Gelsenkirchen. . Er wurde 1951 erfunden für engagierte Bürger. Wir fragten vier Bundesverdienstkreuzträger aus Gelsenkirchen, was die Auszeichnung ihnen bedeutet.

Unterstützung Süchtiger im Kampf gegen Abhängigkeit, Hilfen für Kinder, die unter den Folgen des Supergaus in Tschernobyl leiden, ärztlicher Beistand ohne Entlohnung sowie Schützenhilfe für große und kleine Sportler: Für vier Gelsenkirchener sind das Selbstverständlichkeiten, dem Staat waren sie eine Würdigung wert: das Bundesverdienstkreuz. Es ist eine vor allem symbolische Würdigung von Engagement im Dienste der Gesellschaft. Soll sagen: Geld gibt es nicht, aber Anerkennung.

‘Guck, was du noch kannst’ als Motto

Ursula Westphal hat ich trotz aller gesundheitlichen Rückschläge den Elan nie rauben lassen. Foto: Martin Möller Ursula Westphal (heute 78) wurde 1999 von der Nachricht überrascht, dass sie das Bundesverdienstkreuz am Bande bekommen soll: für ihre Verdienste als Fachschaftsleiterin bei Gelsensport. 1976 übernahm sie als erste Frau in Deutschland eine Fachschaftsleitung. Damals hatte sie ihre Karriere als Turnerin, die an Landesmeisterschaften teilgenommen hatte, bereits aufgeben müssen wegen eines schweren Unfalls.

Dem Sport kehrte sie dennoch bis heute nicht den Rücken: Im Gegenteil. Nach Feierabend waren die Turnhallen der Stadt ihr Zuhause, wo sie Gruppen leitete, den Nachwuchs und gern auch schwierigere Fälle betreute. Weitere gesundheitliche Rückschläge bremsten sie nicht. Sie wollte Vorbild sein, ermunterte den bei „Wetten dass...“ verunglückten Samuel Koch mit ihrem Lebensmotto: „Guck nicht, was du nicht mehr kannst. Guck, was du noch kannst!“ Bis heute organisiert sie den großen Wandertag für Gelsensport. „Für mich bedeutet die Auszeichnung nicht nur eine große Anerkennung, sondern auch eine Verpflichtung. Danach kann man doch nicht einfach aufhören.“

600 Kindern unbeschwerte Ferien ermöglicht

Ilse Engmann mit ihrer Bundesverdienstmedaille und der Urkunde. Geld für ihre Schützlinge wäre ihr fast noch lieber gewesen. Joachim Kleine-B left Ilse Engmann (72) hatte 1992 in der WAZ von einem Hilfsverein für Kinder aus Tschernobyl gelesen, der sich in Gladbeck gegründet hatte. Eine sehr gute Idee, fand sie. Und gründete selbst so einen Verein, der seit 1994 ganzen Schulklassen aus der betroffenen Region unbeschwerte Ferien bei Gastfamilien in Gelsenkirchen ermöglicht. Bis zu 600 Kinder kamen bisher in den Genuss. Seit zehn Jahren gibt es auch einen Austausch mit Studenten aus Weißrussland, die hier ihre Deutschkenntnisse vertiefen. Ilse Engmanns Tochter – ebenfalls im Verein aktiv – räumt seither alljährlich ihr Wohnzimmer für studentische Gäste. Mittlerweile haben sich Freundschaften entwickelt, ein Ex-Ferienkind lebt und arbeitet jetzt hier. Sie war lange im Hause Engmann daheim. War die Verdienstmedaille ein Ansporn? „Ehrlich gesagt: Ich tue das ohnehin gern. Finanzielle Unterstützung für den Verein wäre mir eigentlich noch lieber gewesen...“. Ansporn gibt Ilse Engmann sich offenbar selbst reichlich. „Nebenbei“ engagiert sie sich für den Kulturpott Ruhr, die Nachbarschafts- und Seniorenstifter und ein freies Theater.

„....haben Sie sich für die abseits Stehenden eingesetzt“

Dr. Werner Kirchberg mit seinem Bundesverdienstkreuz am Bande. Ihm ist die Auszeichnung fast ein bisschen peinlich.
Dr. Werner Kirchberg mit seinem Bundesverdienstkreuz am Bande. Ihm ist die Auszeichnung fast ein bisschen peinlich. © Joachim Kleine-Büning

An mehreren „Baustellen“ aktiv ist auch Dr. Werner Kirchberg (69), lange Vorsitzender des Ärztevereins, Gründer der Qualitätsgemeinschaft Praxisnetz Gelsenkirchen und Mitstreiter beim „Arzt mobil eV.“. Er bekam das Bundesverdienstkreuz 2016 vom Regierungspräsidenten überreicht. „Mit Kompetenz, Herz und Zuverlässigkeit haben Sie sich für das regionale Gesundheitssystem Gelsenkirchens engagiert, das nun einen Teil ihrer Handschrift trägt....und dabei haben Sie sich für die abseits Stehenden eingesetzt“, heißt es in der Lobrede. Werner Kirchberg ist das fast ein bisschen peinlich. Orden sind nicht wirklich seine Welt.

