Gelsenkirchen-Buer. Niklas Witzel, Björn Tondorf und Bernd Steinrötter aus Gelsenkirchen sprechen über männliche Rollenklischees und eine Gesellschaft im Wandel.

Am Freitag ist internationaler Männertag. Noch nie davon gehört? So geht es vielen. Der Tag soll dazu einladen, die Rolle des Mannes in der Gesellschaft zu diskutieren. In einer Zeit, in der viel über die Rolle der Frau gesprochen wird, in der sich die Gemeinschaft wandelt, diverser wird, hat die WAZ drei Männer, beispielhaft ausgewählt, genau zu dieser Diskussion eingeladen – ausgehend von der Frage, die einst Herbert Grönemeyer stellte: „Wann ist ein Mann ein Mann?“

„Für mich ist ein Mann ein Mann, wenn er sich nicht an Stereotypen orientiert, sondern wenn man sich selbst annimmt, sagt, ich darf für mich anders sein und gleichsam stark“, sagt Niklas Witzel. Er ist 24 Jahre alt, blickt auf eine Laufbahn als Model zurück, ist heute Erzieher und Kommunalpolitiker – und homosexuell. „Ich beobachte derzeit einen Umbruch in der Gesellschaft. Viele sagen, ich darf als Mann Erzieher sein, darf lange Haare haben, Make-Up tragen.“

„Ich bin mit dem klassischen Rollenbild aufgewachsen“, sagt Bernd Steinrötter, 57 Jahre alt und katholischer Priester in der Pfarrei St. Hippolytus. „Meine Mutter war zu Hause, mein Vater hat gearbeitet. Das war für mich immer klar. Erst durch meinen Beruf habe ich mir darüber Gedanken gemacht. Die katholische Kirche ist ja ein Männerverein. Da leben einige ihr altes Rollenbild aus. Ich selbst habe eine hohe Bewunderung dafür, wenn Männer Frauenberufe haben. Ich war gestern beim Arzt, da gab es einen Sprechstundenhelfer. Der saß da wie ein Hahn im Korb und hat die Situation sichtlich genossen. Das bringt mich ans Nachdenken, aber ich finde das gut. Denn ich beobachte auch, wie es bei den Kindern im Kindergarten und der Grundschule ist. Da fehlen oft männliche Bezugspersonen. Oder wenn Ehen auseinander gehen. Wo bleibt der männliche Identifikationspart?“

„Sind wir nicht in Gelsenkirchen etwas zurück mit unserem Rollenbild?“

Björn Tondorf, der Dritte im Bunde, 43 Jahre alt, engagierter Vereinsmensch und Familienvater, hat in seinem Leben den Wandel miterlebt. „Ich bin aufgewachsen mit dem Bild, die Mutter ist zu Hause, der Vater geht arbeiten. Aber dann, in meiner Jugend, ist meine Mutter auch arbeiten gegangen. Ich erinnere mich gut, in der Ferienfreizeit war es in den ersten Jahren so, dass die Männer mit den Kindern raus gegangen sind zum Spielen und die Frauen haben gekocht. Das hat sich dann geändert. Mein Vater zum Beispiel ist viel lieber in der Küche geblieben. Bei uns zu Hause ist es so, dass ich den Job mache und meine Frau weniger arbeiten geht. Ich schaue, dass meine Frau mehr zu Hause sein kann. So haben wir uns geeinigt. Auch, weil Männer immer noch mehr verdienen.“

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Schnell entsteht ein Gespräch das auch verdeutlicht: Noch immer gibt es Bereiche, die von Jungs und Männern erst erobert werden wollen. „Ein Beispiel aus meinem Alltag als Präsident der Erler Funken: Früher waren die Tanzgarden reine Frauensache. Heute haben wir auch Jungs dabei. Was in Köln völlig normal ist, das ist langsam auch in Gelsenkirchen möglich“, sagt Björn Tondorf. Ein gutes Stichwort, findet Niklas Witzel: „Wo du gerade Köln sagst: Meine Freunde und ich fragen uns oft, wie wären wir aufgewachsen, wenn wir in Köln gelebt hätten als queere Community? In einer Großstadt. Sind wir nicht in Gelsenkirchen etwas zurück mit unserem Rollenbild? Muss unsere Stadtgesellschaft nicht offener werden?“

Zwei Prinzen im Karneval? Eine Priesterin am Altar?

