Wie Essen die "Grüne Hauptstadt" Europas werden will
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Essen. . Vier Jahre nach der Kulturhauptstadt streckt sich die Stadt Essen nach einem weiteren europäischen Titel: dem der “Grünen Hauptstadt“ für 2016. Die wird, wer eine ehrgeizige Umweltpolitik belegen kann und sie auch fortführen will. Essen setzt darauf, mit seinem Wandel weg von der Industriestadt zu punkten. Dennoch hat man nur Außenseiterchancen.
Am Montagmorgen steht eine Abordnung aus Essen vor einer internationalen Jury der EU, daher haben die Entsandten vorsichtshalber nochmal ihr Englisch frisch gemacht. Einen neuen Werbefilm haben sie auch mitgebracht nach Kopenhagen und Antworten einstudiert für die offizielle Fragerunde. Man tut also, was man kann: Denn in dem 90-minütigen Vorstellungsgespräch greift die Stadt nach einem Titel, der aus Ruhrgebietsperspektive durchaus entlegen scheint.
„Grüne Hauptstadt Europas 2016“.
"Wir fahren nach Kopenhagen, um zu gewinnen"
Verwegen kann man das finden. Frech. Oder kühn. „Wir haben Außenseiterchancen, aber wir fahren nach Kopenhagen, um zu gewinnen“, sagt die Umweltdezernentin Simone Raskob. Denn die faktenorientierte Vorjury hievte die Stadt auf den viel versprechenden Platz 2 und bewertete nur die Verkehrssituation wirklich schlecht. Allerdings ist die heutige, politisch besetzte Jury natürlich frei, sich etwas ganz Neues zusammenzudenken.
Den Titel „Grüne Hauptstadt Europas“ gibt es seit 2010, er wandert von Stadt zu Stadt und hat dabei etwas Zweischneidiges: belohnt die Umweltpolitik der jeweiligen Stadt, verpflichtet sie aber auch, ehrgeizig weiterzumachen. Essen versucht, ähnlich wie bei der Kulturhauptstadt 2010, mit dem Wandel weg von der staubverhangenen Industriestadt zu werben. Also: Werke zu Grünanlagen. Blauer Himmel über der Ruhr.
Wie immer im Ruhrgebiet, geht es dabei auch wieder ums Image, darum, zu zeigen: Auch bei uns ist nicht mehr 1959! „Das Thema ,Grüne Hauptstadt Europas’ ist ein ganz wichtiges Marketinginstrument“, sagt Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD). Die Nachrichtenagentur dpa hat das ungewollt komisch auf den Satz gebracht: „Denken die Menschen künftig an Essen, sollen sie nicht nur an Kohle und Stahl denken, sondern auch an Nachhaltigkeit und Biodiversität.“ Denken wir nicht ständig an Biodiversität?
Badestellen an der Ruhr und die Unterwelt von Zollverein
Doch egal. Zu den charmantesten Vorhaben für 2016 gehört es jedenfalls, den Essenern wieder Badestellen an der Ruhr zu schenken. Zu den dringendsten, das Radwegenetz zu verbessern. Zu den naheliegenden, als Titelträger leichteren Zugriff auf EU-Gelder zu haben, die in Richtung Umwelt fließen.
Dann gibt es Vorhaben, die sind schlicht, nun ja, Wiederverwertung (was ja nur logisch ist für eine Umwelthauptstadt): Das Projekt „Zweite Stadt“, die Unterwelt von Zollverein zu präsentieren, war 2010 gescheitert. Auch die Vorstellung, die A 42 einen Tag zu sperren und Fußgängern zu öffnen, ist nicht völlig neu; immerhin wäre es die Wiederholung dieses wunderschönen Erlebnisses auf der A 40.
Wenn die Delegation heute gegen 9 Uhr antritt, will sie sogar „Ela“ ansprechen, den schlimmen Sturm von Pfingsten: Von 260.000 Bäumen im öffentlichen Raum verliert Essen wohl ein Zehntel. „Die Organisation der Einsatzkräfte hat sehr gut funktioniert“, sagt Simone Raskob, die Dezernentin; und auch den Einsatz der Bürger wird sie herausstellen, all die Nachbarschaftshilfe der letzten zwei Wochen.
Jury verkündet ihr Ergebnisam morgigen Dienstag
StadtgrünDas ist jedenfalls echter als jene Aktion von Anfang Juni: Da reinigten Offizielle und angesprochene Bürger einen Essener Platz, pflanzten Sträucher und Bäume und ein Kräuterbeet; und ein Kamerateam war eigens einbestellt, um das in schönen Bildern in den Werbefilm für Kopenhagen zu schneiden. Abends dann sagte der platzansässige Gastronom Sven Dülfer, gefragt um seine Meinung zu der Aktion, einen großartigen Ruhrgebietssatz: „Schon am Abend haben die ersten Hunde in das Kräuterbeet gemacht.“
Am Dienstag, 24. Juni, um 11.30 Uhr wird die Jury sich äußern, wer den Titel bekommen hat. Ljubljana und Nimwegen, Oslo und das schwedische Umea sind die Konkurrenten. Das Ergebnis wird verkündet in einer Kopenhagener Örtlichkeit mit Namen „Schwarzer Diamant“. Was als gutes Omen gelten darf für Essen (unwillkürlich denkt man an Biodiversität).
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