Gelsenkirchen. . Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski äußert sich im Interview zur Horster Straße und zu anderen Themen – und warum er den Sitz des ZDF gerne in Gelsenkirchen hätte.
Zum Abschluss unserer Reihe der SommerGEspräche 2018 traf WAZ-Redaktionsleiter Steffen Gaux Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) zum Interview.
Herr Baranowski, hinter uns liegt ein heißer und bewegter Sommer mit vielen Themen. Für Schlagzeilen sorgte eine Straßenschlacht in Horst und eine daraus resultierende Bürgerversammlung. Hier scheinen die Probleme der Zuwanderung aus Südosteuropa aus dem Ruder zu laufen. Wie wollen Sie als OB den Menschen zeitnah helfen?
Frank Baranowski: Ich will zumindest mal differenzieren, weil ich da die Medien bitten möchte, die Worte wohl zu wählen. Straßenschlachten hat es gegeben beim G 20-Gipfel in Hamburg. Dass es in Horst eine Prügelei gegeben hat, ist zweifelsfrei so. Eine, die auch nicht akzeptabel ist. Und deshalb haben unverzüglich danach die Polizei und auch der Ordnungsdienst gehandelt. Die Kontrollen sind verschärft worden. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft ermitteln.
Wir sind mit dem Kommunalen Ordnungsdienst vor Ort, haben mehrfach Gefährderansprachen vorgenommen und sind im Kontakt mit dem Vermieter, der diese Wohnungen an Menschen vermietet hat – das ist ja nicht die Stadt. Auch der hat eine Verantwortung für den sozialen Frieden in seiner Immobilie. Das ist grundsätzlich das Konzept, das wir verfolgen: Wir geben klare Leitplanken vor – und wer sich nicht dran hält, dem treten wir auf die Füße. Wir haben das Konzept der Hausbesuche und der Objektkontrollen in Gelsenkirchen quasi erfunden. Andere Städte kopieren das jetzt. Aber noch mal: Da, wo Straftaten geschehen, ist die Polizei in der Verantwortung. Das ist nicht Aufgabe der Stadt.
Dennoch haben die Menschen – das zeigte die Bürgerversammlung deutlich – das Gefühl, dass die Politik eben nicht genug für sie tut.
Das Thema Zuzug aus Südosteuropa ist eins, das wir in Gelsenkirchen sehr intensiv begleiten. Und Zuzug heißt ja nicht, dass die Menschen von sich aus kommen. Häufig werden sie von Hintermännern hierher geholt. Es ist ja kein Zufall, dass dieses Phänomen lediglich einige Städte in Deutschland betrifft. Teilweise werden ihnen Wohnungen zu überteuerten Konditionen vermietet, hier verdienen dann die Hinterleute.
Deshalb ist das eine komplexe Angelegenheit. Wir reden über europäische Freizügigkeit, die man nicht mal eben abschaffen kann. Das macht es schwierig, Dinge zu erklären, zu sagen: Wir können zwar jemandem die Freizügigkeit entziehen und ihn auch aus der Bundesrepublik Deutschland ausweisen, ob das trägt, müssen wir sehen. Das ist aber nicht das, was die Menschen hören wollen – schon gar nicht bei solchen Veranstaltungen.
Was kann die Stadt tun?
Wir entziehen die Freizügigkeit. Wir kontrollieren, wie jemand seinen Lebensunterhalt verdient, ob die Kinder wirklich da sind, für die Kindergeld bezogen wird. Aber zum Beispiel die Frage, ob eine geringfügige Beschäftigung mit acht Stunden pro Woche ausreicht, um aufstockende Leistungen zu bekommen – die Frage entscheidet sich nicht in Gelsenkirchen. Auch Arbeitgeber sollten sich fragen, ob es richtig und nötig ist, in dieser Weise von geringfügiger Beschäftigung zu profitieren. Das hat was mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu tun, mit dem Arbeitnehmerstatus. Das kann nur die Europäische Union klären.
Auch interessant
Wie sieht es bei dem Thema mit der Unterstützung aus Berlin aus?
