Essen. Regisseur Volker Lösch hat mit gefolterten und politisch verfolgten Frauen eine moderne Sophokles-Fassung erarbeitet: „Antigona Oriental“. Jubel im Grillo-Theater.

Das „Teatro Solis“ in Montevideo hat nach der Premiere im letzten Jahr getobt. In Spanien, wo sich mancher Zuschauer nach der Vorstellung an die Schrecken alter Franco-Tage erinnert fühlte, hat man ihnen zugejubelt. Dass aber auch das deutsche Publikum, das die Wucht dieser spanischsprachigen Aufführung von „Antigone“ doch nur im Übertitel verfolgen kann, so frenetisch feiert, das rührt diesen politischen Frauen-Chor auf der Bühne besonders. Nach zehn Europa-Stationen stehen die Laiendarstellerinnen aus Lateinamerika in Essen zum vorerst letzten Mal gemeinsam auf der Bühne. Einige der Frauen recken die Faust, andere drücken bewegt ihre Hände an die Brust. Es ist ein Abend der großen Gesten, der großen Gefühle und Botschaften. Es ist der Abend von „Antigona Oriental“, dem Stück, das „Rote Erde“-Regisseur Völker Lösch im Auftrag des Goethe-Theaters mit Opfern der Militärdiktatur in Uruguay einstudiert hat und für einen Abend auch ins Grillo bringt.

Lösch hat den antiken Text zusammen mit der Dramaturgin Marianelle Morena zu einem hochemotionalen Konzentrat aus Sophokles-Handlung, aktuellen politischen Forderungen und bewegenden Aussagen der Frauen verdichte. Als 20-köpfiger Antigone-Chor stehen sie hier neben professionellen Darstellern für den Kampf des Einzelnen gegen das staatlich auferlegte Gebot des Verschweigens und Vergessens, stehen für den Kampf um Würde und Gerechtigkeit, die sie mit Selbstbewusstsein einfordern: „Wir fühlen uns nicht als Opfer. Wir waren Protagonisten eines historischen Moments.“

Frauen schildern ihr Leid

Der historische Moment, das war der Protest gegen die Militärdiktatur in Uruguay, die von 1973 bis 1985 das Land mit Angst und Schrecken überzog, die folterte, inhaftierte, traumatisierte. Die Frauen schildern ihr Leid auf der Bühne schonungslos, ohne überflüssiges Pathos: Vergewaltigung, Demütigung, jahrelange Trennung von den eigenen Kindern. Der Demokratisierungsprozess hat in Uruguay längst eingesetzt, die alten Wunden aber sind geblieben. Trotz zweier Volksabstimmungen zum so genannten Hinfälligkeitsgesetz sind die Folterer von damals bis heute straffrei geblieben.

Politische Wurfsendung

Die Frauen auf der Bühne aber kennen sie, nennen sie beim Namen, machen aus ihrer Anklage eine politische Wurfsendung, wenn sie bergeweise Karten ins Publikum werfen, die Fotos vom Vermissten zeigen. Gustavo Inzaurralde: verschwunden. Juan Pablo Errandonea: verschwunden. Selten ist einem der Antigone-Text so nah, so dringlich wie an diesem Abend erschienen.