Essen. Die Wertkorrektur bei den RWE-Aktien beschert der Stadt Essen Ende 2014 eine Überschuldung.

Mit ihrem drastischen Sparkurs wähnte sich die Stadt zuletzt über den Berg. In der Tat, so können Spötter sagen: Von nun an geht’s abwärts.

Denn sieben Jahre nachdem man in Essen eine stolze Vermögensbilanz unter anderem mit Millionen von RWE-Aktien auf der Habenseite aufgestellt hat, dräut nun die Stunde der Wahrheit: Die einst mit einem Kurs von 75,92 Euro verbuchten Wertpapiere sind heuer an der Börse nicht einmal mehr 30 Euro wert.

Bislang wurde dieser Buchverlust gekonnt ignoriert, eine Änderung der Gemeindehaushalts-Verordnung zwingt die Stadt neuerdings aber dazu, das geschrumpfte Vermögen in der städtischen Bilanz abzubilden. Folge: Für ihren Jahresabschluss 2013 haben die städtischen Finanzexperten den RWE-Aktienkurs vom Silvestertag zugrunde gelegt: 26,61 Euro. Pro Aktie muss also eine Summe von 49,31 Euro wertberichtigt werden.

Vermögen der Stadt fast komplett aufgezehrt

Und das läppert sich bei 11.750.777 RWE-Anteilen allein in städtischem Besitz: Das Eigenkapital der Stadt schrumpft damit über Nacht um gigantische 579 Millionen Euro.

Damit nicht genug: Anders als bisher selbst von der Stadt in Aussicht gestellt, müssen auch die rund 6,8 Millionen RWE-Aktien im Besitz der städtischen Verkehrs- und Versorgungs-Holding EVV auf den niedrigen Kurs abgewertet werden, wenn auch nicht vom gleichen Ausgangsbetrag. Das schlägt mit weiteren 101 Millionen Euro auf den Stadt-Etat durch.

Summa summarum schrumpft das Eigenkapital also um 680 Millionen Euro, und das führt dazu, dass mit Stichtag 31. Dezember 2013 bis auf 15 Millionen Euro das komplette Vermögen der Stadt aufgezehrt war.

"Ende der kommunalen Selbstverwaltung ist noch nicht gekommen"

Dass da noch diese kleine schwarze Zahl stand – 15 Millionen Euro sind gerade mal das Siebenfache dessen, was die Stadt jährlich für Porto ausgibt – ist allein der Tatsache geschuldet, dass es bei allem Gram über die Wertkorrektur der RWE-Aktien auch gute Nachrichten von der Finanzfront gibt: Obwohl die Stadt im vergangenen Jahr eine Reihe finanzieller Rückschläge hinnehmen musste, konnte der ehrgeizige Sanierungsplan für den Stadt-Etat eingehalten werden. Er ist immerhin Voraussetzung dafür, dass die Stadt bis zu 90 Millionen Euro Finanzhilfe aus dem so genannten „Stärkungspakt“ des Landes NRW erhält.

Und so mühten sich Oberbürgermeister Reinhard Paß genauso wie Kämmerer Lars Martin Klieve gestern, den Optimismus nicht zu verlieren: „Wir stehen im Rahmen des Sparkurses noch gut da“, betonte der OB, und Klieve pflichtet bei: „Das Ende der kommunalen Selbstverwaltung ist noch nicht gekommen.“

Wenn auch zum Jahresende 2013 in der Essener Vermögensbilanz noch eine kleine schwarze Zahl stand – zum Ende dieses Jahres färbt sie sich rot, sollte der Etat den geplanten Verlauf nehmen: auf minus 18,6 Millionen Euro. Und mittelfristig kommt die Stadt nach gegenwärtigen Kalkulationen auch nicht aus der Überschuldung heraus. Erst 2021 kann die Stadt wieder daran gehen, Vermögen aufzubauen.

Stadtspitze will keine Steuererhöhungen

Dennoch bemühte sich die Stadtspitze gestern, bei allem Frust über den Rückschlag nicht in Tristesse zu verfallen. Denn dass die Bezirksregierung die Stadt im Angesicht der Überschuldung härter an die Kandare nimmt, sei nicht zu erwarten, glaubt Stadtkämmerer Lars Martin Klieve. Überhaupt sieht er genauso wie der OB noch Luft nach oben: So manche diskutierte Hilfe aus Bundesmitteln sei etwa noch gar nicht eingepreist, und bislang habe man noch in jedem Jahr besser gelegen als ursprünglich vorhergesagt: 2014 werde „ein schweres Jahr“, das schon, aber keines, das sich nicht im Griff behalten ließe.

Ob man sich am Ende nicht doch zu Steuererhöhungen durchringen muss? Da wehren Oberbürgermeister und Finanzchef ab. Zwar gilt als oberstes Ziel, den Sanierungsplan einzuhalten, doch das müsste sich angesichts der noch laufenden Haushaltssperre auch ohne höhere Steuern machen lassen: „Wir werden dem Rat das jedenfalls nicht vorschlagen“, versprach Reinhard Paß.

Lieber Kapital verlieren als Vertrauen

Er mochte gestern auch nicht womöglich verpassten Verkäufen der stadteigenen RWE-Aktien hinterhertrauern: „Rückwärtsbetrachtungen dieser Art sind müßig“, sagte der Oberbürgermeister und fügte augenzwinkernd hinzu, dass die Politik den Erlös „wahrscheinlich für schöne Gaben verwandt hätte“, ohne ihn nachhaltig zu nutzen. Und ohnehin: Über all die Jahre habe man mit den Wertpapieren „eine höhere Rendite erzielt, als im Falle eines Verkaufs zur Schuldentilgung an Zinsen erspart worden wäre“.

Bleibt die Frage, warum die Stadtspitze sich zu einer radikalen Abwertung auf den Kurswert vom Silvestertag entschloss. Eine Vorgabe des Landes hatte es schließlich nicht gegeben. OB Paß begründet diesen Schritt mit dem Gebot der Wahrheit und Klarheit im städtischen Finanzgebaren. Man habe schlicht „mehr zu verlieren“ gehabt, als viele Millionen Euro Eigenkapital, nämlich das Vertrauen in seriöses Wirtschaften der Stadt.

„Man sieht, dass wir uns das nicht schöngerechnet haben“, ergänzt Kämmerer Klieve. Und immerhin gebe die Abwertung des RWE-Aktienbestandes auf einen Kurs von 26,61 Euro die Chance, Korrekturen nach oben vorzunehmen. Jeder Euro mehr brächte dann rund 18,6 Millionen zusätzliches Eigenkapital. Gestern stand der Börsenkurs der RWE-Aktie bei 29,55 Euro...