Essen. . Vor dem Essener Schwurgericht wird ab Mittwoch der Prozess um den Mordfall Madeleine W verhandelt. Die 23-jährige Mutter war laut Anklage am 11. Februar 2014 in einem Essener Schrebergarten erstickt und einbetoniert worden. Angeklagt sind ihr Stiefvater und ihr Halbbruder.
„Wo bist Du?“ soll Günther O. bei Facebook gepostet haben, als seine Stieftochter Madeleine schon längst unter Erde und Beton in seinem Schrebergarten in Essen-Borbeck lag. Gefesselt und geknebelt. Verantwortlich für den Mord soll Günther O. sein. Ab Mittwoch wird dem 47 Jahre alten Essener vor dem Essener Schwurgericht der Prozess gemacht. 13 Sitzungstage, bis in den November, hat das Gericht angesetzt.
Mitangeklagt ist sein Sohn Daniel, 22 Jahre alt. Der Lockvogel, sagt die Anklage. Er soll dafür gesorgt haben, dass seine Stiefschwester, die 23 Jahre alte Madeleine W. aus Gelsenkirchen, am 11. Februar aus ihrem Versteck kam, in dem sie sich vor ihrem Stiefvater seit August 2012 verborgen hielt. Denn sie hatte ihn wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt, hatte 2011 sein Kind zur Welt gebracht.
Nach außen hin machte die Familie einen harmlosen Eindruck
Und hatte Angst vor ihm. Angst vor dem Mann, den sie bei der Polizei als Despoten beschrieb. Als den Mann, der allein durch seine Autorität die gesamte Familie beherrschte. Dass er gewalttätig war, dass er sie oder den Rest der Familie schlug, hat sie nie gesagt.
Vor dem Schwurgericht wird ab Mittwoch die Geschichte einer Familie in den Blick rücken, die nach außen einen harmlosen, unauffälligen Eindruck machte. Erst nachdem Madeleines Leiche ausgegraben wurde, werden Stimmen laut, die schon immer wussten, dass mit Günther O. etwas nicht stimmte.
Anklage wegen Mordes und wegen sexuellen Missbrauchs
Zwei Anklagen hat er vor sich. Einmal die wegen Mordes, zum anderen die 16 Seiten, die ihm vorwerfen, Madeleine seit ihrem 15. Lebensjahr missbraucht zu haben. Er war 1987 aus Österreich zunächst nach Essen-Kupferdreh gekommen, wo er in einer Küche arbeitete.
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Kurz darauf lernte er Birgit O. kennen, die mit ihrer kleinen Tochter Madeleine im sächsischen Kamenz lebte. Schnell zogen sie zusammen, er kümmerte sich um die erst sechs Monate alte Madeleine, als sei sie sein eigenes Kind.
Totale Abhängigkeit vom Stiefvater
Als sie 14 Jahre alt war, soll er erstmals mit ihr geschlafen haben. Gewalt, Drohungen brauchte er nicht. Er belohnte sie. Mal mit 50 Euro, mal mit einem Smartphone. Sie genoss durch seine Geschenke mehr Privilegien als ihre Mutter und ihr zwei Jahre jüngerer Stiefbruder. Als Preis zahlte sie laut Anklage mit Sex und der totalen Abhängigkeit vom Stiefvater.
Der Rest der Familie soll von dem Verhältnis nichts mitbekommen haben. Günther O. soll sie im Wohnwagen, der im Garten stand, missbraucht haben oder auf einem Matratzenlager, das er im Keller des Hauses Grenzstraße 9 in Kamenz eingerichtet hatte.
„Sie wird unter der Erde liegen. Ich werde auf der Erde herum trampeln.“
Als Madeleine W. älter wurde und sich immer mehr Freiheiten heraus nahm, zog die Familie 2009 nach Essen. Das sexuelle Verhältnis wurde fortgesetzt, 2011 kam eine Tochter zur Welt.