Manchmal ist schon mein Eindruck, dass das Thema, das bei uns ein ganz großes und wichtiges ist, in der bundesrepublikanischen Wahrnehmung ein relativ kleines ist, weil es rund 10 bis 20 Städte betrifft. Mein Eindruck ist aber, dass sich Dinge verändern – auch durch die Diskussion um die Frage: Reicht Kindergeld aus und wie kommt man daran? Aber es wäre fatal zu den Menschen in Horst zu sagen: Morgen haben wir eine Änderung, morgen wird sich das total entspannen. Das ist immer wieder ein ziemlich dickes Brett. Und mein Kollege Sören Link aus Duisburg und ich sind die, die das ständig thematisieren – auch wenn’s andere schon nicht mehr hören können.
Haben Sie mal darüber nachgedacht, in die Straße zu gehen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen?
Ich wohne in Horst. Ich kenne die Straße. Es ist nicht so, als wenn ich nicht wüsste, wovon ich da rede. Aber es ist ja auch nicht so, dass das die einzige Stelle in der Stadt ist, die mir Sorgen macht.
Wer sich bei solchen Themen sofort zu Wort meldet und den Bürgern die Rolle des Kümmerers signalisiert, ist die AfD. Gerade diese Themen und die aus der Sicht betroffener Bürger unzureichende Reaktion der Politik sind es doch, die die AfD immer weiter stärken. Wie sehen Sie das?
Ich sehe diese Entwicklung mit Sorge, weil die AfD keine Lösungen anbietet, sondern schlichtweg schlechte Stimmung verbreitet. Wenn ich mir die AfD im Rat der Stadt anschaue, dann sind die Herrschaften noch nie mit konkreten Vorschlägen in Erscheinung getreten.
Halten Sie die AfD für gefährlich?
Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass mich diese ganze Entwicklung ruhig lässt. Im Zuge des Auftretens der AfD sind ja Tabus gefallen: Immer mal wieder austesten, wie weit man gehen kann und dann wieder ein Stückchen weiter an Tabus rütteln. Man traut sich das, was man schon immer mal sagen wollte, jetzt auch zu sagen. Und meine Befürchtung ist, dass zwischen dem Sagen und dem Handeln der Abstand immer kleiner wird. Das ist nicht gut für unsere Demokratie, das ist nicht gut für die Entwicklung in der Gesellschaft. Die Verrohung nimmt zu. Ich glaube, wir müssen stärker deutlich machen, welchen Stellenwert unsere Demokratie hat.
Kommen wir zur Dauer-Baustelle an der Horster Straße. Da stand vor einigen Wochen vor allem der Rewe-Markt Schüler im Fokus, der sich wegen der Arbeiten und der schlechten Erreichbarkeit seiner Filiale in seiner Existenz bedroht fühlt. Was löste dieser Hilferuf via Zeitungsanzeige in Ihnen aus? Inwieweit sehen Sie die Stadt in der Verantwortung, dass es aufgrund der Baustelle weder zu Geschäftsaufgaben noch zu Entlassungen kommt?
Ergebnis des Ganzen ist, dass sich Familie Schüler und Mitarbeiter der Verwaltung im August zusammengesetzt haben, dass über die Baustellenabläufe sehr konstruktiv gesprochen wurde und dass sie sich nach wie vor im Gespräch befinden. Ich habe den Eindruck, dass klar geworden ist, dass es solcher Zeitungs-Anzeigen eigentlich nicht bedarf.
Inwieweit sehen Sie die Stadt in der Verantwortung, dass es aufgrund der Baustelle weder zu Geschäftsaufgaben noch zu Entlassungen kommt?
Wir richten solche Baustellen ja nicht aus Langeweile ein. Und wir haben auch keinen Spaß daran, Kaufleute zu ärgern. Die Horster Straße ist eine der längsten Straßen in Gelsenkirchen quer durch verschiedene Stadtteile mit Straßenbahnschienen in der Mitte – dass das schwierig wird und Zumutungen mit sich bringt, ist leider so.