„Da müssen wir in eine Diskussion kommen“, findet Björn Tondorf. Wieder führt er ein Beispiel an aus „seiner Welt“: Da sei schon mal die Frage gestellt worden, ob nicht ein rein männliches Stadtprinzenpaar im Karneval denkbar sei. „Stand heute ist, ich persönlich tue mich damit schwer. Für mich gehört zu einem Prinzen eine Prinzessin. So ist nun einmal das Brauchtum. Aber vielleicht muss das auch mehr diskutiert werden.“ Bedenken, die Bernd Steinrötter nachvollziehen kann. „Wir führen in der Kirche ja auch diese Diskussion. Muss ein Priester immer ein Mann sein? Ich kenne es nur so. Und auch wenn ich es mir anders vorstellen kann, weiß ich nicht, welche Auswirkungen eine Veränderung hätte und wen man da vor den Kopf stößt. Wobei wir es ja auch zum Beispiel in Unternehmen sehen, dass Frauen Führungspositionen auch oft besser ausüben können.“

Wo über die Rolle des Mannes gesprochen wird, ist eben auch die der Frau ein Thema. Aber wie fühlen sich Männer in einer Gesellschaft, die mehr und mehr politisch korrekt sein will, wo der kernige Kerl als männlicher Prototyp gefühlt zum alten Eisen gehört? Die Diskussion darüber sei nicht einfach, gesteht Niklas Witzel ein. „Weil man versucht, es allen recht zu machen. Es gibt einen wahnsinnigen medialen Druck.“ Den typischen Mann, den gebe es aber noch, sagt Björn Tondorf. „Ich kenne ja eine Menge Leute und darunter auch ganz ,klassische Männer‘. Und so lange die sich nicht extrem geben und andere ausgrenzen, ist das doch völlig in Ordnung.“ – „Genau. Die Akzeptanz ist der Schlüssel“, findet Niklas Witzel. „Ich habe neulich in der New York Times einen Artikel gelesen über einen Mann, der mit seiner Frau an der Hand durch die Stadt spaziert und dabei Frauenkleider trägt. Erstaunlich, dass das einen so großen Bericht wert ist. Da denke ich: Lass sie doch. Wenn die beiden glücklich sind.“

Da sind sich alle einig: Männerrunden sind wichtig

Aber wo findet das Gespräch über das Mannsein überhaupt noch ungezwungen statt? Während es immer mehr Freizeitangebote nur für Frauen gibt, immer mehr Mädchenabende und Frauenformate. Da scheinen Männerstammtisch oder Skatrunde ziemlich aus der Zeit gefallen. „Also wir machen noch ganz klassische Männerrunden“, sagt Björn Tondorf. „Die nächste wieder am Heiligen Abend. Da treffen wir Männer uns seit Jahren zum Frühschoppen, während die Frauen zu Hause alles vorbereiten“, erzählt er und schmunzelt dann etwas, der klassischen Rollenverteilung wegen. In Niklas Witzel findet er dennoch einen Unterstützer. „Ich finde Männertreffen gut. Es muss doch auch für Männer einen Rückzugsort geben. Ich gehe auch gern mit meinen männlichen heterosexuellen Freunden einfach mal abends ein Bier trinken.“ Solche Männerrunden seien wichtig. „Und der ständige Versuch, in allem politisch korrekt zu sein, der ist doch schrecklich.“ Aber Sinnbild unserer Zeit, findet Bernd Steinrötter. „Im Moment wollen wir es allen wohl- aber keinem wehtun. Nach außen sind wir alle korrekt.“ Nach innen sei das jedoch nicht immer so. „Ich beobachte im Moment einen Pendelschlag, weg vom jahrhundertelangen Patriarchat.“ Wohin? Das wissen die drei Herren nicht zu beantworten.

Rolle des Mannes

Am Freitag, 19. November, ist der Internationale Männertag. Eingeführt wurde er 1999 in Trinidad und Tobago. Immer mehr findet er Verbreitung in der Welt.

Der Tag soll dazu einladen, über die Rolle des Mannes in der Gesellschaft zu sprechen und will gleichsam den Blick lenken auf positive männliche Vorbilder, auf den positiven Beitrag, den Männer für eine Gesellschaft leisten und nicht zuletzt auf die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Bleibt also zum Schluss die Frage, ob es nicht besonders wichtig ist, an einem Tag wie heute die Männerrolle zu diskutieren? Bei der Interviewanfrage hatte Niklas Witzel da noch Zweifel. Das Gespräch mit den beiden anderen hat seine Meinung verändert: „Ich war skeptisch, weil ich sehr für Frauenrechte kämpfe. Aber hier und heute habe ich gemerkt, Männer brauchen auch Schutzräume, wo man offen sprechen darf. Ich bin total happy, weil ich heute so über den Tellerrand schauen konnte.“

„Ich entspreche dem typischen Bild eines Familienvaters und Mannes. So lebe ich gern und werde es weiter tun. Aber ja, man sollte wirklich mehr über die Rolle des Mannes sprechen“, findet auch Björn Tondorf. Das Schlusswort hat Bernd Steinrötter: „Ich sage nur: Ja. Man muss darüber sprechen. Dieses Gespräch mit den unterschiedlichen Perspektiven zeigt das doch. Es gibt ja die unsinnigsten Weltgedenktage. Aber dieser hebt die Bedeutung der Aufgabe hervor, sich als Mann seiner Rolle bewusst zu werden und zu schauen, wie möchte ich in meinem kleinen Umfeld leben und Haltung zeigen.“