Essen. OB Paß und Umweltdezernentin Raskob wollen in der Finalrunde im Juni den Titel holen.

„Ein großer Erfolg, eine große Überraschung“ -- mit sichtlicher Freude kommentierte Oberbürgermeister Reinhard Paß die gute Nachricht aus Brüssel: Die Europäische Kommission hatte am Donnerstag verkündet, dass es Essen mit seiner Bewerbung um den Titel „Grüne Hauptstadt Europas 2016“ in die Finalrunde geschafft hat, neben Ljubljana, Nijmegen, Oslo und dem schwedischen Umeå. Der Titel wird jedes Jahr einer europäischen Stadt für ihre besonderen Leistungen im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit verliehen, Essen wurde aus einem Kreis von insgesamt zwölf Mitbewerbern ausgewählt. „Damit wird Essen einmal mehr seinem Ruf als drittgrünste Stadt Deutschlands und grünste Stadt Nordrhein-Westfalens gerecht“, sagte Paß auf der Pressekonferenz in der 22. Etage des Rathauses vor den Vertretern aus Politik und Verwaltung.

Der OB schlug den großen Bogen einer Industriestadt von Kohle und Stahl, die es über den Strukturwandel geschafft habe, sich zu ändern, sich ein neues, grünes Gesicht und ein neues Image zu geben: „Wir wollen mit der Grünen Hauptstadt an das Kulturhauptstadtjahr 2010 anknüpfen, wir werden dazu alle Kräfte bündeln, es geht um den 1.Platz. “

Der Weg des Strukturwandels

Paß lobte auch die Ratsfraktionen für ihre Unterstützung. Vergessen der Streit, als sich zunächst das Ruhrgebiet als Region bewerben wollte, mit Essen als Bannerträger, dies aber am Widerstand einiger Städte im Regionalverband Ruhr zu scheitern drohte. Letztendlich lehnte auch die EU-Kommission die revierweite Bewerbung ab. Das Viererbündnis aus CDU, Grünen, FDP und EBB hatte für diesen Fall bereits im Juni 2012 den alleinigen Essener Anspruch durchgesetzt, dem im Frühjahr 2013 dann auch die SPD und die Linken im Stadtrat folgten.

Am meisten freute sich aber Umweltdezernentin Simone Raskob, die mit ihrem Dezernat die Bewerbung professionell und mit hohem Einsatz vorangetrieben hatte: „Ich musste die Nachricht aus Brüssel erst zweimal lesen, um es zu glauben. Das Projektteam hat eine wunderbare Arbeit geleistet.“ Mit der Nominierung sei ein erstes, wichtiges Etappenziel erreicht: „Das Potenzial unserer Stadt hat die Jury überzeugt. Jetzt gilt es, uns für das Finale bestmöglich vorzubereiten.“ Das ist für den 23. Juni in Kopenhagen angesetzt, der diesjährigen Grünen Hauptstadt Europas.

Im ersten Anlauf direkt in die Finalrunde zu kommen, dafür dürfte vor allem Essens ungewöhnliche 200-jährige Transformationsgeschichte maßgeblich gewesen sein: „Wir haben in der Bewerbung den Weg des Strukturwandels schlüssig dargestellt. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Kapitel. Wir haben aufgezeigt, dass wir die Stadt nachhaltig ökologisch umgebaut und verändert haben, dass wir dazu neue Wege gegangen sind, die es so in keiner anderen Stadt gibt“, sagte Umweltdezernentin Simone Raskob. Der Ausbau der Grünzonen und des Radwegenetzes seien dafür ebenso beispielhaft wie der Bau neuer Stadtquartiere, sei es das neue Thyssen-Krupp-Quartier, das Uni-Viertel, das Quartier am Niederfeldsee oder der Allbau-Block in der nördlichen City.

Das alles wird nicht reichen

„Wir haben aber auch unsere Schwächen nicht verschwiegen, beispielsweise beim Verkehr. Kopenhagen hat mit einem Fahrrad-Anteil von 50 Prozent gepunktet, bei uns liegt der gerade einmal bei fünf Prozent. Aber wir konnten die Jury davon überzeugen, dass wir den Anteil auf elf Prozent steigern wollen.“

Dass letztendlich auch die Wirtschaft von der „Green Economy“ profitiert, sei ebenso in der Bewerbung deutlich geworden. „Hier geht es nicht um weiche Standortfaktoren, sondern um Arbeitsplätze und Geld.“ Essen sei in NRW bereits führend. Jeder fünfte Euro werde in der Europäischen Union künftig in den Klimaschutz investiert, „und uns ist in Brüssel versichert worden, dass wir für alle Förderkonzepte gut aufgestellt sind“.

Nachdem dies alles bereits die Fachjury in Brüssel überzeugt hat, geht es nun darum, am 23. Juni in Kopenhagen die politische Jury zu überzeugen. Sie besteht aus Vertretern der EU-Kommission, des Europäischen Parlaments, des Ausschusses der Regionen, der Europäischen Umweltagentur oder des Convenant of Majors. Ob sie letztendlich Essen bescheinigen werden, nachweislich hohe Umweltstandards erreicht und weitergehende ehrgeizige Ziele formuliert zu haben für den Umweltschutz und eine nachhaltige Stadtentwicklung, wird sich in den jeweils 90-minütigen Bewerbungs-Castings der fünf Finalisten zeigen. OB Reinhard Paß und Umweltdezernentin Simone Raskob werden das Team anführen, das nun zusammengestellt wird, dem Wissenschaftler und Experten ebenso angehören sollen wie PR-Profis. Das allein wird nicht reichen: „Wir werden augenblicklich mit der Lobby-Arbeit in Brüssel beginnen“, sagten Paß und Raskob, „dazu werden wir alle uns zur Verfügung stehenden Kanäle ausnutzen“. Es sei nun mal damit zu rechnen, dass auch die anderen Finalisten auf dieser Harfe spielen werden.

