Essen. Der Essener Kommunal-Wahlkampf macht bislang einen müden Eindruck. Im WAZ-Streitgespräch haben die Ratsfraktionen Gelegenheit zum Schlagabtausch. Den Anfang machen Gabriele Giesecke (Linke) und Udo Bayer (EBB).
Der Essener Kommunal-Wahlkampf macht bislang einen müden Eindruck. Im WAZ-Streitgespräch haben die Ratsfraktionen Gelegenheit zum Schlagabtausch. Den Anfang machen Gabriele Giesecke (Linke) und Udo Bayer (EBB).
Herr Bayer, aus aktuellem Anlass: Verhageln Ihnen die Vorwürfe gegen Ihren Parteifreund, den Radiologen und Ratsherrn Karlgeorg Krüger, den Wahlkampf?
Udo Bayer: Im ersten Moment waren wir geschockt, inzwischen hat die Geschichte einen anderen Dreh bekommen, insbesondere seit die Leiter der großen Kliniken mit Ausnahme des Huyssenstifts sich hinter Herrn Krüger stellen. Der Versuch, einen Zusammenhang zu konstruieren zwischen dem Beruflich-Privaten und dem Politischen erweist sich als Rohrkrepierer.
Gabriele Giesecke: Ich finde es ungewöhnlich, dass man in einer Wählergemeinschaft untereinander Beraterverträge abschließt wie Sie und Herr Dr. Krüger es getan haben. Sie sollten das nicht als Diffamierung abwerten.
Frau Giesecke, beeinträchtigt die parteiinterne Auseinandersetzung, bei den Linken, die in der Wiederholung der Listenaufstellung gipfelte, Ihren Wahlkampf.
Gabriele Giesecke: Der Wahlkampf ist spät in die Gänge gekommen. Durch die neue Listenaufstellung haben wir etwas Zeit verloren. Aber ich sehe eine sehr große Mobilisierung.
Bayer: Ich habe einen völlig anderen Eindruck. In weiten Teilen der Stadt findet ein Wahlkampf der Linken gar nicht statt.
Giesecke: Das ist Wunschdenken.
An der Spitze von EBB und Linke
Gabriele Giesecke (60) gehört seit 1999 dem Rat der Stadt an. In der auslaufenden Ratsperiode war sie stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion. Nun ist sie Spitzenkandidatin.
Udo Bayer (67) ist Fraktionsvorsitzender und der starke Mann des Essener Bürgerbündnis (EBB). Die Wählergemeinschaft sitzt seit 2004 im Rat.
In der ausklingenden Ratsperiode waren sie einander in freundliche Antipathie verbunden.
Bayer: Die Linke ist eine Weltanschauungspartei. Sie, Frau Giesecke, kommen aus der PDS, die Nachfolgepartei der SED ist. Die Grundlage dieser Weltanschauungspartei ist der Marxismus-Leninismus.
Giesecke: Das ist 25 Jahre her und schon wieder Schubladendenken.
Bayer: Jeder sollte sich fragen, was ist der Hintergrund, vor dem er Politik betreibt.
Giesecke: Allerdings. Herr Bayer, mich stört, dass Sie versuchen in der Frage der Flüchtlingsunterbringung Stimmung zu machen. Sie fördern nicht den sozialen Frieden, sondern Ausländerfeindlichkeit.
Bayer: In Stoppenberg soll auf einer kleinen Grünfläche mitten in der Wohnbebauung ein Asylantenheim gesetzt werden. Dagegen haben sich die Leute gewehrt. Sie lassen sich nicht diffamieren und als rechts abstempeln. Das Asylkonzept haben wir aus guten Gründen abgelehnt. Die Bedarfsanaylse der Verwaltung war falsch, die Auswahl der Standorte völlig einseitig. Im Übrigen: Die Vorstellung, 50 Millionen Euro in Asylunterkünfte zu investieren, ist absurd.
Giesecke: Auch wir fordern eine bessere Bürgerbeteiligung ein. Es gibt Kritik an dem ein oder anderen Standort. Nichtsdestotrotz war das Konzept, das die Verwaltung vorgelegt hat, ein gutes. Jetzt laufen wir Gefahr, dass wir Flüchtlinge provisorisch unterbringen müssen in Turnhallen und in leeren Schulen. Das wollen wir nicht. Und das wollen auch die Bürger nicht.
DemokratieBayer: Es geht ja nicht nur um Flüchtlingspolitik, zum Thema Integration ließe sich noch viel mehr sagen. Ihr scheidender Fraktionsvorsitzender, Herr Leymann-Kurtz, war übrigens der gleichen Auffassung wie ich, dass das Auftreten von Migrantenparteien das Gegenteil dessen ist, was wir unter gelungener Integration verstehen. Diese Parallelgesellschaften wollen wir nicht.
