Gelsenkirchen. Im Rahmen der WAZ-GEspräche berichtet Bettina Peipe, warum sie in Gelsenkirchen Lokalpolitik macht und wieso sie den Linken beigetreten ist.
Die Linke stellt die kleinste Fraktion im Gelsenkirchener Stadtrat. Drei Mandate, genau so viele wie es bedarf, um Fraktion und nicht nur Gruppe zu sein, hat die Partei bei der letzten Kommunalwahl erringen können. Ein Teil dieses Trios ist Bettina Peipe. Die 57-Jährige berichtet im WAZ-GEspräch, warum sie in Gelsenkirchen Lokalpolitik macht und wieso sie vor zwölf Jahren der Linken beigetreten ist.
„Ich habe mich seit meiner Kindheit für Politik interessiert und das politische Geschehen in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten mit immer größer werdendem Unbehagen betrachtet“, so Peipe.
„Leute wie Frau Merkel haben bewiesen, dass ihnen die Demokratie nichts bedeutet“
Eigentlich hatte die Gelsenkirchenerin einen Spaziergang im Westerholter Wald als Kulisse für das Interview vorgeschlagen, kam der Bitte der Redaktion aber nach, den Ort aus terminlichen Gründen zu verlegen. Und so geht die resolute Frau nun durch die Grünanlage am Schloss Horst, während sie ein ziemlich düsteres Bild von Deutschland zeichnet. „Seit den Zeiten der Kohl-Kanzlerschaft hat sich in Deutschland ein neoliberaler Mainstream durchgesetzt, den ich für absolut demokratiegefährdend halte. Leute wie Frau Merkel forderten unverfroren und fast unwidersprochen eine marktkonforme Demokratie und haben damit bewiesen, dass ihnen Demokratie nichts bedeutet“, sagt sie.
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Auch von der neuen Regierung solle man nichts erwarten. Die Einführung von Hartz IV und die Deregulierung der Finanzmärkte durch Rot-Grün habe schließlich zu einer der „größten Vermögensumverteilungen der Geschichte“ geführt, fällt Peipe ihr Urteil über Sozialdemokraten und Grüne: „Die Ungleichheit hat ein unerträgliches, obszönes Ausmaß erreicht.“
Um persönlich etwas gegen diese „unsägliche Entwicklung“ zu tun, so die Horsterin, sei sie vor zwölf Jahren der Partei Die Linke beigetreten. Es gehe ihr um die Überwindung der Armut, die erschreckende Ausmaße angenommen habe. „Kinder, die in Armut aufwachsen, sind ein Skandal in einem reichen Land und auch Bilder von alten Menschen zu sehen, die Plastikflaschen sammeln müssen, um sich ihre Rente aufzubessern, sind zutiefst deprimierend.“ Für ein Land wie Deutschland seien solche Zustände beschämend.
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Dennoch: ein politisches Amt, ein Mandat wie jenes, das sie im Stadtrat inne hat, habe Peipe eigentlich nie gewollt. Und obgleich ihr klar sei, dass die großen politischen Fragen, die sie vor allem beschäftigen (Vermögenssteuer, Höhe der Renten und der Grundsicherung, Rüstungsausgaben, die Vorherrschaft der USA in der Nato...) nicht in der Kommunalpolitik gelöst werden, will die Film- und Fernsehwissenschaftlerin mit ihrer Fraktion die Verwaltung im Stadtrat dazu bringen, sich mit anderen Städten zusammenzutun, um gemeinsam Druck auf die Bundesregierung auszuüben, so die gebürtige Bueranerin, die von sich sagt, „keine große Lokalpatriotin“ zu sein und sich vorstellen zu können, an vielen Orten zu leben, sofern sie sich dort verständigen kann.
„Ich brauche keine Aufmerksamkeit und ich versuche redlich, meine Positionen zu vertreten. Es ist nicht meine Aufgabe, Leuten nach dem Mund zu reden und mich beliebt zu machen. Ich versuche, meine Arbeit für die Partei gewissenhaft zu machen“, sagt Peipe in überzeugtem Ton.
Dass die Positionen der Linken gleichwohl nicht besonders nennenswert verfangen – die Partei holte in Gelsenkirchen 3,5 % der Stimmen bei der Bundestagswahl 2021 – liegt nach Ansicht der 57-Jährigen hingegen vor allem an den Medien, die ein verzerrtes Bild ihrer Partei zeichneten, und an der Politikverdrossenheit vieler Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener.
Gegen Corona-Regeln, die Ungeimpfte ausschließen
Privat lebt die 57-Jährige zusammen mit ihrem Mann, dem Linke-Fraktionsvorsitzenden Martin Gatzemeier, sehr zurückgezogen, wie sie sagt. Die Frage, was sie beruflich macht, möchte die Stadtverordnete beispielsweise nicht beantworten. „Ich lege sehr viel Wert auf meine Privatsphäre und ich gehöre sicher nicht zu der Generation, die selbst Bilder ihres Mittagessens ins Internet stellt“, stellt Peipe klar. Gerade in der Corona-Pandemie sei die Grenze ohnehin zu sehr überschritten worden. „Ob ich geimpft bin oder nicht, geht nur mich und meinen Arzt etwas an“, so Peipe.
Der Begriff der „Solidarität“ sei in diesem Zusammenhang völlig falsch, wenn damit gemeint sei, dass Geimpfte auch ihre Mitmenschen schützen würden. „Auch geimpfte Menschen sind Überträger“, betont die 57-Jährige. Verordnungen, die Ungeimpfte ausschlössen, seien deshalb auch im Grunde inakzeptabel. „Ich bin fürs Testen“, so Peipe, die es in ihrer Freizeit aber ohnehin vorzieht, mit ihren Hunden im Wald zu spazieren, wo es ruhig ist und nicht viele Menschen unterwegs sind.