Essen. Der Wohlfahrtsverband „Der Paritätische“ hat eine neue Sozial-Studie vorgelegt. Nach der stieg die Armutsquote in Essen auf 20 Prozent. Stadtweit wird jedes dritte Kind in einer Familie groß, die auf Hilfen angewiesen sind. In Freisenbruch ist die Hilfedichte am höchsten.
Es ist wie ein Weckruf zu Weihnachten: Die Armut in dieser Stadt hat sich verfestigt. Es geht ein zunehmend deutlicher sozialer Riss durch Essen, die Fliehkräfte zwischen Arm und Reich werden stärker. Inzwischen ist jeder fünfte Bürger von Armut betroffen.
Die Quote stieg im vergangenen Jahr auf 20 Prozent. Das ist ein neuer Negativrekord. Zum Vergleich: Fünf Jahre zuvor lag die örtliche Armutsquote bei gerade einmal 12,6 Prozent. Dies geht aus der Sozialstudie „Zwischen Wohlstand und Verarmung“ hervor, den der Wohlfahrtsverband „Der Paritätische“ am Donnerstag veröffentlichte.
Fakt ist: Besonders junge Menschen und Kinder sind die Leidtragenden des Effekts, das eine in den vergangenen Jahren insgesamt gestiegene Nachfrage nach Arbeitskräften an den Menschen im Hartz IV-Bezug weitestgehend vorbeigegangen ist. Und das sind – zur Erinnerung – eine Menge Leute in dieser Stadt: Gegen Ende des Jahres werden es nach einer Prognose der Stadt knapp 84.000 Essener in 43.900 Haushalten sein.
Entwicklung kommt Kommune teuer zu steuer
Diese Zunahme findet ihren Grund vor allem in einer steigenden Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse: Obwohl die Betroffenen arbeiten, reicht es hinten und vorn nicht zum Leben. Allein in den vergangenen vier Jahren zählte die Statistik 11,3 Prozent mehr dieser so genannten Ergänzer, die trotz eines Jobs hilfebedürftig bleiben. Im aktuellen Jahresschnitt waren das 13.379 Menschen in dieser Stadt. Eine Entwicklung, die die Kommune teuer zu stehen kommt: Der Zuschussbedarf bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung (LfU) lag allein im dritten Quartal dieses Jahres bei rund 34,3 Millionen Euro und damit rund 1,9 Millionen Euro über dem Plan. Die Gesamtkosten der LfU werden Ende des Jahres bei rund 210 Millionen Euro liegen, von denen rund ein Drittel erstattet wird.
Als wenn eine Armutsquote von 20 Prozent nicht schon schlimm genug wäre – ein Blick in die Stadtteile offenbart soziale Abgründe. Die allermeisten Menschen, die ohne Geld vom Staat nicht leben könnten, haben die Statistiker der Stadt im Bezirk III gefunden: Über 17.000 sind’s in absoluten Zahlen in Essen-West, während die Hilfedichte gemessen an der Zahl der dort lebenden Bürger im Stadtbezirk V (Altenessen, Karnap, Vogelheim) am höchsten ist. Dort war zum Stichtag 31. Dezember 2011 nahezu jeder vierte auf Leistungen zur Existenzsicherung angewiesen.
Wo jeder zweite als arm gilt
Betrachtet man die einzelnen Stadtteile noch genauer durch die Armutsbrille, wird die Diskrepanz zusehends größer: Im beschaulichen Schuir etwa bekommen 24 Essener finanzielle Unterstützung. Das ist nur etwa jeder 50. Bewohner des Sprengels. 7017 Betroffene hingehen sind es in Altenessen-Süd.
Relativ gesehen schneidet allerdings das Nordviertel besonders schlecht ab: Jeder Dritte dort hat kein eigenes Einkommen. Gewisse Quartiere in Bredeney kommen auf eine verschwindend geringe Quote von einem Prozent, während der Ausreißer mitten in Freisenbruch zu finden ist: In einigen Straßenzügen gilt mehr als jeder zweite als arm. 53 Prozent sind dort nach Angaben der Statistiker auf existenzsichernde Hilfen angewiesen.
Der zweithöchste Wert im Großstadt-Vergleich
Bei den Minderjährigen ist die Situation noch aussichtsloser: Dreiviertel aller unter 18-Jährigen in einem Quartier des Nordviertels sind von Armut betroffen. Bezogen auf den gesamten Stadtteil sind es immerhin noch 62 Prozent, ein Wert, der auch im Stadtkern zu finden ist, während in Schuir nur ein Prozent der Gleichaltrigen Geld vom Staat bekommen muss. 2189 junge Menschen sind es hingegen in Altenessen-Süd, 4774 im Stadtbezirk III (Essen-West).
Besonders hart trifft’s die große Gruppe der Alleinerziehenden und damit deren Nachwuchs. Die Hilfequoten bei Essens Kindern sind besonders besorgniserregend. 29,9 Prozent aller unter 15-Jährigen leben in armen Familien. Das sind 21.526 junge Betroffene und das ist der zweithöchste Wert im gesamten Großstadt-Vergleich. Schlechter schneidet nur noch Berlin ab, fand die Hans-Böckler-Stiftung heraus.