Essen. Das Helmholtz-Gymnasium an der Rosastraße feiert Geburtstag. 1864 gegründet, sollte die einstige Jungenschule Techniker und Ingenieure für die wachsende Industriestadt Essen produzieren. Als Schulleiterin Beate Zilles vor 35 Jahren ans Helmholtz-Gymnasium kam, dominierten noch die Männer das Lehrerzimmer.
Ein Vormittag am Helmholtz-Gymnasium: Eine Gruppe Schüler, versunken im Display ihrer Smartphones, steht vor dem Schulportal, in der lichten Eingangshalle räkeln sich zwei Mädchen auf den Stufen des scheinbar frei schwebenden Treppenhauses und tauschen flüsternd Geheimnisse aus. Ein buntes Plakat lädt zur Unterstufenparty ein, ein weiteres zum großen Schulfest. Diese Lässigkeit, diese Freiheit, die die heutigen Schulen und Schüler ausstrahlen, wäre für die Gründerväter undenkbar gewesen, als sie vor 150 Jahren die Realschule II. Ordnung ins Leben riefen.
Als Ergänzung zum streng humanistischen, altsprachlichem Burggymnasium sollten dort zukünftige Naturwissenschaftler und Ingenieure ausgebildet werden. Denn die wachsende Industriemetropole brauchte dringend Nachwuchs. Der war, zumindest auf dem Helmholtz, selbstverständlich männlich. Und blieb es, bis Mitte der 1970er Jahre die ersten Schülerinnen auf dem bis dato Rüttenscheider Jungengymnasium aufgenommen wurden.
Den ganzen Juni wird gefeiert
Die Feiern beginnen am Freitag, 6. Juni, 12 bis 17 Uhr, mit einem Sponsorenlauf zugunsten der Kooperationsschule Ruhrlandschule und einem Projekt in Brasilien.
Eine Woche später, am Samstag, 14. Juni, gibt es um 9.30 Uhr einen ökumenischen Festgottesdienst in der Pfarrkirche St. Andreas (für alle). Zum anschließenden Festakt in der Aula ab 11 Uhr sind aufgrund der begrenzten Sitzplätze nur geladene Gäste aus Gesellschaft, Stadtpolitik, Eltern-, Lehrer- und Schülerschaft anwesend.
Das „English Drama Project“ lädt am Mittwoch, 18., und am Montag, 23. Juni, jeweils um 19 Uhr, in die Aula. Aufgeführt wird „DNA“ aus der Feder des britischen Dramatikers Dennis Kelly.
Der Höhepunkt ist das Schulfest am Samstag, 28. Juni: Von 10 bis 16 Uhr gibt es ein buntes Programm zwischen Klettern, Mini-Triathlon, Live-Rockmusik, Flohmarkt und verschiedene Ausstellungen zur 150-jährigen Geschichte des Gymnasiums. Eingeladen sind alle Schüler, Eltern und natürlich auch alle Ehemaligen.
Wie viele Abiturienten die Schule in den vergangenen 150 Jahren ins Leben entlassen hat, hat keiner gezählt. Allein in der Festschrift zum 100. Geburtstag, der 1964 gefeiert wurde, umfasst die Liste der Abiturienten 13 Seiten. Mindestens genauso hoch war damals die Zahl derjenigen, die am Helmholtz gescheitert sind. Denn das Jungengymnasium hatte den Ruf einer strengen Anstalt, in der zwar viel gelernt wurde, aber Zucht, Ordnung und Schläge zum gesellschaftlich tolerierten Erziehungsstil der Lehrer zählten. Wer nicht parierte, blieb sitzen oder musste gehen. Eine übliche Methode an fast allen Schulen der damaligen Zeit.
„Früher zählte nicht das Individuum, man nahm keine Rücksicht auf die Persönlichkeit“, sagt die heutige Schulleiterin Beate Zilles, die sich lieber mit der Gegenwart und Zukunft ihrer Schule beschäftigt, als mit der Vergangenheit. Als Beate Zilles vor 35 Jahren ans Helmholtz-Gymnasium kam, dominierten noch die Männer das Lehrerzimmer. Rektor war Werner Schmidt, der als Nachfolger des strengen und gefürchteten Hugo Vollmerhaus das Helmholtz liberalisierte und „aus der einstigen Kadettenanstalt eine lebendige Schule formte“, wie sich der SPD-Europa-Abgeordnete und einstige Helmhöltzer Jens Geier erinnert.