Aus Angst, dass er auch dieses Kind missbrauchen werde, soll Madeleine W. nach zweimaligem Anlauf zum Essener Jugendamt geflüchtet sein, das sie im Frauenhaus unterbrachte. Am 1. August 2012 zeigte sie ihren Stiefvater an, seitdem liefen die Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen.
Günther O. soll laut Anklage eigene Todesanzeige aufgegeben haben
Günther O. soll alles versucht haben, um sie wieder in seinen Einflussbereich zu holen. Sein Ziel soll es auch gewesen sein, die kleine Tochter aufzunehmen und zu erziehen. Einem Freund soll er gesagt haben: „Ich werde Madeleine finden. Sie wird irgendwann unter der Erde liegen. Ich werde dann auf der Erde herum trampeln.“
Laut Anklage spürte er Frauenhäuser der Umgebung auf, schreckte nicht einmal davor zurück, seine eigene Todesanzeige aufzugeben. Damit hätte er ihr signalisieren wollen, dass sie gefahrlos zu Mutter und Stiefbruder zurückkehren könne. Doch das Jugendamt hielt sie davon ab.
„Nur“ fünf konkrete sexuelle Übergriffe wirft die Anklage ihm vor
Gegen die Ermittlungen hatte sich Günther O. gewappnet. Als die Polizei seine Wohnung am 5. November 2012 durchsuchte, präsentierte er den Beamten eine eidesstattliche Versicherung von Madeleine W. Darin versicherte sie, dass sie immer freiwillig mit ihm geschlafen und diese Erklärung ohne Zwang aufgesetzt habe.
Ein Jahr später dürfte Günther O. gemerkt haben, dass es dennoch eng für ihn wurde. Ein psychologisches Gutachten stufte die Aussagen von Madeleine W. als glaubwürdig ein. „Nur“ fünf konkrete sexuelle Übergriffe wirft die Anklage ihm vor, spricht aber davon, dass es vom 14. bis zum 18. Lebensjahr der Stieftochter fast wöchentlich zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Taten, die formaljuristisch nicht anzuklagen sind.
„Dienstag haben wir sie“, soll der Stiefvater via WhatsApp geschrieben haben
Nachdem Günther O. seine Stieftochter über ein Jahr nicht gefunden hatte, soll er seine Suche ab November 2013 intensiviert haben. Die Ermittler glauben, dass er sie als Zeugin für den Missbrauch ausschalten wollte. Über ihre Anwältin nahm Sohn Daniel Kontakt zu seiner Stiefschwester auf, versprach der seit Herbst 2013 in Gelsenkirchen in einer eigenen Wohnung lebenden Madeleine finanzielle Unterstützung. Tatsächlich stimmte sie einem Treffen zu.
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„Dienstag haben wir sie“, soll Günther O. seinem Sohn per WhatsApp geschrieben haben. Nachdem Madeleine W. ihre zweijährige Tochter morgens zum Kindergarten gebracht hatte, stieg sie am Dienstag, 11. Februar, um 8.45 Uhr vor dem Gelsenkirchener Hauptbahnhof in den VW Golf, der Günther O. gehörte. Für sie überraschend soll er sich plötzlich ans Steuer gesetzt haben und zu seiner Schrebergartenparzelle in Essen-Borbeck gefahren sein.
Indizien sollen Günther O. des Mordes überführen
Dort soll er ihr, vermutlich mit einem Hammer, den Schädel eingeschlagen und die noch lebende Madeleine geknebelt und gefesselt haben. Erst danach hätte er sie mit einem Kissen oder einer Decke erstickt.
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Laut Anklage hob er eine Grube aus, legte die Leiche hinein und bedeckte sie abwechselnd mit Erde, Beton, Erde und wiederum Beton. Um 12.30 Uhr soll er dann bei Hornbach die letzte Schicht gekauft haben: sechs Säcke Rindenmulch, ein Unkrautvlies und drei Zuckerhutpflanzen für 28,34 Euro.
Sieben Tage lang galt Madeleine W. als vermisst. Am 18. Februar schaufelte die Polizei ihren Leichnam frei, nahm Vater und Sohn fest. Günther O. schweigt seitdem. Indizien sollen ihn des Mordes überführen.