Essen/Mülheim/Gelsenkirchen. . Die Deutsche Post plant ein zusätzliches Aufgabenfeld für ihre Briefzusteller. Ab dem 1. Juli soll in Mülheim und Gelsenkirchen der Service „Post Persönlich“ eingeführt werden. Das Pilotprojekt ist vorerst auf sechs Monate angelegt. Das neue: Postboten sollen auch soziale Dienste leisten.

Der Postbote als eine Art Sozialarbeiter oder Altenpfleger – so was soll es bald im Ruhrgebiet geben. Unter dem Namen „Post Persönlich“ hat die Deutsche Post einen solchen Service kreiert.Postboten sollen sich auf ihrer Tour künftig Zeit nehmen für ein kurzes Gespräch mit Kunden, die für diesen Service zahlen.

„Wir hoffen, uns ein neues Geschäftsfeld zu erschließen“, sagt ein Postsprecher. Schließlich hätten Postboten einen engen Kontakt mit den Kunden - den will man ausbauen. Die Aussichten sind offenbar gut: „Es gibt viele alte Menschen, denen Kontakte fehlen“, sagt etwa Beate Linz, Leiterin des Geschäftsbereichs „Leben im Alter“ der Diakonie in Düsseldorf. Die Idee der Post, sagt sie, „klingt ganz pfiffig“. Gleichwohl: Experten haben auch Kritik.

Briefzusteller arbeiten unter großem Zeitdruck

„Wir begrüßen es grundsätzlich, wenn die Post Dienstleistungen anbietet mit denen sie Geld verdient und Arbeitsplätze sichert“, sagt ein Sprecher der Gewerkschaft DPVKOM. Gleichwohl befürchtet die Gewerkschaft, „dass die zusätzliche Aufgabe die Briefzusteller noch mehr belastet“. Das bezieht sich vor allem auf die engen und „oftmals realitätsfernen Zeitvorgaben“, nach denen Postzusteller aus Sicht der DPVKOM ohnehin bereits arbeiten müssen. „Der Zeitansatz für die Hausbesuche ist viel zu knapp“, kritisiert die Gewerkschaft.

Ab dem 1. Juli soll der Service erstmals angeboten werden, in Kooperation mit der Johanniter-Unfallhilfe, als „größtem bundesweiten Pflegeanbieter“, wie die Post erklärt. Es ist ein Pilotprojekt im Postleitzahlgebiet 45 - also im mittleren Ruhrgebiet.

Auch interessant

Besuche nur von Dienstag bis Freitag oder Samstag

Mülheim und Gelsenkirchen sind die ersten beiden Teststädte. „Weil es dort besonders viele ältere Menschen gibt“, erklärt ein Postsprecher. Die Post in den USA, in Frankreich auch in Belgien sind Vorbild für das deutsche Pilotprojekt. Im Blick sind Menschen, die sich noch zuhause selbst versorgen, aber denen soziale Kontakte fehlen. „Post Persönlich“ soll ihnen „die beruhigende Gewissheit geben, dass täglich eine vertraute Person nach ihnen schaut“. Die Johanniter Unfallhilfe sagt dazu: "Als Zielgruppe verstehen wir alle Angehörigen von älteren Menschen, überwiegend sind es die Töchter, die sich Tag für Tag in der Häuslichkeit um das Wohlergehen kümmern. Wir verstehen die neue Dienstleistung, zum Beispiel auch neben dem Hausnotruf, als ein Angebot zur Entlastung, das zudem zusätzliche Sicherheit bietet."

Doch da hat das Post-System seine Tücken: Postzusteller wechseln, bei 38,5 Stunden Arbeitszeit haben Zusteller einen Werktag in der Woche frei. Sonntags gibt’s den Service nicht. Da kommt keine Post. Aber auch montags ist "Post Persönlich" nicht zu haben, „weil da zu wenig Post anfällt und die Zusteller nicht alle Haushalte anlaufen“, sagt der Postsprecher. Im Angebot sind Besuche dienstags bis freitags oder zusätzlich am Samstag. Der Preis: 37,50 Euro oder 42,50 Euro je Monat.

