Gelsenkirchen. 2020 ist für Schalke in mehrerlei Hinsicht ein Seuchenjahr. Turbulenzen gehören zur DNA des Clubs, aber jetzt droht der GAU: die Abkehr der Fans.
Für gewöhnlich laufen die Whatsapp- und Facebookgruppen in Schalker Fankreisen in den Tagen vor dem Derby heiß mit Videos von Gerald Asamoah, der Roman Weidenfeller einen einschenkt, von Jermaine Jones, der Kevin Großkreutz rüde von den Beinen holt, von Naldo, der zum 4:4-Ausgleich köpft und den vielen, vielen anderen Derbyhelden...
Derbywoche ist eigentlich immer eine Mischung aus angespannter Vorfreude und gesteigertem Vereinspatriotismus – ganz egal, ob Schalke oder Dortmund gerade deutlich schlechter in der Bundesligatabelle platziert ist als der wenig geliebte Konkurrent. Unzählige Male schon ist der vermeintliche Favorit als Verlierer bei diesen besonderen Begegnungen vom Platz gegangen.
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Vor dem Spiel an diesem Samstag ist in Gelsenkirchen und sicher auch in weiten Teilen der Blau-Weißen Nation alles anders. Vielen Schalkefans ist ihre Mannschaft im Moment ziemlich egal – und das liegt eben nicht nur daran, dass Fußball ohne Zuschauer im Stadion grundsätzlich langweilig ist.
Dem FC Schalke 04, dessen Marketingabteilung so gerne mit der Kumpeltradition des eingetragenen Vereins spielt, diesem Club, der als Werbeslogan „Wir leben dich“ auf seine Fan-Produkte druckt, droht der größte anzunehmende Schaden: die Abkehr seiner Fans.
Eine Fülle an Missständen auf Schalke
Natürlich gibt es weiterhin Anhänger, die mit der Elf vom Berger Feld zittern, sich Woche für Woche ärgern und dann doch wieder optimistisch in die nächste Partie gehen. Aber es gibt inzwischen eben auch besorgniserregend viele Schalker unter den treuesten Fans, die sich immer mehr entfremdet haben von der Mannschaft und der Vereinsführung.
Zu viel Porzellan wurde in den vergangenen Monaten zerschlagen, bekommt man im Gespräch mit der enttäuschten Anhängerschaft unisono zu hören.
Da ist allen voran eine sportliche Talfahrt, die jeden Beobachter fassungslos zurücklässt. Die mut- und kampflosen Auftritte der Profis in 20 aufeinanderfolgenden Spielen ohne einen einzigen Sieg, passen so gar nicht zu Gelsenkirchen, zur Region.
Wer nicht kämpft, hat schon verloren
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Was für manchen nach abgedroschener Ruhrpottromantik klingen mag, ist auf Schalke immer noch Realität: Wer sich hier reinhängt, wer sich mit vollem Einsatz und Willem seinem Gegner stellt, dem verzeihen die Fans sogar eine ungeheure Sieglosserie. Doch diese Mentalität lässt die Mannschaft schon lange vermissen.
Gelitten hat die Liebesbeziehung der Fans zu ihrem FC Schalke 04 aber auch neben dem Platz nachhaltig. Die Rassismusdebatte um Ex-Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies, die in einem internen Urteilsspruch endete, der allenfalls Geste denn als echte Strafe gegen den damaligen Vereinspatron verstanden wurde, deuteten viele Anhänger als letzten Beweis für dessen Allmacht auf Schalke.
Dass Tönnies, der im Sommer als Clubboss zurücktrat, gleich beim ersten Bundesligaspiel der neuen Saison in München wieder zusammen mit der Schalker Vereinsführung auf der Tribüne saß, erzürnte viele Schalkefans abermals. Wieder verlor der Verein ein Stück seiner Glaubwürdigkeit.
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Zuvor hatte schon die zeitweilige Einstellung des Spielbetriebs in der Bundesliga offenbart, dass dem hoch verschuldetem Verein das Wasser bis zum Halse steht. Wenn der Ball nicht rollt und die Fernsehgelder nicht fließen, droht den Knappen das Aus, mahnte der Vorstand.
Schalke kündigt 24 Minijobbern, um Geld zu sparen
Um Geld zu sparen kündigte der Verein 24 Fahrern der Nachwuchsspieler – Mitarbeiter, die größtenteils über 400- oder 450-Euro-Verträge beschäftigt wurden. Schalke werde dafür Sorge tragen, dass keiner, der von den Einnahmen lebe, ins Bodenlose falle, versuchte Sportvorstand Jochen Schneider diese Sparmaßnahme zu verteidigen. Der Verein müsse schließlich neben sozialen auch nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden.
Erneut stieß Schalke auf viel Unverständnis bei den Fans. Denn wann, wenn nicht in Krisen-Zeiten, sollten tausend Freunde tatsächlich zusammensteh’n, wie es im Vereinslied doch so schön heißt?
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Und dann war da auch noch der Ticketärger im Frühjahr, als die Spiele ohne Zuschauer im Stadion wieder weitergingen: Wer vor dem Jahr 2022 Geld für gekaufte Tickets zurückhaben wollte, wurde dazu aufgefordert, per Formular einen triftigen Grund anzuführen. „Warum benötigst du das Geld unbedingt jetzt? Begründe bitte deinen Härtefallantrag, falls möglich, füge bitte auch entsprechende Belege an“, hieß es dem Anschreiben des Vereins an seine Fans.
„Das war ein kapitales Eigentor, ein unglaublicher Fehler. Das darf kein Bundesligaverein machen und schon gar nicht Schalke 04, wo die Menschen, die Fans, die Mitglieder, die Dauerkarteninhaber dem Verein so viel Liebe entgegenbringen. So ein Fehler darf da nicht passieren“, erklärte Jochen Schneider später.
Recht hat er. Nur müssen Vereinsführung und Mannschaft den Worten nun Taten folgen lassen. Keine Ausflüchte, keine Ausreden, keine Schönrederei mehr. Dann, aber nur dann, „wird auch Schalke nie untergehen.“
*Sinan Sat, Autor dieses Kommentars, ist selber Schalkefan und Dauerkarteninhaber