Gelsenkirchen. Eine Initiative will mehr 30 km/h – auch an Hauptstraßen. Die Linken finden nun: Gelsenkirchen soll hier mitmachen. Gängelung oder gute Idee?

Tempo 30, sogar an Hauptverkehrsstraßen und eventuell sogar als neue Höchstgeschwindigkeit für die Stadt? Die Fraktion der Linkspartei im Gelsenkirchener Stadtrat schlägt vor, dass es an mehr Gelsenkirchener Straßen künftig ruhiger zugehen soll. So soll sich die Stadt nach der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ anschließen und es damit Aachen, Augsburg, Hannover, Leipzig oder Münster gleichtun.

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Unterzeichnende Städte der selbst ernannten „Initiative für stadtverträglichen Verkehr“ sollen dafür eintreten, dass die Straßenverkehrsordnung geändert wird, damit Kommunen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anordnen können – und zwar überall dort, wo sie es aus ökologischer, sozialer oder verkehrlicher Sicht für angemessen erachten. Also gegebenenfalls auch an Hauptverkehrsstraßen. Zum Thema:Tempo 30 innerorts: Städtetag fordert mehr Modellprojekte

Linke: „Uns geht es nicht darum, überall in Gelsenkirchen Tempo 30 einzuführen“

„Uns geht es weniger darum, überall Tempo 30 einzuführen“, betont Thorsten Jannoff, der die Linke als sachkundiger Bürger im Verkehrsausschuss vertritt. Es gehe vielmehr darum, der Stadt Gestaltungsspielraum zu geben und Entscheidungen zu dezentralisieren. Die Stadt sollte innerhalb geschlossener Ortschaften also nicht nur in der Nähe von Kindergärten, Schulen oder Altenheimen das Tempo auf 30 km/h beschränken müssen, sondern soll dies auch an anderen Orten dürfen, wo sie es für angemessen betrachtet.

„Das könnte an mehreren Orten in Gelsenkirchen den Ausstoß der Treibhausgase mindern, es könnte so ruhiger und sicherer werden“, sagt Martin Gatzemeier, Fraktionschef der Linken – und bringt die De-la-Chevallerie-Straße als mögliche 30er-Zone ins Gespräch. „Da wird immer noch zu viel gerast.“ Probleme sieht Gatzemeier auch auf den Zubringerstraßen zur City. Lesen Sie auch: Autofreie City in Gelsenkirchen: Visionär oder unsozial?

CDU Gelsenkirchen zur Höchstgeschwindigkeit 30 km/h: „Das wäre eine Gängelung“

Hier könnte sogar Sascha Kurth, Chef der Gelsenkirchener CDU-Fraktion, mitgehen. „In den innerstädtischen Anrainerstraßen könnten auch wir uns Tempo 30 sehr gut vorstellen.“ Kritisch sieht die CDU dagegen eine flächendeckende Einführung von Tempo 30, die Kurth für einen „ideologischen“ Gedanken hält.

„Wir lehnen es ab, die Geschwindigkeit auf jeder innerstädtischen Hauptverkehrsstraße zu reduzieren. Das wäre eine Gängelung der Bürgerinnen und Bürger“, findet Kurth, der zudem den ökologischen Nutzwert von einem Tempo-30-Standard hinterfragt. Die Effekte seien im Vergleich zu Tempo 50 überschaubar. „Stattdessen aber würde es dazu führen, dass Straßen nicht mehr optimal genutzt werden können. Den Verkehrsfluss würde man dadurch behindern. Das wollen die Bürgerinnen und Bürger sicher nicht.“

Tempo-30-Initiative: Städte sind mehr als „Verbindungen von A nach B“

Im Positionspapier der „lebenswerten Städte“ heißt es hingegen, die Straßen würden durch mehr Tempo 30 nicht nur leiser, auch würden sie ihre „Funktion als multifunktionale Orte“ zurückbekommen, die mehr seien als „Verbindungen von A nach B“. Und: „Die Straßen werden wieder lesbarer“. Heißt: Regeln würden wieder einfacher und nachvollziehbarer – der Schilderwald sei dann gelichtet.

Gestärkt fühlt sich die Initiative durch diverse politische Beschlüsse. So wird in dem Positionspapier unter anderem darauf verweisen, dass sowohl die Mehrheit im Bundestag 2020 als auch die Verkehrsministerkonferenz der Länder 2021 einen Modellversuch zur Umkehrung der Regelgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h auf 30km/h angeregt haben.

Wer hinter der Initiative steckt

„Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ geht auf die „Agora Verkehrswende“ zurück, eine gemeinsame Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation. Beteiligt ist auch der Deutsche Städtetag. Der gleichnamige Antrag der Linken steht auf der Tagesordnung des Ausschusses für Verkehr und Mobilitätsentwicklung am Donnerstag, 18. November.

Der Deutsche Städtetag, der die Tempo-30-Initiative unterstützt und betont, er wolle „keine pauschalen Regelungen für alle Städte“, hatte so einen Modellversuch ebenfalls gefordert, allerdings außerhalb von Hauptstraßen. „Wir wollen, dass Städte selbst entscheiden und neue Modelle von Geschwindigkeiten erproben können“, teilte Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages und Leipziger Oberbürgermeister, dazu im Sommer 2021 mit. Zum Thema:„Großer Wurf“?: Gelsenkirchen plant 44 Projekte für Radfahrer.