Kein Extra-Geld für den Postzusteller 

Die Post will mit dem „Persönlich“-Dienst Verluste ausgleichen, denn das Briefgeschäft ist leicht rückläufig, bringt aber mit zuletzt 5,6 Milliarden Euro nach wie vor mehr Umsatz als das Paketgeschäft. Die Gewerkschaft DPVKOM stößt sich jedoch auch daran, dass Postzustellern noch mehr Aufgaben aufgehalst werden: Sie schleppen sich schon mit Infobriefen und Werbung ab. Und es ist zu lesen, dass das Gewicht von Warensendungen, die der Postbote sich in den Rollwagen oder auf das Fahrrad lädt, bald auf ein Kilo verdoppelt werden soll.

Zusätzliches Personal plant die Post für "Post Persönlich" nicht. Extra Geld gibt es für die „Persönlich“-Zusteller ebenfalls nicht, sondern ein „Zeitkontingent“, das dann von der Briefverteil-Tour abgezogen wird. Bei der Gewerkschaft ist von 1 bis 2 Minuten Zeit die Rede - pro Kunde und für die Frage „Wie geht’s Ihnen?“, das Warten auf die Antwort und die Meldung an die Johanniter-Unfallhilfe. Doch Pflege-Experten wissen: „Es kann sehr lange dauern, bis ein älterer Mensch an der Wohnungstür ist“. Bei der Post heißt es dazu: Der Pilotversuch werde begleitet, was an Zeit tatsächlich nötig ist, müssen die Praxis zeigen.

Post hat eine Marktlücke aufgetan

Bei Pflegediensten ist zu erfahren, dass Dienstleistungen wie die Post sie nun anbieten will, öfter nachgefragt würden: „Wir können das allerdings nicht leisten“, sagt etwa Nicola Vogt, Fachbereichsleiterin für Ambulante Hilfe und Pflege bei der Caritas in Gelsenkirchen. Sie glaubt, „die Post nimmt mit ihrem Angebot keinem die Arbeit weg“. Gleichwohl fänden sich ähnliche Angebot vor Ort durchaus.

Auch interessant

Beim Sozialverband Deutschland hält Sprecherin Michaela Gehms das „Persönlich“-Angebot „für eine zweifelhafte Dienstleistung“. Die Qualität der Betreuung sei fragwürdig. Es sei „keine einfache Aufgabe zu beurteilen, ob ein Mensch Pflege braucht“ – zumal etwa die Antwort „Mir geht’s gut“ nicht der Wahrheit entsprechen müsse. Der Preis, meint Gehms, sei zudem vergleichsweise hoch. „Hausnotruf-Systeme kosten je Monat um die 20 Euro, die meist die Krankenkasse übernimmt“, sagt auch Cornelia Harrer, die für den Paritätische Wohlfahrtsverband NRW Expertin für Senioren- und Quartiersarbeit ist. Das „Post-Persönlich“-Angebot trägt keine Krankenkasse.

Besser wäre Nachbarschaft statt Dienstleistung

So bemängelt Harrer auch, „dass die Post zwischenmenschliche Beziehungen auf Dienstleistungen verlagert“. Statt eines solchen „cleveren Geschäftsmodells“ sollte man vielmehr Nachbarschaften sensibilisieren: „Es wäre besser, wenn jeder auf seinen Nachbarn schaut und sich mit verantwortlich fühlt“, findet Harrer.

Alternativen zum Postangebot gebe es zudem, „auch wenn sie schwer zu finden sind“, räumt Michaela Gehms vom Sozialverband Deutschland ein. Kirchen, Sozialträger auch Nachbarschaftshilfen bieten in vielen Städten und Gemeinden ähnliche Dienste an, vieles auch ehrenamtlich. Anlaufstellen, wo man sich über Angebote vor Ort informieren kann, können die örtlichen Pflegestützpunkte sein oder etwa die Landesstelle Pflegende Angehörige in Münster.