Auch interessant
Wichtig ist, dass wir versuchen, mit den Betroffenen die Abläufe so zu gestalten, dass sie einigermaßen erträglich sind. Was wir leider nicht beeinflussen können, ist, dass eine Gasleitung ausgetauscht werden musste. Geplant war, sie an einigen Stellen zu reparieren. Jetzt hätte man sagen können: Augen zu und durch. Dann hätten wir die Leitung in zwei Jahren austauschen müssen. Ich wette, Herr Gaux, dass wir dann gefragt worden wären – vielleicht auch von Ihnen –, warum wir das nicht gemacht haben, als vor zwei Jahren die Straße komplett geöffnet war.
Als Stadt müssen Sie solche Baumaßnahmen ausschreiben und dem günstigsten Anbieter den Zuschlag geben. Liegt nicht in der knappen Kalkulation der Anbieter schon der Grund für ständige Bauverzögerungen?
Wir müssen den wirtschaftlichsten Anbieter nehmen, es muss nicht der billigste sein. Und dann dürfen wir schon auf Zuverlässigkeit achten und auf Kompetenzen des Anbieters. Aber es kann immer was dazwischen kommen, etwa, dass ein Unternehmen dann doch pleite geht. Darauf haben wir keinen Einfluss. Teilweise ist es aber auch schwierig, Unternehmen zu bekommen. Die Auswahl ist teilweise sehr beschränkt, weil sich Unternehmen oft gut überlegen, ob sie für die öffentliche Hand tätig werden wollen oder nicht doch lieber im privaten Bereich.
Den Sommer über diskutierten die Menschen in Gelsenkirchen immer noch viel über die vom ZDF in Auftrag gegebene Prognos-Studie: letzter Platz bei der Lebensqualität. Was macht so eine Studie mit Ihnen persönlich? Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie so etwas erfahren?
Auch interessant
Seitdem ich Oberbürgermeister bin, verfolgen mich diese Prognos-Studien. Die Studie hat mich nicht überrascht, aber sie ärgert mich, weil ich hinterfrage, welche Kriterien angelegt werden. Wobei ich nicht die Fakten hinterfrage, die dargestellt wurden – die kenne ich, und wir arbeiten daran, dass diese Fakten sich verändern. Nur die Rückschlüsse, die daraus gezogen werden, die haben mich negativ berührt, weil ich nicht einsehen kann, was die Höhe der Langzeitarbeitslosigkeit – die nicht in Ordnung ist, keine Frage – aussagt über die Lebensqualität. Sie haben sich nicht damit beschäftigt, in welchem Zustand unsere Kindergärten und Schulen sind und in welchem Maße wir hier Grünflächen haben. Digitalisierung war auch kein Thema. Das ist so nicht in Ordnung.
Haben Sie das Gefühl, dass so ein Ranking der Stadt nachhaltig schadet? Oder interessiert es außerhalb von Gelsenkirchen niemanden?
Das wird schon wahrgenommen und wird ja auch medial verstärkt. Irgendwann setzt sich so etwas dann schon in den Köpfen fest.
Hatten Sie in diesem Zusammenhang mal Kontakt zu Prognos oder zum ZDF?
Zu Prognos hatten wir in den Vorjahren mal Kontakt. Die haben uns sehr eloquent dargestellt, dass das alles richtig sei. Andere Wissenschaftler aus dem Ruhrgebiet haben dagegen gesagt, es sei unwissenschaftlich, wie Prognos arbeitet. Ich glaube, das ist am Ende müßig. Wenn die Fakten so sind, müssen wir daran arbeiten, dass sich diese Zahlen verändern. Thema Langzeitarbeitslosigkeit – deshalb ja auch der Einsatz für den sozialen Arbeitsmarkt. Mit dem ZDF wird es in absehbarer Zeit zu einem Gespräch kommen. Ich bin mal gespannt, wie sich die entsprechende Redaktion da positioniert. Wie schon mal gesagt: Ich hätte ja nichts dagegen, wenn das ZDF sein Sendezentrum von Mainz nach Gelsenkirchen verlegt. Das wären viele Arbeitsplätze, die wir hier gut gebrauchen könnten. Das wäre doch ein Beitrag zum Strukturwandel!