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nzwischen sind die Lehrerinnen im jungen Kollegium des Gymnasiums an der Rosastraße in der Überzahl, was man von den Schülerinnen noch nicht behaupten kann. Aber immerhin sind unter den aktuellen Anmeldungen fürs künftige Schuljahr knapp 30 Prozent Mädchen. Auch die Schwerpunkte haben sich verlagert: Zwar ist das Helmholtz für Naturwissenschaften, Mathematik,Technik und Sport immer noch berühmt, aber auch Sprachen, allen voran Latein und Französisch, gehören inzwischen zum Schulprofil.
Auszüge aus der Geschichte des Helmholtz-Gymnasiums
1864. Einweihung unter dem Namen „Realschule II. Ordnung“ (ohne Latein). Zunächst am Limbecker Platz untergebracht, zog die Schule 1869 aufgrund steigender Schülerzahlen in einen Neubau am Steeler Tor.
1899. Neubau an der Heinicke-straße nach der Abtrennung der bis dahin angegliederten Realschule. Drei Jahre später wurde die Schule zum Reform-Realgymnasium nach Frankfurter System mit der Sprachenfolge Französisch, Latein und Englisch.
1914. Das 50-Jährige wird vom Beginn des Ersten Weltkrieges begleitet. Klassenweise melden sich Schüler begeistert an die Front, um für Kaiser und Vaterland zu kämpfen. 114 Schüler fallen im großen Krieg; eine Bronzetafel erinnert an sie.
1922. Die Umbenennung in Helmholtz-Gymnasium soll die naturwissenschaftliche Ausrichtung der Schule unterstreichen.
1933. Mit der ersten Bücherverbrennung auf Essener Boden will das Helmholtz-Gymnasium seine Regimetreue unter Beweis stellen. Die wurde angezweifelt, nachdem die Schultheatergruppe versucht hat, ein Stück des liberalen jüdischen Schriftstellers Franz Werfel aufzuführen.
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938. Die letzten jüdischen Schüler müssen das Helmholtz-Gymnasium verlassen.
1939. Das 75-Jährige der Schule fällt mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges zusammen.
1943. Zerstörung des Gebäudes an der Heinickestraße.
1945. Wiederaufnahme des Schulbetriebs im Gebäude der Maria-Wächtler-Schule. Das dienstälteste „Nicht-NSDAP-Mitglied“ Dr. Zahn übernimmt die provisorische Leitung.
1957. Hugo Vollmerhaus wird Rektor und hat dieses Amt bis 1975 inne. Der Neubau an der Rosastraße wird bezogen.
1964. Feier zum 100-jährigen Bestehen der Schule. Im Jubiläumsjahr hat das Helmholtz-Gymnasium 29 Klassen mit 943 Schülern.
1970. Das Helmholtz-Gymnasium wird offiziell zum Sportgymnasium.
1972. Reform der gymnasialen Oberstufe; Kooperation mit dem benachbarten Rüttenscheider Mädchengymnasium, der Maria-Wächtler-Schule.
1976. Aufnahme von Mädchen. Werner Schmidt wird als Nachfolger von Hugo Vollmerhaus neuer Rektor.
1996. Monika Lenkaitis wird erste Rektorin, ihr folgt 2007 Beate Zilles.
Norbert Krüger ist das Gedächtnis der Schule
Klein und eng ist der Raum, in dem Norbert Krüger seine Schätze aufbewahrt hat. Es riecht nach altem Papier und Staub, in den Regalen stapeln sich Ordner, Klassenbücher, alte Schulbücher und Akten. In der Ecke lehnt eine bronzene Gedenktafel, die an die gefallenen Schüler des Ersten Weltkrieges erinnert. Mittendrin sitzt der ehemalige Latein- und Geschichtslehrer Norbert Krüger und breitet alte Schülerzeitschriften aus den zwanziger Jahren vor sich aus.
Krüger hütet nicht nur das Gedächtnis der Schule, er sortiert die Informationen und wertet sie auch aus. So kann er, gefragt nach bekannten Helmhöltzern, sofort mit einer Liste antworten: Helmut Käutner, Jürgen Lodemann, Piet Klocke, Timm Beckmann, Rolf Fliß . . . aber auch der ehemalige NS-Reichspressechef Dietrich, der Filmschauspieler Paul Klinger und mehrere Generationen der Essener Luftfahrtfamilie Bamler haben das Gymnasium einst besucht.