Gelsenkirchen-Resse. . Schwerstkranken und Sterbenden in ihrer letzten Lebensphase beizustehen - das haben sich die Schwestern des Emmaus-Hospiz St. Hedwig in Gelsenkirchen-Resse zur Aufgabe gemacht. Dabei begleiten sie die Bewohner nicht nur medizinisch.

Dem Leben nicht mehr Tage geben, sondern den Tagen mehr Leben: Golden eingerahmt steht dieser Spruch auf Annemarie Tobehns Nachttisch, sie kann ihn von fast jeder Ecke ihres Licht durchfluteten Zimmers lesen. Wie lange noch, das weiß niemand hier im Emmaus-Hospiz St. Hedwig Resse. Zumindest aber noch bis morgigen Donnerstag, hofft die 85-Jährige. „Dann kommt Schwester Maria Magdalena wieder, um mit mir Rommé zu spielen.“

Vor drei Wochen war es, dass die krebskranke Annemarie Tobehn ins Hospiz an der Hedwigstraße eingeliefert wurde, nicht als Patientin, sondern als Gast. Darauf legt das Team aus 16 Krankenschwestern, Sozialarbeitern und Seelsorgern viel Wert.

Wünsche erfüllen

„Im Mittelpunkt stehen die Schwerstkranken und Sterbenden. Was sie in ihrer letzten Lebensphase wollen, ist für uns das Wichtigste“, sagt Krankenschwester Vera Winkelmann-Speichert, und sie weiß, wovon sie spricht: Von einer längst fälligen Aussprache mit der Tochter etwa, vom Vorlesen eines Märchens, vom Cappuccino, den sich Inge Hielscher (72) aus Gladbeck oft bestellt, aber auch vom morgendlichen Ausschlafen-Wollen der Gäste, dem spontanen Wunsch nach einer nächtlichen Dusche oder, recht häufig sogar, dem Heißhunger.

Etwa auf Reibekuchen, wie bei Annemarie Tobehn aus Bottrop-Kirchhellen. „Aber die Schwestern lesen mir ja jeden Wunsch von den Augen ab. Kaum hatte ich mir Reibekuchen gewünscht, standen sie auch schon auf dem Tisch“ , schwärmt sie, mit der Hand über den grünen Ledersessel streichend. „Den haben mir meine Kinder geschenkt, damit ich es bequem habe. Sie arbeiten ja weit weg und können nicht immer bei mir sein.“

Schmerzen lindern

Dass die Schmerzen in ihrem Bauch ihr vor einer Stunde noch die Tränen in die Augen getrieben haben - man sieht es ihr nicht an. „Ich habe ein Nasenspray bekommen, das nach zehn Minuten wirkt. So muss ich nicht mehr in den Arm gestochen werden.“

Die Schmerzen zu lindern, ist im Emmaus-Hospiz eine Selbstverständlichkeit. Eine, die Betroffene und deren Angehörige oft als befreiend empfinden: „Im Krankenhaus hat man meine Frau bis zu eine Dreiviertelstunde warten lassen, bis endlich jemand mit einem Palliativmedikament vorbeikam. Hier im Hospiz war in wenigen Minuten eine Schwester mit einer Spritze da“, berichtet Helmut Dettmann aus Bottrop, dessen Frau Ingeburg am 3. Februar „in Frieden einschlief.“

Frieden mit sich und der Familie schließen

Frieden mit sich und der Familie zu schließen, ist indes nicht immer leicht, erzählt Krankenschwester Vera Winkelmann-Speichert. „Wir rufen dann oft unsere Ordensschwester Maria Magdalena, die als Seelsorgerin im Hospiz wohnt und arbeitet. Sie setzt sich auch nachts ans Bett der Gäste, hört zu, hält die Hand.“

Andererseits sei dieses Haus auch ein Ort, an dem viel gelacht werde, so Irmhild von Fürstenberg, Vorsitzende des Fördervereins. „Wenn die Menschen sich bewusst auf diese letzte Phase ihres Lebens einlassen, löst sich eine große Anspannung. Sie wirken wie befreit und wissen den Augenblick mehr zu schätzen.“

Wiedersehen mit der Tochter

Für Annemarie Tobehn ist es der Moment des Wiedersehens mit ihrer Tochter aus Bayern, auf den sie sich freut. „Sie hat mein Zimmer so schön eingerichtet“, sagt sie und zeigt auf die Familienfotos auf der Fensterbank und die Bilder einer Balletttänzerin an der Wand. „Früher habe ich auch getanzt, nur so’n bisschen Weiber-Folklore. Aber Spaß gemacht hat’s trotzdem.“

Ihre letzten Lebenstage fern von zu Hause zu verbringen, bekümmert sie nicht. „Hier ist es doch wunderschön. Und bis Schwester Maria Magdalena zum Kartenspielen kommt, werde ich den Laden hier noch ein bisschen aufmischen.“