Spenden einwerben für das Hospiz

Netzwerken für den guten Zweck hingegen sehr wohl. In der Praxis hilft er nur noch aus, Sohn und Schwiegertochter haben übernommen. Aber als die Flüchtlinge kamen, hat er als Pensionär ganz selbstverständlich bei den Erstuntersuchungen geholfen. Organisatorisch steht er dem Verein Arzt mobil ebenso weiter zur Verfügung wie dem Förderverein des Emmaus-Hospiz, das fünf Prozent seiner Kosten selbst einwerben muss. Und neuerdings unterstützt er auch die Albertus-Magnus-Stiftung unter dem Dach von St. Augustinus. Sie vergibt Stipendien an Medizinstudenten, die sich verpflichten, nach dem Studium mindestens drei Jahre in Gelsenkirchen zu arbeiten – ein Versuch, den Ärztemangel hier zu bremsen.

Rita Kräft hilft Menschen beim Kampf gegen die Sucht

Rita Kräft hat nicht nur ihre eigene schwere Erkrankung besiegt, sie hilft nun auch seit 39 Jahren anderen dabei, es zu schaffen. Sie bekam das Bundesverdienstkreuz am Bande dafür 2009 verliehen. Und sie freut sich heute noch darüber. „Ich habe die Wertschätzung körperlich gefühlt. Das hat so gut getan“, bekennt sie.

Rita Kräft hält ihr Bundesverdienstkreuz in Ehren. Ihr habe die Wertschätzung sehr gut getan, versichert sie.
Rita Kräft hält ihr Bundesverdienstkreuz in Ehren. Ihr habe die Wertschätzung sehr gut getan, versichert sie. © Joachim Kleine-Büning

Rita Kräft hat die Horster Ortsgruppe des Kreuzbund gegründet, war lange Vorsitzende und ist heute noch aktiv. Der Tag, an dem ihr Leben sich von Grund auf änderte, war der 12. Dezember 1976. Sie war damals 32 Jahre, ihre Kinder waren sieben und zehn, als sie die Rasierklinge schon in der Hand hatte, mit der sie ihr Leben und Leiden beenden wollte. Sie entschied sich für das Leben und den Entzug – dank der Ermutigung eines Caritas-Mitarbeiters, der ihr bescheinigt hatte, wert zu sein, dass ihr geholfen werde. „Ich war medikamentenabhängig, auf 40 Kilo abgemagert und fühlte mich völlig wertlos. Dass jemand mich für wert befand, mir zu helfen – das hat mir Mut gemacht.“ Das, und ihr Ehemann Alfred, der stets zu ihr gestanden, sie immer unterstützt habe.

Mit 48 Jahren endlich den Traumberuf erlernt

Nach 40 Tagen kaltem Entzug – „die Hölle“ – reifte schnell der Entschluss, anderen zu helfen, von ihrer Medikamenten- oder Alkoholsucht wegzukommen. „Die Familie leidet ja immer mit – auch meine Kinder.“ Wie es zu Suchtgeschichten kommt, wie minderwertig sich Betroffene fühlen, welche Verletzungen in der Kindheit oft dahinter stehen – das wissen wenige so gut wie sie selbst. Und wieviel Kraft es braucht, um dauerhaft standhaft zu bleiben. Mit 48 Jahren erlernte sie ihren Traumberuf Krankenpflege. Später engagierte sie sich zudem im Emmaus-Hospiz, begleitete Sterbende. „Daraus habe ich viel Kraft geschöpft und gelernt“, betont sie.

Noch immer leitet Rita Kräft die Horster Kreuzbund-Gruppe, die sich jeden Donnerstag im St. Josef-Hospital trifft, organisiert Aktivitäten mit. Bis zu 20 Betroffene kommen zu Treffen, darunter neuerdings auch drei jüngere Mitglieder. Solange Rita Kräft kann, will sie weitermachen. Nicht nur wegen des Verdienstkreuzes: „Aber gut tut die Anerkennung heute noch!“

Zwei Auszeichnungen in Gelsenkirchen pro Jahr

>> Den Verdienstorden stiftete 1951 Bundespräsident Theodor Heuss, um „verdienten Männern und Frauen des deutschen Volkes ...Anerkennung und Dank sichtbar zum Ausdruck zu bringen“. Bis zu zwei Gelsenkirchener werden derzeit im Jahr geehrt – höchstens. In den 80er und 90er Jahren waren es deutlich mehr Geehrte, und zwar bundesweit.

>> Den Orden gibt es in verschiedenen Klassen. Die einfachste ist die Verdienstmedaille, die meistverliehene das Bundesverdienstkreuz am Bande. Eine Bewerbung um diese Ehrung ist nicht möglich, man muss vorgeschlagen werden. In der Regel geht der Vorschlag über den Ministerpräsidenten des jeweiligen Bundeslandes an den Bundespräsidenten, der prüft, ob die Auszeichnung angemessen ist.