Giesecke: Ich sehe die Aufstellung dieser Listen nicht als Zeichen der gescheiterten Integration. Da bin ich in der Tat anderer Meinung als Herr Leymann-Kurtz. Ich finde es gut, dass aus der migrantischen Bevölkerung politische Teilhabe eingefordert wird. Ich sehe ein ganz anderes Versagen und zwar das der etablierten politischen Parteien, auch ihrer Wählervereinigung, sich nicht genug der migrantischen Bevölkerung geöffnet zu haben. Es wird höchste Zeit. 20 Prozent der Bevölkerung haben migrantische Wurzeln. Die müssen sich vertreten fühlen und sich einbringen können. Integration ist keine Einbahnstraße.
Bayer: Das ist unser Slogan, danke, dass Sie ihn aufgreifen. Bei uns kann jeder, der will, mitmachen. Wir laden ausdrücklich dazu ein.
In der Frage der Haushaltskonsolidierung kommen Linke und EBB nicht auf einen Nenner
Ein anderes Zukunftsthema ist die prekäre finanzielle Situation der Stadt. Herr Bayer, spart Essen sich kaputt?
Bayer: Es gibt keine Alternative zur Sanierung des Haushaltes. Würden wir dieses Problem nicht lösen, würde es die kommunale Selbstverwaltung nicht mehr geben. Wir müssen so schnell wie möglich Haushaltsausgleich hinbekommen. Spätestens 2017.
Giesecke: Das halte ich nicht für realistisch. Wir müssen bedenken, dass wir in diese Stadt auch investieren müssen. Wir brauchen eine soziale Infrastruktur. Essen wird sich nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können.
Bayer: Sie haben alle Konsolidierungsbeschlüsse abgelehnt. Zur Frage der Haushaltssanierung kam von Ihnen nur ein klares „Njet“.
Giesecke: Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die Stadt vor allem ein Einnahmeproblem hat. Wir wollten die Gewerbesteuer erhöhen, was insbesondere die großen Konzerne treffen würde.
Bayer: Glauben Sie ernsthaft, dass das keine negativen Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Essen hätte?
Giesecke: Keine Firma wird Essen deshalb verlassen. Wir erwarten, dass Konzerne wie RWE und andere angemessen zum Erhalt der Infrastruktur beitragen.
Bayer: Das ist ökonomisch falsch. Ebenso falsch ist, dass die Konzerne keinen Beitrag leisten. Sie fordern immer nur Erweiterungen, Erhöhungen und Ausbau, aber auf die Frage, wie Sie das finanzieren wollen - keine Antwort.
Giesecke: Die Frage ist doch, ob wir in einer sozialen Stadt leben wollen, oder nicht.
Bayer (EBB) und Giesecke (Linke) über Bürgerentscheide und die Messe
In keiner anderen Stadt hat es mehr Bürgerentscheide gegeben. Sind Sie für mehr Bürgerbeteiligung?
Giesecke: Sie, Herr Bayer, haben dafür gestimmt, dass 123 Millionen Euro in die Messe Essen investiert werden sollten. Die Bürgerinnen und Bürger haben gesagt: Stopp, so nicht. Die Bürger wollen verstärkt mitreden. Das wollen wir möglich machen.
Bayer: Wir haben kein Problem damit, dass Bürger bei großen Projekten zu Wort kommen, etwa bei der Frage, ob die A 52 ausgebaut werden soll oder nicht. Da fordern wir seit langem einen Ratsbürgerentscheid. Ihre Position ist aber, dass jede Investition über 20 Millionen Euro einem Bürgerentscheid unterzogen werden sollte. Das Prinzip der repräsentativen Demokratie würde so außer Kraft gesetzt, weil wir einen Bürgerentscheid nach dem anderen bekommen würden.
Giesecke: Beim Thema Messe lag der Rat daneben. Das müssen Sie anerkennen.
Bayer: Ob der Rat daneben lag, wird man noch sehen. Jetzt liegt eine Ausbauvariante vor, die sehr teuer und hochrisikoreich sein könnte. Was Beteiligung angeht: Bürgerbeteiligung selbstverständlich, Bürgerentscheide selbstverständlich, im Prinzip. Die Frage ist aber nach welchen Regularien? Sie wollen das Quorum doch sogar ganz abschaffen.
Giesecke: Das ist die Position von „Mehr Demokratie“. Ja, diese Position finden wir gut.