Gelsenkirchen. Seit 110 Jahren ist die Trabrennbahn Gelsenkirchen ein Ort des Pferdesports. Sie ist immer wieder auferstanden wie Phönix aus der Asche.
Gelsenkirchen ist eine Weltstadt. Hier gibt sich die Prominenz die Klinke in die Hand, hier trifft sich die High Society. Klangvolle Namen wie Alain Delon bringen den Flair der oberen Zehntausend in die Stadt. Die ganze Welt schaut auf Gelsenkirchen – genauer, die Welt der Trabrenn-Freunde. Gute zwanzig Jahre lang, ab etwa 1970, mischt die Rennbahn ganz oben mit, knackt Rekorde in Sachen Zuschauer und vor allem Umsatz.
Heute scheint das fast unglaublich. Die Rennbahn liegt im coronabedingten Dornröschenschlaf. Die einst so überfüllte Tribüne ist leer, die schönen Clubs, die aufwendig bebildert von ruhmreicheren Zeiten berichten, sind verwaist. Auf der Rennbahn drehen ein paar Fahrer mit ihren Pferden Trainingsrunden. Mehr Leben ist nicht zu sehen. Der Betrieb läuft zwar weiter. Rennen gibt es auch. Aber man befindet sich im freiwilligen Lockdown. Um Gefahren zu vermeiden, dürfen aktuell keine Besucher auf das Gelände.
Die Rohrpost funktioniert bis heute
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Umso abenteuerlicher ist der Rundgang mit Uwe Küster, dem Rennbahnpräsidenten. Der lacht schon, als er seinen Titel nennt. Er weiß, wie beeindruckend jener klingt. „Es gibt Leute, die flapsig sagen, der Küster ist der einzige Rennbahnpräsident ohne Geld und ohne Pferde.“ Tatsächlich sei er für alles verantwortlich – von der Leitung über die Organisation der Gastronomie bis hin zur Gewinnung von Sponsoren. Soll heißen, der Präsident eines Unternehmens mit zahlreichen Angestellten ist er nicht. Aber er ist angetrieben von der Leidenschaft für den Sport und für den Ort.
Das spürt man etwa, als er in der kleinen Kabine des Zielrichters steht, ganz oben, am höchsten Punkt der Tribüne. Da hält er etwas in der Hand und fragt: „Wissen Sie, was das ist?“. Das kleine Rohr mit je einer Plastikkappe am Ende wird von den Gästen recht ratlos angeschaut. „Das ist eine Rohrpost.“ Dann zeigt er auf die dazugehörige Anlage und erklärt: „Die funktioniert auch noch.“ Was nicht bedeuten solle, dass die Ergebnisse eines Rennens nicht mittlerweile digital an die Wettschalter übermittelt werden. „Aber das ist ein funktionierender Plan B. Und das ist das Faszinierende: Hier scheint an einigen stellen die Zeit stehengeblieben zu sein. Das macht die Magie dieses Ortes aus“, sagt er und zeigt danach, der Vollständigkeit halber, den voll digitalen Kameraraum vor. „Nur alt geht eben auch nicht.“
Orte, die wie Filmkulissen wirken
Geschichte ist hier tatsächlich spürbar. Auch heute. Oder vielleicht gerade heute, wo kein Betrieb den Blick ablenkt von den zahlreichen Relikten der Vergangenheit. So wie die Sitzmöbel und Aufmachung im „Permit-Club“, Zeugnisse des Wirtschaftswunders, die als Filmkulisse taugen würden.
Die Geschichte der Rennbahn reicht noch viel weiter zurück. Eröffnet wird die Rennbahn am Sonntag, 29. September, 1912. Um kurz nach zwei startet das erste Rennen – mit einem beachtlichen Umsatz von 24.000 Mark an zwölf Wettschaltern. Das Projekt, ins Leben gerufen vom „Traberzuchtverein Dortmund“, trifft den Zeitgeist. Gerne will man im zweiten Jahr zwölf Renntage anbieten. Jedoch werden nur zwei genehmigt. So auch im Jahr 1914, als der Erste Weltkrieg dem hoffnungsvollen Vorhaben gleich die erste große Krise beschert. Danach nämlich ist der Verein mittellos.
Kriege überschatten den Rennbahnbetrieb
Doch es gelingt die Wiedergeburt: Die Vereinsmitglieder sammeln Geld, um den Rennbetrieb wieder aufnehmen zu können. Das gelingt 1919 mit einem Wohltätigkeitsrennen. Der Verein, umbenannt in „Westdeutscher Traber-, Zucht- und Rennverein“, legt den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte. Immer mehr Rennen finden statt, immer mehr Menschen kommen her. 1937 wird der 25. Geburtstag der Rennbahn mit mehreren Zehntausend Besuchern gefeiert. Auch sportlich kann man sich etablieren, macht durch die bei den Fahrern beliebten Montagsrennen sogar der Berliner Trabrennbahn Konkurrenz. Bis dann 1941 durch den Zweiten Weltkrieg der Betrieb eingestellt wird.
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Nach dem Krieg ist wenig vom einstigen Glanz übrig geblieben. 60 Bombenkrater haben das Gelände verwüstet. 70 Pferde sind im Bombardement ums Leben gekommen. Und die, die überlebt haben, schweben nun in großer Gefahr: In der Zeit von Hunger und Elend schlägt der Stadtkommandant der Militärregierung vor, die Tiere zur Linderung des großen Hungers zu schlachten. Nur mit großem Einsatz können die Pferdefreunde das verhindern.
Die Stadt der tausend Rennpferde
Und einmal mehr schaffen sie die Auferstehung wie Phönix aus der Asche. Dabei hilft ein Coup: Ab 1947 gibt es das Elite-Rennen mit den besten deutschen Trabern, das bald auch internationale Fahrer anzieht. Der Grundstein ist gelegt für die goldenen Jahre der Gelsenkirchener Trabrennbahn, in der die Rekorde einander jagen – in jeder Hinsicht. Der finanzielle Erfolg macht auch Investitionen möglich. So entstehen in den 60er Jahren die Tribüne sowie andere Bauten, die bis heute das Gelände prägen. Und es wird ein Slogan geboren, mit dem man fortan für sich wirbt: „Stadt der tausend Rennpferde“.
Heute sind das nur noch schöne Erinnerungen. Es koste schon viel Mühe und Kreativität, den Fortbestand der Rennbahn zu sichern, sagt Uwe Küster. Denn weil man fast berauscht war vom jahrzehntelangen Erfolg, habe man Ende der 1980er Jahre im deutschen Trabrennsport gravierende Fehler gemacht. Gleichzeitig hat in den vergangenen Jahren das regelmäßige Zuschauerinteresse nachgelassen. Es fehlt an Nachwuchs – insbesondere bei den Gästen.
Die Zukunft aktiv gestalten
Eine Herausforderung, der man sich in Gelsenkirchen mit guten Ideen stellen will. Neue Konzepte, neue Sponsoren, neue Formate sollen kombiniert werden mit den bewährten Publikumsmagneten wie dem BILD-Renntag im Mai, dem Traber-Highlight St. Leger im Herbst und dem beliebten „Traben unterm Tannenbaum“. Uwe Küsters blickt dabei zuversichtlich in die Zukunft. Corona, meint er, könne ja auch eine Chance sein. „Viele Menschen empfinden es heute als Luxus, einen tollen Sport zu sehen und dabei Abstand halten zu können zu anderen Menschen. Genau das geht hier bei uns.“