Essen. Der Rat der Stadt ist - neben dem Oberbürgermeister - das entscheidende Organ städtischer Selbstverwaltung. Formal sind seine Mitglieder ehrenamtlich tätig, faktisch gibt es aber auch Berufspolitiker. Wir erklären, was der Rat der Stadt darf, wie er arbeitet und wer ihm angehört.
Rund 485 000 Essener ab 16 Jahren können am 25. Mai den Rat der Stadt wählen, den manche auch Stadtparlament nennen, obwohl der Vergleich streng genommen falsch ist. Zwar wird auch im Rat viel debattiert und geredet (italienisch: „parlare“), doch kann der Rat anders als Bundestag und Länderparlamente keine Gesetze beschließen, sondern nur Satzungen, die allerdings ebenfalls Recht setzen: etwa bei der Ausweisung eines neuen Baugebietes. Der Rat ist so etwas wie der politische Teil der Stadtverwaltung, die von ihm Aufträge entgegennimmt, aber auch seine Macht begrenzt. Sinnfälliges Symbol: der Oberbürgermeister, der die Verwaltung leitet, steht auch dem Rat vor.
Der Essener Rat hat 82 Mitglieder plus OB, der ebenfalls Stimmrecht hat. Die Hälfte der Ratsleute wird direkt gewählt über die 41 Essener Kommunalwahlbezirke, die andere Hälfte über ein kompliziertes System ermittelt, das die Gesamtstimmenzahl der einzelnen Parteien zur Grundlage hat. 2009 war es so, dass schon weniger als ein Prozent der Stimmen für ein Ratsmandat ausreichte.
Komplizierte Mehrheitsbildung bei sechs Fraktionen
Entsprechend bunt ging es im Rat in der zu Ende gehenden Ratsperiode zu: Sechs Fraktionen, drei fraktionslose Ratsleute wollen mitreden, wenn es um Straßenzustand oder Sportanlagen, Hausmeisterstellen oder Parkreinigung, Neubaugebiete oder Gewerbeansiedlungen geht. Die Mehrheiten sind kompliziert. Die SPD stellt mit 37,2 Prozent die stärkste Fraktion, die knappe Mehrheit aber besitzt ein Bündnis aus vier Fraktionen, das von der CDU geführt wird - und auch diese vier sind sich nicht immer grün. Politik im Rat hat in Essen längst nichts mehr mit Durchregieren zu tun, sondern ist zähe Moderatorenarbeit.
Viele Entscheidungen sind dennoch unstrittig, werden mit breiter Mehrheit getroffen und nicht entlang ideologischer Trennlinien - Kommunalpolitik ist meist Sachpolitik, so soll es jedenfalls sein. Ein Rat darf natürlich auch streiten, muss aber zunächst mithelfen, das Funktionieren der Stadt sicherzustellen. Er hat im Rahmen des Grundgesetzes und der Gemeindeordnung in vielen städtischen Angelegenheiten ein gewichtiges Wort, muss die Macht aber mit dem ebenfalls direkt gewählten OB teilen. In Essen führte der Streit um die genaue Trennlinie schon zu gutachterlichen Auseinandersetzungen.
Bei fehlendem Geld sind ständig Abwägungen nötig
Weil das Geld knapp und die Schulden hoch sind und der Rat nur wenig eigene Stellschrauben zur Steuererhöhung hat, ist die Arbeit ein Balanceakt. Bei allen Entscheidungen gilt es ständig abzuwägen: Was ist wichtiger - das Jugendhaus oder der Messeausbau? Was ist dringender - das neue Schwimmbad oder die Denkmalpflege? Wo können Kosten eingespart werden - bei Stellen oder bei der Erwachsenenbildung?
DemokratieFormal sind alle Ratsmitglieder ehrenamtlich tätig, doch ist die Arbeit eigentlich nur zu bewältigen, wenn die jeweilige Erwerbsarbeit großzügige Freistellungen möglich macht. Deshalb findet man auch im Essener Rat vergleichsweise viele Angehörige des öffentlichen Dienstes und Selbstständige. Auch der Typus des faktischen Berufspolitikers kommt vor. Über besondere Funktionen wie etwa ein Bürgermeisteramt, über die Mitgliedschaft in Aufsichtsräten städtischer Unternehmen und in Aufsichtsgremien überlokaler Verbände wie den Landschaftsverbänden lässt sich zusammen mit den Sitzungsgeldern ein durchaus achtbares Einkommen erzielen.
Entscheidungen in informellen Kreisen sind üblich
In der Regel tagt der Rat acht Mal im Jahr, die entscheidende Vorarbeit wird aber in den zwölf Fachausschüssen erledigt - etwa jenen für Bau und Verkehr, Finanzen oder Kultur. Faktisch fallen viele Entscheidungen allerdings deutlich früher - in den Ratsfraktionen und oft sogar in den informellen Kreisen einiger Fraktionschefs, die ihre Parteifreunde dann anschließend meist rasch überzeugen. Das ist nicht sehr transparent, aber schwer zu verhindern.