Gelsenkirchen. Städte wie Gelsenkirchen brauchen Finanzhilfe zum Ausbau der Bildungsinfrastruktur. Vor, während und nach Corona, betont Lothar Jacksteit (GEW).
Zukunftssichernde Hilfspakete gibt es in diesen Tagen für die allermeisten Bereiche der Gesellschaft. Die Schulen aber gingen – abgesehen von digitalen Endgeräten und Grundausstattung für den Infektionsschutz – bislang weitgehend leer aus. Die Gewerkschaft Erziehung und Bildung (GEW) Gelsenkirchen und Ruhrgebiet hat nun einen „Masterplan Zukunft Bildung“ aufgestellt, der die Zukunft der Kinder sichern helfen soll.
„Die Defizite und Bildungsungerechtigkeiten, die wir jetzt in Corona-Zeiten wie unter einem Brennglas sehen, gab es auch schon vor Corona“, klagt Lothar Jacksteit vom Leitungsteam des GEW-Stadtverbandes Gelsenkirchen. Der Masterplan hat eine Verbesserung der Bildungsinfrastruktur vor allem in den ersten zehn, den entscheidenden Lebensjahren für die Bildung, und damit auch die Kitas im Blick. Finanziell in der Pflicht sehen die Akteure Bund und Land. Die Gesetzeslage sehe diese Unterstützung „zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur“ ausdrücklich vor, im Grundgesetz, betont der Gewerkschaftsvorsitzende.
Akuter Handlungsbedarf angesichts steil ansteigender Schülerzahlen
Ein Blick auf die aktuelle Entwicklung der Schülerzahlen in Gelsenkirchen und die finanzielle Situation Gelsenkirchens belegt in der Tat akuten Handlungsbedarf. Nach jüngeren Prognosen werden im kommenden Schuljahr noch einmal 300 Erstklässler mehr als 2020 in Gelsenkirchens Grundschulen strömen. Klassenräume für sieben ganze „Züge“ werden dann in der Stadt fehlen , der größte Fehlbedarf wird 2025 erwartet, blickt man auf aktuelle Geburtenraten und Zuzüge. Gleiches gilt für Lehrkräfte. Und diese Zahlen fußen auf Klassengrößen mit 25 bis 30 Kindern im Schnitt.
Schulen an veränderte Bedürfnisse der Gesellschaft anpassen
Doch genau das will die Erziehungsgewerkschaft geändert sehen. „Wir haben versäumt, die Bildungspolitik an die veränderten Bedürfnisse der Gesellschaft anzupassen“, klagt Jacksteit. In Grundschulen, in denen gute Deutschkenntnisse keine Selbstverständlichkeit sind und etwa zwei Drittel der Kinder einen Migrationshintergrund haben, brauche es kleinere Klassen , damit gutes Lernen möglich ist. Und dafür fehlen – nicht nur in Gelsenkirchen – Räume und Lehrkräfte. 2018 verfügte im Schnitt jedes vierte Kind in Gelsenkirchen bei der Einschulungsuntersuchung nicht über ausreichende Deutschkenntnisse . Auch bei der Betreuung gebe es klaren Nachholbedarf, um das Angebot der veränderten Nachfrage anzupassen.
Höchste Armutsquote erhöht Handlungsdruck
Hinzu kommt die bundesweit höchste Armutsquote bei Kindern in Gelsenkirchen. Kinder zwischen drei und sechs Jahren sind hier zu 44,7 Prozent betroffen, zwischen sechs und 15 Jahren sind es 42,3 Prozent laut aktuellen Zahlen des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe. Den immer stärker werdenden Zusammenhang von Armut und Bildungschancen in Deutschland haben Studien mehrfach bewiesen. Nicht nur in Zeiten von Corona droht das zu eskalieren. Dabei schätze die GEW, so Jacksteit, ausdrücklich die vielfältigen Bemühungen der Stadt Gelsenkirchen, dem entgegenzuwirken.
Damit Gelsenkirchen nicht weiter abgehängt wird
10 Gründe, den Gelsenkirchen-Newsletter gratis zu abonnieren Was die Notwendigkeit finanzieller Unterstützung des Bundes für stark mit Sozialleistungen belastete Städte wie Gelsenkirchen nach GEW-Einschätzung unterstreicht, ist die Klassenteilung in den Wochen vor den Sommerferien. Als Corona-bedingt die Klassen geteilt unterrichtet wurden, hätte sich gezeigt, wie effektiv Kinder in diesen kleinen Gruppen lernen können, versichert Jacksteit. Das aber sei dauerhaft nötig, um zu verhindern, dass Kinder in Städten wie Gelsenkirchen langfristig noch stärker abgehängt werden.
Gute Fortschritte an der Caubstraße
In einer Sondersitzung im Juni hatte der Ausschuss für Bildung gemeinsam mit den Bezirksvertretungen noch in der alten Zusammensetzung über mögliche Standorte und Vorbereitungen zum Bau von neuen Grundschulbauten und Anbauten Beschlüsse gefasst. Was dringend geboten war: Wann die erste Sitzung des nach der Wahl neu zu besetzenden Gremiums stattfinden wird, ist bis heute nicht klar. Beschlossen wurden im Juni Maßnahmen an der Caupstraße sowie der Grundschule Kurt-Schumacher-Straße , an der Ebersteinstraße und mit Einschränkungen an der Schultestraße.
An der Caubstraße sind die Planungen und Vorbereitungen nun nach Auskunft des Schulträgers soweit vorangeschritten, dass von einer Inbetriebnahme von Räumen für mindestens vier Klassen zum Beginn des Schuljahres 2021/2022 ausgegangen werden kann. Bildungsreferatsleiter Klaus Rostek betont, dass jedoch auch an den anderen Standorten die Vorbereitungen in vollem Gange sind. Für den Stadtsüden , wo es ebenfalls dringenden Ausbaubedarf gibt, sind indes noch keine Standorte für Neubauten beschlossen.
Fast jedes zehnte Kind verlässt in Gelsenkirchen die Schule, ohne mindestens einen Hauptschulabschluss zu haben. Und nach dem Verlassen der Schule dreht sich die Spirale ohne Schulabschluss in aller Regel weiter. Kein Abschluss, schlechte Ausbildungs- und Berufsaussichten: „Die Folgekosten für die Gesellschaft sind viel höher als Investitionen in bessere Bildungsinfrastruktur“, resümiert Jacksteit eigentlich längst bekannte Zusammenhänge.
- Verfolgen Sie die aktuelle Entwicklung zum Coronavirus in Gelsenkirchen in unserem Newsblog
- Oder folgen Sie der WAZ Gelsenkirchen auf Facebook