten elementaren Metalle (Eisen, Aluminium, Kupfer einschließlich der Kupferlegierungen) erzielt“, wie Simon weiß. Das sei nicht unerheblich, bei Kupfer gehe das hinauf bis 1600 Euro pro Tonne. Insgesamt trägt die Verwertung der Rostasche demnach substanziell zur Kreislaufwirtschaft bei.
Nur: Um genau zu sagen, aus welchem Material welcher Berg im Hafen Grimberg besteht, müsste man die Hügel aufwendig und teuer beproben. Vieles hat sich im Laufe der Zeit vermischt, Grenzen sind nicht mehr zu erkennen.
Das ist die Zusammensetzung von Rostasche und Bauschutt
Rostaschen sind das Produkt einer Stoffumwandlung: aus dem (brennbaren) Stoff Hausmüll wird (nicht brennbare) Rostasche. Die stoffliche Zusammensetzung ist zu neun Prozent inertes Material (Glasscherben, Keramik, Steine etc.), ein Prozent Unverbranntes (Restorganik), zehn Prozent Metalle (davon acht Prozent Eisen-Metalle und zwei Prozent Nichteisen-Metalle, hauptsächlich Aluminium und Kupfer bzw. Kupfer-Legierungen), 40 Prozent Asche und 40 Prozent Schmelzprodukte (Schlacke).
Die Hauptbestandteile bei der chemischen Zusammensetzung sind Siliziumdioxid, Calciumoxid (haut- und atemwegsreizend) und Aluminiumoxid. Von diesen drei Oxiden ist Calciumoxid noch am ehesten in Wasser löslich (die beiden anderen praktisch nicht), so dass Rostasche beim Kontakt mit Wasser alkalisch reagiert (Kalkmilch). Von Bedeutung bei der chemischen Zusammensetzung sind noch Natriumchlorid (Kochsalz) und Kaliumchlorid mit rund ein Prozent und verschiedene Spurenelemente wie Kupfer, Chrom, Zink und Blei.
Bei Bauschutt handelt es sich nach Angaben vom Thomas Bernhard vom Umweltreferat der Stadt Gelsenkirchen „um unterschiedliche und heterogene Abfallarten, die sich aus Ziegeln, Fliesen, Keramik, Beton, Böden, Baustoffen auf Gipsbasis, Bitumengemischen, Ofenschlacken, Gießformen und –sanden, Holz, Kunststoffen und Metallen zusammensetzen“. Sowohl beim Bauschutt als auch bei den Rostaschen handele es sich um keine gefährlichen Abfälle.
Anwohner aus dem Grimberger Feld klagten über hohe Staubbelastungen
In der Vergangenheit hatten sich Anwohner rund um den Hafen Grimberg über hohe Staubbelastungen beschwert. Nach Angaben des BAM „sind Stäube immer gesundheitsschädlich“. Franz Simon zufolge dürfte es daher nicht ganz einfach sein, „die Herkunft der Stäube auf Stühlen oder Tischen, also Baurestmassen oder Rostaschen zu bestimmen, da die Zusammensetzung ähnlich ist“. Wenn man Kupfer oder Zink nachweisen könne, so der Experte zum Abschluss, läge es nahe, dass Rostasche die Herkunft sei.
Das Landesumweltamt hatte nach Verwaltungsangaben 2012 Luftmessungen vor Ort durchgeführt und sei 2013 zu dem Schluss gekommen, dass weder eine Gesundheitsgefahr noch eine unzumutbare Belästigung der Anwohner vorgelegen habe.
- Lesen Sie mehr Geschichten aus Gelsenkirchen
- Oder folgen Sie der WAZ Gelsenkirchen auf Facebook
- Folgen Sie uns auf Instagram: www.instagram.com/wazgelsenkirchen_getaggt