Essen. . Sechs Lokalpolitiker aus dem Essener Norden berichten von ihren Erfahrungen im Wahlkampf. Die einen sind “alte Säcke“, für die anderen ist es der erste Wahlkampf als Kandidat. Sie alle erzählen von umstrittene Plakaten, fehlender Aufmerksamkeit, Falten auf Fotos und viel Einsatz.
Sonntag ist Wahltag. Und bis dahin geben die Kandidaten im Wahlkampf noch einmal alles. Wir haben mit Politikern aus den sechs Parteien gesprochen, die im Essener Rat mit einer Fraktion vertreten sind. Frauen und Männer, alte Recken und Frischlinge berichten von ihren Erfahrungen.
Der „alte Sack“ von der SPD
Schlachtross könnte man Hans-Wilhelm Zwiehoff nennen. „Manche sagen auch einfach alter Sack"; sagt Zwiehoff. Seit 35 Jahren ist er in der SPD aktiv. Der Bezirksbürgermeister in der Essener BV V strebt in der fünften Legislaturperiode ein politisches Amt an.
Wahlkampf verbindet er mit einer gewissen Routine: „Wenn ich nach all den Jahren nicht weiß, wie es geht, dann weiß ich es nicht“, philosophiert der 61-Jährige aus Altenessen. Zwiehoff ist ruhig, gelassen, „bei den jungen Kollegen spürst du schon Unruhe und Nervosität“. Er hat ein offenes Ohr für die Bürger, die auch zu ihm kommen, wenn sie seine Partei nicht wählen. „Ich helfe halt gerne.“
Sein politisches Engagement geht auch auf Kosten von Freizeit und Familie. „Dieser Spagat ist nicht immer einfach. Wenn andere am Wochenende mit den Kindern zu Fort Fun gefahren sind, stand ich am Wahlstand“, sagt Zwiehoff mit einem Hauch von Melancholie in der Stimme. Heute sind seine Kinder erwachsen. „Und ab und zu nehme ich meine Frau mit an den Wahlstand. Ich bin aber auch nicht mehr bei jeder Kirmes dabei.“
Der Zuhörer von den Grünen
Matthias Neumann lächelt die Bürger, die, wie er hofft, seine Wähler werden, nicht von Wahlplakaten an. „Wir setzen auf Inhalte, nicht auf Köpfe“, erklärt der 26-jährige Grüne. Er kandidiert erstmals.
Der Erzieher kennt den Essener Norden, er hat in Dellwig, Frillendorf und Frohnhausen gewohnt. Jetzt lebt und kandidiert er in Altendorf. Mit Listenplatz 12 wird es für den Rat eng. In der Bezirksvertretung stehen die Chancen besser. „Die Leute wollen wissen, was wir da machen. Und ich will wissen, was sie von uns erwarten.“
Die Kanzlerin von der CDU
Als Annika Haak das erste Wahlplakat mit ihrem Konterfrei in der Hand hielt, „war das unheimlich cool“, sagt sie. „Beim dritten Plakat dachte ich dann, man sieht bei der Größe schon die Falten.“ Die 21-Jährige lacht. Die Strapazen des Wahlkampfes sind ihr nicht anzumerken. Sie versprüht auch nach einem langen Tag mit Interviews, Standdienst, Hausbesuchen und Nachplakatieren noch unbändige Frische. „Es macht Spaß, ist eine tolle Erfahrung“, sagt sie über ihren ersten Wahlkampf.
In Karnap hat ihre CDU letztes Mal bescheidene 16 Prozent geholt. „Ich hoffe dieses Mal auf 20 Prozent“, sagt die Neueinsteigerin forsch und kämpferisch. Annika Haak und ihr Team haben experimentiert. „Und Verrücktes probiert.“ Am Kanal haben sie Eis verteilt, bei den Hausbesuchen auch bei EBB-Kandidat Michael Schwamborn geklingelt. Und morgens um 6 Uhr Flyer an Haltestellen verteilt.
Das ist für eine Studentin früh. Annika Haak studiert Physik. Wie es ihre CDU-Parteifreundin und heutige Kanzlerin Angela Merkel gemacht hat...
Der Bessermacher von der FDP
Monty Bäcker hat es nicht einfach. Seine Partei, die FDP, ist seit der Bundestagswahl nicht nur aus dem Bundestag, sondern auch aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. „Uns fehlt diese Aufmerksamkeit“, sagt der Liberale.
Dazu tritt der 36-jährige Bäcker in Altendorf an. Dort sind die Wähler der „Partei der Besserverdienenden“ so häufig anzutreffen, wie Schalke-Fans in Dortmund. „Es ist ein schwieriges Pflaster. Altendorf ist links und noch weiter links dominiert“, sagt der Kaufmann. Er verteilt Flyer, spricht Leute an, steht am Info-Stand, teilt per E-Mail mit, dass er für Interviews bereit steht. „Wir geben unser Bestes“, sagt Monty Bäcker. Ob das reicht?
Die „Sahra“ von der Linken
Dieter Stodiek ist Frischling und alter Hase zugleich. Der 71-Jährige war lange in der SPD und kandidiert jetzt erstmals für „Die Linke“. „Da bemerkt man Unterschiede. Die SPD hat ein ganzes Team. Und mehr Geld, das du im Wahlkampf brauchst. Wir machen das mit Einsatz wett“, sagt er.
Dieter Stodiek tritt in Altenesssen an. Hier kennt man ihn: „Ich werde Sahra gerufen. Wegen Sahra Wagenknecht.“ Er wirbt in Moscheen für sich, geht von Haus zu Haus. „Mein Klavier ist breit gefächert.“ Sonntag ist nicht nur Wahltag. „Erst wird das Kreuz gemacht. Dann gehe ich Tanzen. Mumienschieben heißt das in meinem Alter“, sagt der 71-Jährige. Und schmunzelt.
Der Medienprofi vom EBB
Andreas Walter ist zwar schon 51 Jahre alt, tritt aber das erste Mal bei einer Wahl an. „Früher fand ich Politik langweilig. Du kannst eh nichts bewegen, habe ich gedacht.“ Familie und Beruf standen im Fokus.
Als es in seinem Leben ruhiger wurde, lernte er Udo Bayer kennen. Das „mobile Kraftwerk“ des Essener Bürger-Bündnis überzeugte Andreas Walter, beim EBB mitzumischen. Der IT-Berater, der in Katernberg kandidiert, überarbeitete die Internetseite der Partei und setzt im Wahlkampf sehr auf soziale Medien wie Facebook und Twitter.
Die meiste Aufregung gab es aber um ein klassisches Medium: Auf einem Wahlplakat war hinter seinem Kopf der Katernberger Bergmannsdom zu sehen. Das gefiel der evangelischen Gemeinde gar nicht. Es wurde gemotzt, diskutiert, „passiert ist aber nichts“, sagt Andreas Walter. „Trotzdem, eine interessante Erfahrung.“