Essen-Rüttenscheid. . Julia Kämpchen will am 7. März in Rüttenscheid eine Boutique eröffnen – und kämpft bei Agentur und Jobcenter gegen Windmühlen. Statt eines Gründerseminars sollte sie ein Bewerbertraining absolvieren. Die 32-Jährige kritisiert die schlechte Beratung, „die nicht Hand in Hand geht“.

Der Schriftverkehr zwischen Jobcenter, Agentur für Arbeit und Julia Kämpchen füllt mittlerweile einen dicken Aktenordner. Die 33-Jährige will sich selbstständig machen und öffnet am 7. März an der Hedwig­straße ihre Boutique „Traum in Tüten“, in der sie hochwertige Designerkleidung an die Frau bringen will. Der Schritt ist von langer Hand geplant: Als sich die modebegeisterte Frau im Oktober arbeitslos meldet, hat sie beim Gang zur Arbeitsagentur ihren Businessplan direkt dabei. Die Essener Wirtschaftsförderung hatte schon drüber geschaut und der Einzelhandelskauffrau sogar einen Unternehmensberater zur Seite gestellt, der bei finanziellen Details behilflich war.

Neben dem Arbeitslosengeld wollte Kämpchen einen Gründerzuschuss beantragen. „Daraus wurde aber nichts, weil ich zum Arbeitslosengeld aufstockende Leistungen beantragen musste. Damit fiel ich in die Zuständigkeit des Jobcenters und das Drama fing erst richtig an“, sagt Kämpchen.

Dort musste sie zunächst einen „Eingangscheck“ absolvieren, vom 17. bis 21. Dezember in der Weststadtakademie. Dabei ging es vor allem darum, am Ende der Woche eine perfekte Bewerbung abzugeben. „Das schießt doch völlig am Ziel vorbei. Ein Gründerseminar oder etwas in der Art hätte mir ja weitergeholfen, aber ein Bewerbungstraining?!“, ist die 32-Jährige bis heute fassungslos. Grundsätzlich sei das Seminar sicherlich sinnvoll. Was Kämpchen kritisiert, ist die „austauschbare“ Beratung, die alles andere als „Hand in Hand“ gehe, wie es ein Flyer verspricht, der sich in ihrem dicken Aktenordner findet.

„Vier Termine waren nötig, bis der Antrag durchgegangen ist“

Laut Jobcenter-Sprecherin Heike Schupetta ist der Check bindend: „Wir erstellen ein Profil und schauen, welche Stellen passen.“ Doch Julia Kämpchen will sich ihre Stelle selbst schaffen - und darüber hinaus eine weitere Kraft beschäftigen. Neben der mangelnden Beratung waren es auch die langen Wartezeiten, die an den Nerven der Existenzgründerin zehrten. Die aufstockenden Leistungen wurden am 6. Februar bewilligt - rückwirkend bis November. „Vier Termine waren nötig, bis der Antrag durchgegangen ist. Von den ständigen Warteschleifen am Telefon ganz zu schweigen“, so Kämpchen. Heike Schupetta kennt die Kritik, sagt aber auch: „Es sind viele Unterlagen und Formulare nötig, um die Leistungen zu beantragen. Daran führt kein Weg vorbei und das dauert mitunter seine Zeit.“

Im Gespräch mit dieser Zeitung stellte sich gestern heraus, dass die Agentur für Arbeit doch für Julia Kämpchen zuständig ist - zumindest, was den Gründerzuschuss anbelangt. „Darüber wurde ich nie informiert“, sagt Kämpchen. Immerhin könnte die Geschichte ein gutes Ende nehmen. Agentur-Sprecherin Heike Börries hat die 32-Jährige direkt für heute eingeladen: „Das sollten wir relativ schnell und unproblematisch abwickeln können. Der Businessplan steht ja schon.“

„Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut“

Üblicherweise vermittelt auch das Jobcenter ein viertägiges Gründerseminar und erstellt mit dem Kunden einen Businessplan, der durch die IHK abgenommen wird. Warum das im Fall der 32-Jährigen nicht passiert ist, konnte gestern aus Datenschutzgründen nicht geklärt werden. Sprecherin Schupetta betont, dass der Fall Julia Kämpchens selten sei: „Üblicherweise werden sie ja nicht kurzzeitig arbeitslos und gehen wenig später in die Selbstständigkeit.“

Der Fall sei speziell, weil sowohl die Agentur für Arbeit als auch das Jobcenter zuständig seien. „Da weiß die linke Hand nicht, was die rechte tut“, kritisierte Kämpchen gestern. Im Zweifel würde sie die Boutique auch ohne Zuschuss eröffnen. „Das wäre aber natürlich ein riesiges Wagnis, die Beträge sind in meiner Finanzierung schließlich eingerechnet.“ Vor ihrer Arbeitslosigkeit war sie unter anderem längere Zeit bei einem Insolvenzberater tätig. „Ich weiß immerhin, wie man es nicht machen sollte“, sagt die 32-Jährige, die ihren Humor trotz der Querelen nicht verloren hat.