Essen. . Skandal am Aalto: Viele Premierengäste verließen bereits in den Pausen das Haus, weil sie wenig Wagner zu hören meinten. Für Redakteurin Claudia Pospieszny, die das Stück als Statistin erlebte, war es, als stiege sie direkt in eine von Lars von Triers Fantasiewelten.
Die Parsifal-Generalprobe habe ich gemeistert – nun trete ich vors Premierenpublikum. Nicht, dass ich als Statistin eine tragende Rolle hätte - Sie lasen das vielleicht schon - nervös bin ich trotzdem. Eine Minute, gefühlt sind es fünf, werde ich vor dem Premierenpublikum gemessenen Schrittes auf und ab gehen, bevor der Vorhang fällt. Hören werde ich die Reaktionen durch den Schallschutz nicht. Auch nicht, dass das Premierenpublikum die Parsifal-Inszenierung ausbuht. Oder sagen wir besser, der Teil des Publikums, der ob der „verstörenden und wirren Inszenierung“, so ein Premierengast, nicht schon in einer der beiden Pausen die Flucht ergriffen hat.
Dabei fing der Einsatz nett an, der Statisterie-Leiter ermahnt uns, wir mögen auf der Bühne nicht zu flott gehen und uns von etwaigen Abgründen (3,80 Meter zum Orchestergraben) fern halten. Lachen und Scherzen. Dann ein letzter Gang zur Toilette, ein erster Patzer. Während die stillen Örtlichkeiten gut beschildert sind, ist es der Weg zurück nicht. Beherzt reiße ich eine Tür auf, höre Wagner-Töne herauf wabern, während ich auf die Beleuchtungs-Balken blicke. Mist, das ist der große Saal. Nächste Tür, ab in den Fahrstuhl. 80 Statisten stehen drin, bis zu 281 - so steht’s angeschrieben - dürfen mit.
Kneifen gilt nicht
Beim Aussteigen kommt mir ein suspekter Herr im roten Anzug entgegen. Ich überlege knapp, ob ich hier falsch bin. Wird heute die Dreigroschenoper gegeben? Wäre ich fast gegen den leibhaftigen Mackie Messer geprallt? Doch Zeit zum Wundern bleibt mir nicht, denn jetzt queren Damen, die wohl dem horizontalen Gewerbe zuzuordnen sind, meinen Weg. Wahlweise tragen ihre Shirts die Buchstaben S, E und X, oh subtile Symbolik. Dann geht’s für uns 80 Statisten zur Seitenbühne.
Die ist voller als bei der Generalprobe, Parsifal singt inbrünstig „Nur eine Waffe taugt“, während die Huren-Statistinnen neben mir auf ihren Auftritt warten. Die Bühne sieht aus wie das Zimmer einer 15-Jährigen, die sich nicht für ein Outfit entscheiden konnte, überall Lumpen. Ich hab Herzrasen. Kann ich publikumswirksam laufen und bin ich dabei so multitaskingfähig, dass ich wie gefordert den Subtext bis in den zweiten Rang abstrahle? Kneifen gilt nicht. Los.
Ich steige also aufs Podest und fühle mich, beim Blick auf die halb abgesenkte Privat-Intensivstation, die vor mir querenden Huren und Parsifal, der nahe dem siechenden Amfortas wartet, als würde ich direkt in eine von Lars von Triers Fantasiewelten steigen - der Regisseur ist für seine verstörenden Werke bekannt. Überhaupt, wie viele Leute sehen mir zu, halte ich mich gerade? Meine Mutter hätte dazu eine Meinung...