Gelsenkirchen-Altstadt. Die AfD will alten wie jungen Gelsenkirchenern über die Feiertage Taxi-Fahrten erstatten. Die anderen Fraktionen wittern unseriöse Politik.

Mit dem zweiten Lockdown gehen in vielen Branchen erneut große Existenzängste um – auch im Taxi-Gewerbe. „Viele Taxiunternehmer werden es dieses Mal wohl nicht überstehen“, glaubt Erkan Sarial, Chef der Vermittlungszentrale Gelsen-Taxi in der Innenstadt und selbstständiger Taxi-Unternehmer. Um über 70 Prozent seien die Umsätze im ersten Lockdown eingebrochen. „Ich befürchte, das steht uns wieder bevor“, sagt Sarial, der die 9000 Euro Soforthilfe vom Land schnell aufgebraucht hatte.

Gefreut habe er sich deshalb kürzlich über einen Anruf eines Stadtverordneten, der sich bei ihm über die aktuelle Lage in der Branche und Hilfsmöglichkeiten erkundigt habe. „Es ist erst einmal erfreulich, dass jemand an die Branche denkt.“ Offenbar suchte der Kommunalpolitiker, ein AfD-Mitglied, nach Argumenten, um den jüngsten Antrag der Fraktion zu untermauern: Die AfD schlägt in einem Antrag für die nächste Ratssitzung am 17. Dezember vor, Taxikosten über die Weihnachtsfeiertage sowie Silvester und Neujahr zu übernehmen.

AfD will mit Kostenerstattung junge und alte Gelsenkirchener schützen

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Damit will die rechte Partei nach eigener Aussage nicht nur „ein kleines Konjunkturprogramm“ für die Taxi-Betriebe in Gelsenkirchen auf den Weg bringen, sondern einen Beitrag für den Schutz von Risikogruppen „und die Lebenszuversicht junger Menschen“ leisten. „Damit auch ältere Menschen an Weihnachten oder aber auch jüngere Menschen in der Silvesternacht nicht auf einen Besuch ihrer Familie und Freunde verzichten müssen, sind diesen besonders vulnerablen Gruppen Erstattungen ihrer Taxi-Kosten zu gewähren“, heißt es in dem Antrag.

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Auf diese Weise, so die Argumentation der AfD, würden Senioren über 65 Jahren, „die derzeit aus Angst vor einer Infektion oft den ÖPNV meiden, eine wohlwollende politische Stütze erhalten.“ Gleiches gelte für junge Menschen im Alter von 14-18 Jahren, die durch eine Erstattung der Fahrtkosten von Bus und Bahn auf Taxis umsteigen und so „Infektionsherde vermeiden“ könnten. Funktionieren soll all dies über ein Online-Antragsformular auf der Homepage der Stadt.

SPD: „Die AfD macht nur Werbung für sich - und nicht für die Menschen“

„Einen solchen Antrag kann man nicht ernstnehmen“, spottet CDU-Fraktionschef Sascha Kurth, der es für unmöglich hält, dass ein solches Erstattungsprogramm bis Weihnachten umgesetzt und so beworben werden könne, dass es von den Bürgern auch breit angenommen wird. Sehenden Auges werde von der AfD ein Vorschlag gemacht, den die anderen Fraktionen alleine aus organisatorischen Gründen nur ablehnen könnten. „Man will uns damit nur aufs Brot schmieren, sich nicht um junge und ältere Leute sowie das Taxigewerbe bemüht zu haben.“ Der Antrag sei deshalb nur ein „populistischer Versuch zur Instrumentalisierung“ und auch inhaltlich widersprüchlich.

Anträge im Rat

Neben ihrem Antrag zur Erstattung der Taxikosten will die AfD bei der Ratssitzung am 17. Dezember im Sportzentrum Schürenkamp einen weiteren Antrag einbringen. Gehen soll es dabei um die „Aussetzung des Klimanotstandes für Gelsenkirchen.

Ein weiterer Antrag kommt von der PARTEI, die Stepanakert im umkämpften Bergkarabach zu Gelsenkirchens Partnerstadt machen möchte. Die GroKo aus SPD und CDU wollen sich in einer Resolution für Unterstützung des angeschlagenen Stahl-Konzerns Thyssenkrupp aussprechen.

Ähnlich äußert sich Sozialdemokrat Taner Ünalgan. „Es wird immer deutlicher, dass es der AfD-Fraktion nicht um die Sacharbeit geht und sie frei von Fakten agiert, um den Eindruck zu erwecken, sie setzte sich für alle möglichen Leute ein“, so der zweite stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. „Die AfD macht aber nur Werbung für sich – und nicht für die Menschen.“

Grünen-Fraktionschefin Adrianna Gorczyk hält den Grundgedanken, sichere Mobilität für Risikogruppen zu schaffen, zwar nicht für grundlegend falsch, erkennt in dem AfD-Antrag aber ebenfalls „mangelnde Seriosität“. Warum lediglich das Alter und nicht auch das Risiko für Vorerkrankung ein Faktor für die Rückerstattung der Taxikosten sein soll, leuchte genauso wenig ein wie die Frage, warum man Fortbewegung in Zeiten harter Kontaktbeschränkungen überhaupt fördern müsse. „Es ist nicht gut, in Zeiten eines Lockdowns Anreize für Mobilität zu geben.“

Grüne schlagen vor, im Taxi mit ÖPNV-Tarif fahren zu können

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Für „wesentlich nachhaltiger“ hält Gorcyzk ein Modell aus dem baden-württembergischen Tübingen, das vom bundesweit bekannten Grünen-Bürgermeister Boris Palmer regiert wird. Dort können Menschen jenseits der 60 – nicht nur über die Feiertage – für den Nahverkehrstarif ein Taxi bestellen. Die Taxiunternehmen wiederum bekommen die Differenz von der Stadt ausgeglichen. In einen Antrag gießen werden die Gelsenkirchener Grünen diese Idee aber vorerst nicht. Angesichts der vollen Tagesordnung im Rat und des derzeitigen Lockdowns sei am Donnerstag der falsche Zeitpunkt, so Gorczyk.

Taxiunternehmer Erkan Sarial hält das Tübinger Modell wie auch den AfD-Antrag „für keine so schlechte Idee.“ Aber klar ist auch: Für ihn kann jegliche Form von Hilfe nicht früh genug kommen. „Wir werden in den nächsten Wochen sehr hart kämpfen müssen.“