Gelsenkirchen. 18 Prozent der Kinder unter drei Jahren besuchen in Gelsenkirchen eine Kita. Warum das nicht nur am Kitaausbau liegt und was die Politik fordert.
Obwohl die Stadt für sich reklamiert, in den vergangenen Jahren „erhebliche Anstrengung“ beim Kita-Ausbau unternommen zu haben, werden in Gelsenkirchen weitaus weniger Kinder betreut als in vielen anderen NRW-Städten. Wie aktuelle Zahlen vom statistischen Landesamt (IT NRW) zeigen, besuchen in Gelsenkirchen nur 18,3 Prozent der Kinder unter drei Jahren Kita oder Tagespflege. Im Landesschnitt und in vielen Ruhrgebietsstädten sind es knapp 29 Prozent.
Etwa 8300 Kinder unter drei Jahren leben aktuell in Gelsenkirchen. Rund 1490 von ihnen wurden laut IT NRW im März 2019 betreut, im März dieses Jahres waren es knapp 1530 Kinder. Damit hat sich die sogenannte Betreuungsquote kaum merklich – nämlich nur um 0,3 Prozent - erhöht. Bei den Kindern zwischen drei und sechs Jahren dagegen hat sich der Anteil der betreuten Kinder sogar von 85,5 auf 83,5 Prozent verschlechtert.
Abweichung zur Landesstatistik: Stadt Gelsenkirchen legt andere Zahlen vor
Die Stadt behauptet, die Statistik mache die „unterschiedlichen Herausforderungen beim Ausbau der Betreuungsangebote nicht deutlich.“ Dass es in Gelsenkirchen in jüngster Vergangenheit einen konstant hohen Geburtenanstieg sowie Zuzug gab und in den Jahren 2015/2016 überdurchschnittlich viele Asylsuchende nach Gelsenkirchen kamen, werde dabei nicht berücksichtigt. Beides habe die Bedarfsplanung erschwert. Zudem würden zugewanderte Kinder, die nur vorübergehend in der Stadt bleiben, nicht direkt im Kindergarten angemeldet.
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Auch weichen die internen Zahlen deutlich von der NRW-Statistik ab. Die Stadt registrierte Ende 2019 insgesamt etwa 1970 betreute Kinder unter drei Jahren, was eine bessere Betreuungsquote von etwa 24 Prozent bedeuten würde. Woher die Differenz zur Landesstatistik? Die Stadt hält die Corona-Einschränkungen für einen Grund: Die Erhebung der Daten in den Einrichtungen erfolgte erst am 16. März, also am ersten landesweiten Schließungstag der Kitas. Auch von IT NRW heißt es, dass durch die Pandemie einige Daten nicht rechtzeitig übermittelt werden konnten.
Grüne und Linke fordern mehr frühkindliche Bildung für alle Kinder
Studie zeigt Überbelastung der Erzieher
Wie eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, sind Erzieher in Gelsenkirchen für mehr Kita-Kinder zuständig als empfohlen. Die Stiftung empfiehlt einen Betreuungsschlüssel von 1 zu 7,5 für Kindergartengruppen (drei Jahre bis Schuleintritt), in Gelsenkirchen liegt er aktuell bei 1 zu 9,3.
Auch zeigt die Studie, dass 46,6 Prozent der Kita-Kinder über drei Jahre in Gelsenkirchen überwiegend kein Deutsch in ihren Familien sprechen. Bei den Kindern unter drei Jahren sind es 30 Prozent. 53,3 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen haben einen Migrationshintergrund, bei den Jüngeren sind es 41,6 Prozent.
Aber auch eine Betreuungsquote von 24 Prozent würde bedeuten, dass in Gelsenkirchen unterdurchschnittlich wenige Kinder eine Kita besuchen. David Fischer, OB-Kandidat der Grünen, wertet die schlechte Quote als eine Folge der hohen Kinderarmut von über 40 Prozent in Gelsenkirchen. „Wenn den Eltern Arbeit fehlt, fehlt auch der Wunsch nach Betreuung“, sagt er. „Bildungsgerechtigkeit hängt aber insbesondere davon ab, inwieweit Kinder schon vor der Schule an Bildung herangeführt werden.“ Um mehr Kinder möglichst früh fördern zu können, sei es deshalb wichtig, in die Quartiersarbeit zu investieren. „Das ist der richtige Weg: In kleinen Sozialräumen niederschwellige Beratungsräume schaffen, damit die Eltern von den Vorzügen der Betreuung erfahren.“
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Bevor auch mehr Kinder von arbeitslosen Familien in die Betreuung gebracht werden, müsse jedoch der Kita-Ausbau weiter stark vorangebracht werden, sagt Martin Gatzemeier, OB-Kandidat der Linken. „Auf Dauer gesehen sollten wir einen Kita-Platz für jedes Kind anbieten können, aber in einer Stadt, die arm wie die Kirchenmaus ist, werden solch wichtige Investitionen in die Bildung leider verschleppt.“
SPD verspricht 600 zusätzliche Kita-Plätze
Die SPD sieht das anders: Sie schmückt sich im Wahlprogramm damit, dass das Angebot an Betreuungsplätzen im letzten Jahrzehnt um fast 20 Prozent erhöht werden konnte. Bis 2021 versprechen die Sozialdemokraten 600 zusätzliche Kita-Plätze. Der noch amtierende OB Frank Baranowski war erst Mitte August auf großer Kita-Tour, um dafür zu werben, dass die Stadt mit inzwischen rund 9120 Betreuungsplätzen beim Ausbau auf einem guten Weg sei.
Die CDU bezeichnet die bisherige Bedarfsplanung der sozialdemokratisch geführten Stadtverwaltung in ihrem Wahlprogramm als „Quotenanpassung, um den schleppenden Ausbau zu kaschieren.“ Dass man bei der Auflistung des aktuellen Standes an Betreuungsangeboten bereits neue Einrichtungen aufliste, die zum Start eines neuen Kitajahres noch gar nicht fertig gestellt seien, bewerten die Christdemokraten als irritierend. Gleichzeitig behauptet OB-Kandidat Stuckmann, die Stadt könne sich beim Kita-Ausbau noch „wesentlich flexibler zeigen“. Ein grober Fehler sei es etwa, bei Neubaugebieten für junge Familien wie den Buerschen Waldbogen nicht direkt eine Kita mit einzuplanen.