Essen. . Allen Sparmühen zum Trotz: Die aktuellen Hochrechnungen der Stadt offenbaren ein 70-Millionen-Loch.

Wenn er über die maroden Stadtfinanzen spricht, wählt Kämmerer Lars Martin Klieve gerne ein eingängiges Bild – indem er das komplizierte Zahlenwerk als ein „atmendes Gebilde“ beschreibt. Mal wird eben ein- und mal ausgeatmet, will sagen: Mal bewegt sich was bei den Einnahmen hoch oder runter, mal bei den Ausgaben; und das jeweils in Millionenhöhe.

Wollte man im Bild bleiben, dann wäre derzeit sorgenvoll eine bedenkliche Form von Schnappatmung zu diagnostizieren. Denn trotz schmerzhafter Sparrunden, trotz eines massiven Personalabbaus und nachgeschobener Haushaltssperre droht die Stadt aus der Sparkurve zu fliegen. Mit dieser Hiobsbotschaft wurden nach NRZ-Informationen die Fraktionsspitzen von SPD und CDU konfrontiert, als sie jüngst die „GroKo“-Chancen ausloteten.

Desaströse Finanzlage hat vielfältige Gründe

Dem Vernehmen nach liegt das hochgerechnete Etatloch um 60 bis 80 Millionen Euro über jener Ziellinie, die der Haushaltssanierungs-Plan vorschreibt. Achselzuckend darüber hinwegzugehen verbietet sich, weil die Stadt den Sanierungsplan einhalten muss, will sie die üppigen Mittel aus dem NRW-Stärkungspakt nicht riskieren. Dieser bringt der Stadt allein kommendes Jahr 90,1 Millionen Euro in die Kasse.

Die Gründe für die desaströse Finanzlage sind vielfältig: Noch immer schlägt offenbar die Ertragsschwäche der Energieunternehmen dramatisch auf die Gewerbesteuer-Einnahmen durch. Hinzu kommen zusätzliche Millionen-Kosten durch den jüngsten Tarifabschluss für knapp 9.200 städtische Beschäftigte, daneben schlagen Asyl und Hartz IV-Mieten oder auch das jüngste Gerichtsurteil zur Beamten-Besoldung zu Buche.

Und dabei sind die zusätzlichen Wünsche der Politik noch gar nicht berücksichtigt: Theater und Philharmonie zum Beispiel brauchen spürbar mehr Geld, um den Fünf-Sparten-Betrieb zu sichern. Und auch dem Sport fehlen jährlich gut drei Millionen Euro in der Kasse.

„Wir werden höhere Steuern kaum vermeiden können.“

Kein Wunder, dass sich in Verwaltungsspitze und Politik bei den ersten die Erkenntnis durchsetzt: „Wir werden höhere Steuern kaum vermeiden können.“ Zunächst dürfte es dabei die Grundsteuer treffen, die den unschätzbaren Vorteil hat, dass ihr weder Mieter noch Hauseigentümer entrinnen können – und dass sie als durchaus „gerechte“ Steuer gilt. Weil sie umso mehr kostet, je besser jemandes Wohnverhältnisse ausfallen.

In diesem Jahr werden die Erträge aus der Grundsteuer B für bebaute und unbebaute Grundstücke auf rund 114 Millionen Euro kalkuliert. Eine Erhöhung um zehn Prozent (also eine Erhöhung des Hebesatzes von derzeit 590 auf 649 Prozent) brächte gut elf Millionen Euro ein. Ob auch die Gewebesteuer angetastet wird, deren Hebesatz seit Jahren bei 480 Prozent verharrt, ist offen. Klar ist nur allen: „Das wird ein heißer Herbst.“

Sparkassengewinn verbleibt vollständig im Unternehmen

Auf der Suche nach sprudelnden Geldquellen wurde in Essen schon so mancher Plan ausgeheckt – bis hin zur Solarien-Steuer, für die das Land nach gut einem Jahr des Nachdenkens den Stecker zog, indem sie die Genehmigung verweigerte.

Eine weitaus näher liegende Adresse ließen Verwaltung und Politik bislang unangetastet, und so soll es auch bleiben: Erst am Mittwoch beschloss der Rat der Stadt, den Bilanzgewinn der Sparkasse Essen fürs vergangene Jahr in Höhe von exakt 9.077.767 Euro und 43 Cent „in die Sicherheitsrücklage einzustellen“. Damit widerstand die Politik einmal mehr der Versuchung, dem Platzhirschen auf dem hiesigen Bankenmarkt in die Kasse zu greifen. Dass andere Städte da deutlich weniger Scheu haben, zeigt das Beispiel Duisburg, wo die Stadt für 2013 zwei Millionen Euro ins Stadtsäckel umleitete – von denen nach Steuern und Soli-Zuschlag 1,7 Millionen übrig bleiben.

Die Sparkassen zu schröpfen, ist ein wenig in Mode gekommen, wenn auch rechtlich etwas verzwickt. Die Stadt ist zwar Träger aber nicht Eigentümer, weshalb das Institut auch nicht im Beteiligungsbericht auftaucht.

Strengere Eigenkapital-Vorschriften

Dass man besser fährt, die Sparkasse in Ruhe wirtschaften zu lassen, war im Verwaltungsrat bislang stets Konsens. Immerhin muss sich das Unternehmen auf die strengeren Eigenkapital-Vorschriften von „Basel III“ einstellen und dafür etwas Finanzspeck anfuttern – und hat keinen Zugang zum Aktienmarkt, um à la Deutsche Bank ihr Kapital aufzustocken.

Zudem kann das Kreditinstitut ja auch darauf verweisen, dass man in Millionen-Höhe Gutes tut: Für gemeinnützige Projekte in Sport und Kultur, Soziales und Wissenschaft fließen Jahr für Jahr rund vier bis fünf Millionen Euro.

Nicht selten dient die Sparkasse mit ihren gemeinnützigen Ausschüttungen dabei als Retter jener Projekte, die man in der Politik nicht als mehrheitsfähig empfindet. Auch über die drei Sparkassen-Stiftungen ist manches machbar, wofür es im Rathaus wohl kein Geld mehr gäbe. Und nicht zuletzt der Sponsoring-Einsatz fürs Stadion an der Hafenstraße zeigt, dass sich die Sparkasse für vieles gewinnen lässt. Dazu, so die Devise, muss man ihr das Geld nicht vorher wegnehmen.