Gelsenkirchen. Kellnerin, Mutter, Ehefrau, Kümmerin, Erzieherin, Sozialwissenschaftlerin, Gelsenkirchener Bürgermeisterin und mehr: Das ist Martina Rudowitz.

Der Blick aus ihrem Büro hat schon etwas Besonderes. Von hier oben – der fünften Etage des Hans-Sachs-Hauses – bekommt man gewollt oder nicht einen Überblick darüber, wer gerade im Büro der Oberbürgermeisterin so ein- und ausgeht, man sieht Dezernenten mit angestrengter Miene aus Besprechungen kommen, Pressesprecher telefonieren und Redenschreiberinnen auf Tastaturen tippen. Man blickt aber vor allem auch in das ansehnliche Rathaus-Atrium, das Großstadt-Charme versprüht, und man schaut in die vielen kleinen verglasten Büros, die Transparenz vermitteln sollen.

In gewisser Weise spiegelt dieses Zusammenspiel aus verschiedenen Akteuren die Aufgaben und das (architektonische) Versprechen der Offenheit wider, wer Martina Rudowitz ist und wie die ehrenamtliche Bürgermeisterin mit SPD-Parteibuch tickt.

Das WAZ-GEspräch mit Martina Rudowitz

Rudowitz hat hierher eingeladen, als die Redaktion sie um ein WAZ-GEspräch bat. Im Rahmen einer kleinen Serie versuchen wir zu ergründen, was diese Gelsenkirchenerinnen antreibt, Lokalpolitik zu machen, sich zu engagieren, Zeit und Nerven für die Entwicklung und Gestaltung der Stadt zu opfern.

Die 63-jährige Martina Rudowitz jedenfalls hat keine Berührungsängste, keine Frage der Redaktion ist ihr zu privat. Und so erzählt sie von ihrem Leben, das so facettenreich ist wie die Stadt selbst, von „sozialdemokratischen Grundwerten“, die für sie unverhandelbar sind, vom Weg und Wirken einer Bürgermeisterin in Gelsenkirchen.

Aufgewachsen in einem Polizistenhaus in Schalke

Seit drei Jahrzehnten schon lebt Rudowitz mit ihrem Mann in einer Wohnung mit Garten in Rotthausen zur Miete. Vorher wohnte das Paar in Schalke und Schalke-Nord, wo Martina Rudowitz auch in einem Haus voller Polizeibeamter und deren Familien aufgewachsen ist.

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„Mein Vater war selber Polizist, allerdings noch zu einer Zeit, in der man dafür nicht so gut bezahlt wurde. Ich weiß aber, dass wir dennoch vergleichsweise privilegiert waren. In dem Haus, in dem wir lebten, waren die Beamten-Familien zwar unter sich, aber sobald wir Kinder draußen gespielt haben, haben wir die Unterschiede zu Familien, die weniger hatten, gespürt“, erinnert sich die 63-Jährige. Diese Ungleichheit habe sie schon als Kind beschäftigt – und geprägt.

Kaum, dass sie in die SPD eintreten durfte, tat sie das auch. Ihr Vater – seinerzeit gewerkschaftlich engagiert – war Sozialdemokrat, ihre Mutter – die aus einer Bergarbeiterfamilie stammt – war Sozialdemokratin. Und so stand für Martina Rudowitz immer schon fest, wer Armut bekämpfen will, wer Chancenungleichheit überwinden will, „der muss Sozialdemokrat sein“. Das heiße nicht, dass sie im Stadtrat, im Bildungsausschuss und auch sonst im Leben nicht mit anderen Meinungen, mit anderen Parteifarben zurechtkäme: „Ich bin immer offen für Argumente“, sagt Rudowitz. Aber die SPD, davon ist die studierte Sozialwissenschaftlerin überzeugt, sei eben die Kümmerer-Partei. Ein Grundsatz, der sie zeitlebens angetrieben hat.

„Ich wollte schon immer helfen, selber tätig werden und nicht allein meckern, wenn etwas nicht läuft“, erklärt die Mutter zweier erwachsener Kinder. Vor allem, wenn etwas ihrem Empfinden nach ungerecht war, konnte Rudowitz nicht lange stillhalten. In der Oberstufe des Ricarda-Huch-Gymnasiums war sie für ihre „vorlaute Klappe“ bekannt, was nicht bei allen Lehrern gut angekommen sei und ihr auch die eine oder andere schlechtere Benotung eingebracht habe. Beeindruckt oder gar eingeschüchtert habe sie das nie.

Der katholischen Kirche den Rücken gekehrt und Protestantin geworden

Rudowitz hat ihren Kompass, eine klare Vorstellung davon, was sie als gerecht und was sie als ungerecht empfindet. Weil ihr eine „tatsächlich ökumenische Heirat“ mit ihrem evangelischen Mann verwehrt wurde, und weil sie mit den Regeln der katholischen Kirche nicht einverstanden ist, kehrte sie Anfang der 90er Jahre zusammen mit etwa einem Dutzend anderer Eltern aus der evangelischen Kita ihres Sohnes in Rotthausen der katholischen Kirche den Rücken und ist seither Protestantin.

Während ihre Grundsätze, ihre Vorstellung von einer Welt manifestiert sind, in der jeder Mensch dieselben Rechte und Chancen haben sollte, ist Rudowitz’ persönliches Leben von zahlreichen Veränderungen gezeichnet. So arbeitete die heutige Bürgermeisterin, die in Vertretung für die OB repräsentative Termine wahrnimmt, einst jahrelang als Thekenkraft in der Gastronomie des Hans-Sachs-Hauses, anschließend als Verkäuferin in einem Deko-Laden an der Bahnhofstraße, versuchte sich bei einer Versicherung und bildete sich 2012 im Alter von 55 Jahren noch mal zur selbstständigen Tagesmutter aus, als die sie bis zum letzten Sommer in einer Mini-Kita Kinder betreute.

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Seit 2004 sitzt Martina Rudowitz außerdem im Rat der Stadt, wo sie sich vor allem um die Themenfelder Bildung und Integration bemüht. Gerade bei Letzterem „verschließe ich natürlich nicht die Augen, ich sehe, dass wir Probleme haben“, sagt Rudowitz. „Aber das Problem sind nicht die Menschen selbst“, schiebt sie gleich hinterher. „Nur wer mit den Menschen ins Gespräch kommt, in den Austausch – vor allem mit den Frauen – der wird langfristig auch etwas verändern können“, ist sich Rudowitz sicher.

Und obgleich das manchmal mühselig sei, die ehrenamtliche, politische Arbeit „eigentlich ein Fulltime-Job ist“, mache ihr das Engagement in und ganz besonders der Kontakt mit den Menschen in der Stadt großen Spaß. „Wenn ich samstags um 10 Uhr zum Brötchenkaufen auf die Karl-Meyer-Straße in Rotthausen gehe, schaffe ich es nicht vor 13 Uhr zurück nach Hause. Mein Mann hat sich an das sehr späte Frühstück am Wochenende bereits gewöhnt“, sagt Rudowitz lachend, blickt ins Atrium und ergänzt: „Gelsenkirchen ist eben eine große Welt voller spannender Momente“.

Lesen Sie hier alle Teile aus der Lokalpolitikerinnen-Serie: