Gelsenkirchen. Die WAZ hat die Parteien in Gelsenkirchen gefragt: Was waren die größten Erfolge 2021? Ein oftgenanntes Thema hat seine Schattenseiten.

Die größten politischen Fehlleistungen 2021 haben die im Stadtrat vertretenen Parteien uns bereits mitgeteilt. Was sind auf der anderen Seite die größten Erfolge? Die WAZ wollte auch das von den Fraktionen wissen – und dabei wurden zwei Themen besonders häufig genannt: Anfang Dezember beschloss der Stadtrat unter einer nie dagewesenen Mehrheit den Haushalt für das kommende Jahr. Und im September entschieden sich die Lokalpolitiker dafür, künftig Livestreams aus den Sitzungen zu ermöglichen. Was jetzt als Erfolg gefeiert wird, hat allerdings eine wenig löbliche Vorgeschichte.

Erst doch keine Livestreams: Peinliche Vollpleite beim Rats-TV in Gelsenkirchen

Denn im März 2021 verweigerten sich die Stadtverordneten in einer Abstimmung ohne Fraktionszwang noch mit knapper Mehrheit dem Rats-TV. Und das, obwohl zuvor über Parteigrenzen hinweg für das Projekt geworben wurde. Es war die kommunalpolitische Überraschung des Jahres – und zweifelsfrei eine peinliche Vollpleite. „Peinlich, weil es SPD und CDU offenbar in ihren Reihen nicht geschafft haben, Mehrheiten zu organisieren, weil die Fraktionsspitzen offensichtlich die Stimmungslage hüben wie drüben völlig falsch eingeschätzt und die Zahl der Skeptiker sträflich unterschätzt haben“, kommentierten wir damals.

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Ein halbes Jahr später dann die erneute Abstimmung, in der das Rats-TV nach jahrelanger Diskussion doch beschlossen wurde. Nicht nur SPD-Fraktionsvize Lukas Günter sieht das, den vorausgehenden Irrungen und Wirrungen zum Trotz, nun als einen der großen Erfolge des Jahres. Und auch die Grünen und die PARTEI verbuchen die Livestream-Entscheidung als ihren Erfolg, „auch wenn die GroKo das jetzt auf ihre profilneurotische Fahne schreiben wird“, prognostizierte es PARTEI-Ratsgruppensprecher Marc Meinhardt bereits in seinen, für die PARTEI typischen Worten.

„Novum in der jüngeren Geschichte des Gelsenkirchener Stadtrates“

Und dann noch der Haushalt: Es war übrigens schon der zweite zu beratende Etat in einem für die Kommunalpolitik sehr intensiven Jahr. Denn im März 2021 verabschiedeten die Ratsparteien zunächst noch den Haushalt für das laufende Jahr. Die Kommunalwahl im September 2020 hatte den üblichen Zeitplan durcheinandergebracht. Man sei aus den Haushaltsberatungen ja gar nicht mehr rausgekommen, hörte man öfter aus den Reihen der Fraktionen.

Gelsenkirchens SPD-Fraktionsvize Lukas Günter: „Über drei Viertel der Stadtverordneten haben dem Haushalt zugestimmt – diese Einigkeit ist ein Novum in der jüngeren Geschichte des Rates.“
Gelsenkirchens SPD-Fraktionsvize Lukas Günter: „Über drei Viertel der Stadtverordneten haben dem Haushalt zugestimmt – diese Einigkeit ist ein Novum in der jüngeren Geschichte des Rates.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Wir haben sicherlich die nächsten Schritte des dringend nötigen Kulturwandels nach der Kommunalwahl erlebt. Das macht sich zum Beispiel daran bemerkbar, dass wir in diesem Jahr den Haushalt im breiten Konsens der Demokraten verabschiedet haben“, meint CDU-Fraktionschef Sascha Kurth. SPD-Vize Lukas Günther hebt hervor, dass mit dem Haushalt „die Weichen für den massiven Ausbau des Kommunalen Ordnungsdienstes gestellt werden“ und betont ebenso: „Über drei Viertel der Stadtverordneten haben dem Haushalt zugestimmt – diese Einigkeit ist ein Novum in der jüngeren Geschichte des Rates.“

FDP und AfD Gelsenkirchen: Zwischen „Walk of Fame“ und EU-Südost-Zuwanderung

Neben der GroKo stimmten auch FDP, Grüne und Tierschutz Hier! für den Haushalt. Wenig überraschend freut sich deshalb FDP-Fraktionschefin Susanne Cichos, dass „wir als kleine Fraktion einen Teil unserer Vorstellungen, die Gelsenkirchen liebens- und lebenswerter machen sollen, im Haushalt 2022 verankern konnten.“ Dazu zählen die Liberalen etwa den „Walk of Fame“,der 2022 nach Buer kommen soll und bundesweit in zahlreichen überregionalen Medien für Resonanz sorgte.

