Essen. Rein rechnerisch gibt es noch für jeden Bewerber eine Ausbildungsstelle in Essen. Dennoch werden am Ende des Ausbildungsjahres wieder viele Jugendliche leer ausgehen, sagt der Chef der Essener Arbeitsagentur, Torsten Withake voraus. Wir sprachen mit ihm über die Situation auf dem Ausbildungsmarkt.
Am 1. August begann für viele Jugendliche die Ausbildung. Hunderte junge Menschen in der Stadt suchen aber auch noch eine Lehrstelle. Janet Lindgens sprach mit dem Chef der Arbeitsagentur Torsten Withake über die Situation auf dem Ausbildungsmarkt.
Über 1000 Lehrstellen sind zum Ausbildungsstart noch frei. 890 junge Leute suchen noch. Das Verhältnis war schon mal schlechter.
Torsten Withake: Auch wenn das rein rechnerisch passt, werden dieses Jahr wieder Jugendliche leer ausgehen, weil die Angebote einerseits und die Vorstellungen der jungen Leute andererseits nicht zusammenpassen. Ich bin froh und dankbar über die derzeitige Ausbildungsleistung der Essener Unternehmen, wir bräuchten aber etwa 200 bis 250 Ausbildungsplätze pro Jahr mehr. Dann würde es uns leichter fallen, allen eine möglichst passende Lehrstelle zu vermitteln.
Dabei haben Sie dieses Jahr mehr Ausbildungsplätze im Angebot als im letzten. Die Wirtschaft scheint wieder engagierter.
Withake: Das würde ich nicht ganz teilen. Viele Unternehmen sind noch immer eher verhalten. Gerade Handwerksbetriebe und kleinere Unternehmen kümmern sich manchmal zu spät um das Thema und ärgern sich dann, dass sie kaum noch Bewerber finden. Ich denke, da muss es ein Umdenken geben. Dass wir dieses Jahr mehr Ausbildungsangebote haben, liegt vor allem an der besseren Zusammenarbeit mit dem Jobcenter und unserer verstärkten Akquise.
Es gibt in Essen keinen generellen Fachkräftemangel, aber wo wird es denn schwieriger, Fachpersonal zu finden?
Withake: Ich mache mir zum einen Sorgen in Berufen, wo die Anforderungen sehr hoch sind. Das sind die so genannten MINT-Fächer – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. Zum anderen gilt das für Berufe mit Imageproblemen. Dazu zählen zum Beispiel die Fleischfachverkäuferin, der Koch, der Gas- und Wasserinstallateur oder der Maler. Gleiches gilt für die Systemgastronomie und das Dialogmarketing – also die Call-Center-Branche. Nicht zu vergessen auch der Pflegebereich.
Woher kommt das schlechte Image?
Withake: Häufig scheuen die jungen Leute die Arbeitsbedingungen oder die Arbeitszeiten oder aber die Verdienstaussichten sind nicht gut.
Werben nicht auch viele Firmen zu wenig um Nachwuchs?
Withake: Ja, Unternehmen müssten mehr für sich werben. Eine gute Gelegenheit wäre das Landesprogramm „Kein Abschluss ohne Anschluss“, das jetzt an den ersten Essener Schulen gestartet ist. Schüler der achten und neunten Klassen müssen dabei drei Berufsfelder erkunden. Wir haben gemeinsam mit der Stadt, der IHK und der Kreishandwerkerschaft alle Essener Unternehmen angeschrieben und auf dieses Programm aufmerksam gemacht. Die Resonanz bisher ist jedoch sehr verhalten.
Unternehmen finden angeblich immer seltener passende Azubis. Sind Klagen über die mangelhafte Ausbildungsreife übertrieben?
Withake: Nein, man muss das ernst nehmen. Auf der anderen Seite hat wohl jedes Unternehmen schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht. Das ist aber kein Grund, die Ausbildung ganz einzustellen. Das sehe ich als eine Verpflichtung der Wirtschaft an.
Häufig beginnt es doch schon bei der Pünktlichkeit der Azubis.
Withake: Da kann man nur den Appell an das Elternhaus richten. Denn wenn die jungen Leute noch zu Hause wohnen, dann merkt man doch, ob der Sohn oder die Tochter morgens rechtzeitig das Haus verlassen.
Was sollte ein Jugendlicher tun, der jetzt noch eine Lehrstelle sucht.
Withake: Möglichst schnell zu uns zur Beratung kommen. Der- oder diejenige sollte zudem offen sein für mehrere Berufe. Dann ist es wahrscheinlicher, noch etwas Passendes zu finden.
Und Unternehmen, die noch freie Lehrstellen haben oder sich kurzfristig zur Ausbildung entscheiden?
Withake: Dann sollten wir offen und ehrlich darüber sprechen, was jetzt noch geht. Gut ist aber, dass 90 Prozent der jungen Leute, die noch einen Ausbildungsplatz suchen, einen qualifizierten Schulabschluss besitzen. Aber das Unternehmen muss eventuell auch kompromissbereit sein.