"Wir brauchen eine aufsuchende Energieberatung" 

Der Essener Bürger indes darf sich im Falle eines Sieges in der Finalrunde auf ein Programm 2016 freuen, das in seinen Dimensionen wohl am ehesten mit dem Kulturhauptstadtjahr vergleichbar sein wird. Auch wenn Simone Raskob nur „ein paar Ideen“ formulierte, lassen diese aufhorchen: „Wie wäre es, die A 42 an einem Wochenende in eine Parkautobahn zu verwandeln, nur freigegeben für Radfahrer und Fußgänger, ähnlich wie 2010 bei der A 40.“ Spätestens 2016 sollten die Essener auch wieder im Baldeneysee baden können: „Wir wollen den Essenern den Fluss und den See zurückgeben. Was in München an der Isar möglich ist, muss auch hier möglich sein.“ Und, ein weiteres Projekt das der Umweltdezernentin am Herzen liegt: „Die zweite Stadt auf Zeche Zollverein soll endlich entstehen. Sie ist 2010 nicht an den Finanzen gescheitert, die 7,5 Millionen Euro für die publikumswirksame Erschließung des Schachtes lagen vor. Es hat damals an den Personen gelegen.“ Hier kurz vor dem Auslaufen des Bergbaus den Menschen die Folgen und den Wandel zu erklären, die Grubenwasser-Haltung, die Energiegewinnung, „damit würde ein Traum des Ruhrmuseums in Erfüllung gehen“.

Doch auch für den Klimaschutz strebt die Umweltdezernentin nach neuen Zielen: „Wir brauchen eine aufsuchende Energieberatung, die zu den Menschen geht und sie mitnimmt.“

Wie sehr hier Essen beim Wandel zum umweltfreundlichen städtischen Leben sei, sagte OB Reinhard Paß, habe der Besuch aus China gezeigt: „Die Städte dort suchen Kooperationspartner, und da ist Essen international anerkannt und nachgefragt, um zu zeigen, wie Umweltmanagement in einer Metropole betrieben wird.“

Viele Erholungsflächen

Davon könnten sie sich gerne auch wieder 2016 überzeugen. Aber davor steht noch der 23. Juni. In Kopenhagen gilt’s.

Auf einhellige Freude ist das Erreichen der Finalrunde bei den Essener Ratsfraktionen gestoßen. Die CDU sieht sich durch die Nominierung bestätigt und glaubt an den Titelgewinn: „Wir haben schon früh die Chance des Titels ,Grüne Hauptstadt Europas’ erkannt und gemeinsam mit den Grünen, der FDP und dem Essener Bürgerbündnis an Essen als Grüne Hauptstadt Europas geglaubt. Nun stehen wir als Finalist in der Endrunde. Jetzt setzen wir aber nicht auf Platz, sondern auf Sieg“, sagte der Fraktionsvorsitzende Thomas Kufen. „Mit unseren Umwelt- und Klimakonzepten, dem Standortfaktor Energiewirtschaft und dem großen Anteil an Erholungsflächen kann Essen mit Selbstbewusstsein in die nächste Runde gehen.“

Hervorragende Arbeit

Auch bei den Grünen herrscht Begeisterung: „Wir freuen uns riesig, dass es Essen in die Endrunde geschafft hat. Damit bescheinigt eine internationale Sachverständigengruppe die Anstrengungen zur Verbesserung der Umweltqualität in Essen und der Metropole Ruhr“, erklärte die Fraktionsvorsitzende Hiltrud Schmutzler-Jäger. „Gleichzeitig ist dies eine besondere Anerkennung der hervorragenden Arbeit der Essener Umweltverwaltung und der vielen an der Bewerbungsschrift beteiligten Institutionen. Es zeigt sich damit aber auch, dass es trotz mancher kritischer Töne aus den Nachbarstädten richtig war, dass sich Essen alleine als Stadt beworben hat, nachdem eine Bewerbung der Ruhrgebietsstädte nicht möglich war.“ Selbst wenn Essen am Ende nicht den ersten Platz erreichen sollte, hätten sich die Bemühungen bereits jetzt gelohnt: „Essen hat sich damit bei der EU bekannt gemacht und die Tür für europäische Fördermittel im Bereich des Umwelt-, Natur- und Klimaschutzes geöffnet. Die Nominierung sehen wir auch als Ansporn, den eingeschlagenen Weg bei der Umsetzung des Essener Klimaschutzkonzeptes konsequent weiter zu gehen.“

„Es ist ein guter Erfolg, dass Essen es direkt ins Finale geschafft hat. Unsere Verwaltung hat eine hervorragende Mannschaftsleistung erbracht“, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Schöneweiß. „Künftig sollen 20 Prozent der EU-Fördermittel in Umweltprojekte fließen und Essen muss von diesen Fördertöpfen profitieren. Es war vernünftig, dass Essen die Bewerbung allein durchgezogen hat.“