Die AfD, die bei den Haushaltsberatungen ohnehin ausgeklammert wurde, sieht ihre Erfolge im Bereich der EU-Südost-Zuwanderung und macht auf ihre Anfrage von Anfang des Jahres 2021 zu dem Thema aufmerksam. Diese brachte hervor: Während 2019 noch insgesamt 540 EU-Bürger aufgefordert wurden, Deutschland zu verlassen, weil sie ihre Freizügigkeitsrechte verwirkt hatten, waren es 2020 nur 29 Personen. Dass die Zahl 2021 wieder auf 239 Fälle gestiegen ist, sieht die AfD als Folge ihres politischen Drucks. Das Ausländeramt allerdings erklärte, dass die geringe Zahl der Verlustfeststellungen 2020 damit zusammen hing, dass zwei mit den Verfahren befasste Dienstkräfte das Ausländeramt verlassen hatten und die Stellen neu besetzt werden mussten.

Susanne Cichos, Fraktionschefin der FDP in Gelsenkirchen: Von der bundesweiten, positiven Resonanz auf den „Walk of Fame“ begeistert.
Susanne Cichos, Fraktionschefin der FDP in Gelsenkirchen: Von der bundesweiten, positiven Resonanz auf den „Walk of Fame“ begeistert. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Politische Erfolge in Gelsenkirchen: Tierschutzbeauftragter und Gutachten zu Deponie-Auswirkungen

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums meint man dagegen: „Linke-Ideen wirken immer öfter – wenn auch mit Verzögerung.“ Für Linken-Fraktionschef Martin Gatzemeier ein Beispiel: Die institutionelle Förderung des Alfred-Zingler-Hauses (AZH), das nach jahrelanger finanzieller Unsicherheit nun jährlich 65.000 Euro zur Verfügung gestellt bekommt.

Die WIN-Fraktion lobt sich dafür, ein humanbiologisches Gutachten zur Bewertung der Auswirkungen der Zentraldeponie Emscherbruch auf die Anwohner eingefordert zu haben. Jenes Gutachten soll nicht nur – wie bisherige Gutachten – die Belastung von Wasser und Luft unter die Lupe nehmen, sondern die direkten Folgen für die Menschen an der umstrittenen Deponie, gegen deren Erweiterung Anwohner inzwischen Klage erhoben haben.

Bei „Tierschutz Hier!“ dagegen hebt man hervor, dass der Rat einstimmig für den Antrag der zweiköpfigen Gruppe stimmte, dass die Stadt künftig durch einen ehrenamtlichen Tierschutzbeauftragten unterstützt wird. Was genau dieser Tierschutzbeauftragte leistet, konnten Partei und Verwaltung auf wiederholte Nachfrage der WAZ bislang allerdings noch nicht schildern.

Auch gefragt haben wir die Parteien: Was waren die größten politischen Fehlleistungen 2021? Und was ist Ihr wichtigstes politisches Ziel für 2022? Zu den Fehlleistungen haben sich die Fraktionen in der WAZ-Ausgabe vom 31. Dezember bereits geäußert. Die weiteren Antworten lesen Sie auf waz.de/gelsenkirchen oder in den kommenden Ausgaben.

AUF logt Demo am Antikriegstag

AUF-Einzelmandatsträger Jan Specht sieht „das würdige Gedenken des Gelsenkirchener Bündnisses gegen Faschismus und Krieg auf dem Friedhof Horst Süd am Antikriegstag“ als größten Erfolg 2021.

Auch hier gibt es eine längere Vorgeschichte: Die Polizei verweigerte die Anmeldung der von Specht organisierten Demo und verwies auf eine Änderung der Friedhofssatzung Ende 2020, mit der untersagt wurde, auf dem Friedhof Gedenkfeiern durchzuführen.

Das Bündnis erschien dennoch und legte Blumen am Mahnmal für die ermordeten sowjetischen Zwangsarbeiter nieder. Specht wurde folgend nach eigenen Schilderungen von der Polizei „beiseitegenommen“, um ihn über Ermittlungen gegen ihn zu unterrichten.