Auch interessant
Was halten Sie von Olivier Kruschinskis Kampagne #401GE?
Das ist, wie ich finde, eine sehr sympathische, mit ein bisschen Ironie und Augenzwinkern vermischte Kampagne. Eine schöne Antwort von jemandem, der Gelsenkirchen wirklich mag und zu Gelsenkirchen steht.
Vor einem Jahr wurde ein neuer Bundestag gewählt. Nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen kam die nächste GroKo. Die SPD stand fast vor einer Zerreißprobe. Und heute? War es richtig, erneut in die Koalition mit der Union zu gehen?
Nach wie vor halte ich diese Entscheidung für eine richtige, weil die Alternative Neuwahl keine bessere gewesen wäre. Zugegebenermaßen fällt das Regieren nach wie vor etwas schwer in Berlin, jedenfalls aus der hiesigen Perspektive. Ich würde mir wünschen, dass die Dinge, die im Koalitionsvertrag stehen, geräuschloser abgearbeitet würden. Was mir auch gar nicht gefällt, sind so Aussagen wie: Alle finanziellen Regeln seien im Koalitionsvertrag abschließend getroffen und es könne nicht mehr geben in dieser Periode. Es entstehen neue Anforderungen auch aus kommunaler Sicht, wie zum Beispiel das Thema Altschulden. Da brauchen wir Lösungen.
Machen Sie sich angesichts der Umfragewerte Sorgen um die SPD?
Die Umfragewerte der SPD sind nicht schön und ich finde sie auch ein Stückweit ungerecht. Aber mir macht viel mehr Sorgen, was in dieser Republik passiert. Das ist viel tiefgehender. Das treibt mich um. Ich habe früher immer meine Großeltern gefragt: Warum seid ihr damals nicht früher auf die Straße gegangen? Und ich ertappe mich bei dem Gedanken: Wann ist eigentlich der Zeitpunkt, um auf die Straße zu gehen?
Sie denken dabei bestimmt auch an die Bilder aus Chemnitz. Haben Sie manchmal Angst, dass sich solche Szenen auch hier zutragen könnten?
Der Osten Deutschlands ist sicherlich anders zu bewerten als der Westen. Aber mir macht schon Sorge, dass auch hier bei uns das, was von Rechts kommt, durchaus auf Sympathie stößt. Umso wichtiger ist – und da sehe ich uns alle gefordert –, dass man jetzt Haltung zeigt. Das fängt übrigens schon bei der Sprache an oder wie wir miteinander umgehen. Die Basketballer des FC Schalke 04 spielen in dieser Saison nicht mehr in Gelsenkirchen, sondern ziehen nach Oberhausen, weil es hier keine adäquate Halle gibt. Das kann Ihnen nicht gefallen…
Auch interessant
Das ist eine wirklich schwer nachvollziehbare Geschichte. Die Liga stellt jetzt für die zweite Bundesliga höhere Anforderungen was die Kapazität angeht. Und die Halle am Schürenkamp, die da infrage käme, kann von der Konstruktion nicht die von der Liga vorgeschriebenen Basketballkörbe tragen, weil da eine Sprunggrube drunter ist. Der Vorlauf war zu kurz, die baulichen Veränderungen vorzunehmen.
Ist es Aufgabe der Stadt oder des Vereins für eine solche Spielstätte zu sorgen?
Wenn es jetzt ein kleiner Basketballverein wäre, würde ich sagen: Den kann man damit nicht belasten. Bei Schalke ist das schon ein bisschen anders.
Also muss Schalke das alleine stemmen? Der Verein nimmt für die Neugestaltung des Vereinsgeländes 100 Millionen Euro in die Hand, gibt etliche Millionen für neue Fußballspieler aus. Bei der Basketballhalle geht es dagegen nur um einen sechsstelligen Betrag. Es wäre für Schalke sicherlich machbar, oder?
Vielleicht kann es ja eine gemeinsame Lastenteilung geben. Wir müssen uns das mal anschauen, welche Anforderungen das sind und welche Kosten da entstehen, und uns dann partnerschaftlich zusammensetzen.