Essen. Die Zahl der Wohngeldempfänger in Essen ist massiv gesunken. 2012 erhielten 4 758 Haushalte eine finanzielle Unterstützung und damit 12,1 Prozent weniger als im Vorjahr – auch im landesweiten Vergleich ein überdurchschnittlich hoher Rückgang. Hintergrund ist die gestrichene Heizkostenkomponente. Verbände und Mietervereine üben scharfe Kritik.
Angemessener Wohnraum ist knapp und hat daher seinen Preis. Da viele Menschen mit wenig Geld auskommen müssen, erhielten im vergangenen Jahr 4758 Essener Haushalte einen Zuschuss zur Miete in Form von Wohngeld. Das waren allerdings 12,1 Prozent weniger als noch im Vorjahr – auch im landesweiten Vergleich ein überdurchschnittlich hoher Rückgang. Hintergrund ist die gestrichene Komponente für Heizkosten, die Anfang 2011 aus dem Leistungskatalog entfernt wurde. Bereits 2010 war die Zahl der Empfänger aufgrund von Gesetzesänderungen massiv gesunken.
„Wir bemängeln, dass Mietpreise und Nebenkosten steigen, aber trotzdem immer weniger Menschen Wohngeld erhalten. Es gibt einkommensschwache Familien, die zahlen durchaus 40 Prozent ihres Einkommens allein für Miete“, beklagt Silke Gottschalk, Geschäftsführerin des Deutschen Mieterbund NRW und ergänzt: „Wir halten die Kürzungen für sozial nicht gerecht.“
Energiekosten massiv gestiegen
Die Bundesregierung hatte die Streichung mit sinkenden Energiekosten begründet – das Gegenteil ist jedoch der Fall: Nach einer Berechnung des Energiedienstleisters Techem sind die Kosten für Gas im vergangenen Jahr um 13,5 Prozent gestiegen – bei Ölheizungen waren es sogar 16 Prozent. Zu den Empfängern von Wohngeld zählen vor allem Rentner und Familien mit Kindern. Nicht nur in Essen – überall in Nordrhein-Westfalen beziehen immer weniger Menschen Wohngeld: Wie das Landesamt für Statistik errechnete, sank die Zahl zwischen 2011 und 2012 um 10,3 Prozent. Insgesamt erhielten 151.000 Haushalte eine finanzielle Unterstützung.
Auch die durchschnittlich gezahlten Zuschüsse gingen zurück: Wurden vor drei Jahren noch 128 Euro überwiesen, waren es im vergangenen Jahr nur noch 111 Euro pro Monat und Haushalt in Essen. Der an Einzelpersonen gezahlte Wert kann deutlich geringer ausfallen, heißt es von städtischer Seite.
„Zwischenzeitlich sind sowohl die Einkommen als auch die Mieten gestiegen, was zur Folge hat, dass immer mehr Antragstellern kein Wohngeld mehr bewilligt werden kann, beziehungsweise die gewährten Wohngeldzahlungen geringer werden. Bereits bei rund 80 Prozent der Antragsteller liegen die tatsächlich gezahlten Mieten über den zuschussfähigen Mietobergrenzen“, erklärt Stadtsprecher Stefan Schulz.
Essener beantrage aus Scham kein Wohngeld
Offiziell heißt es, dass Wohngeld diene der wirtschaftlichen Sicherung eines angemessenen und familiengerechten Wohnens und wird als Zuschuss zur Miete (Mietzuschuss) oder für selbstbenutztes Wohneigentum (Lastenzuschuss) gewährt. Drei Faktoren entscheiden darüber, ob Wohngeld gewährt wird: Die Anzahl der Haushaltsmitglieder, die Höhe des Gesamteinkommens und die Höhe der Miete. „Die Tabellen sind seitenlang und das Verfahren ist extrem kompliziert,“ findet Siw Mammitzsch, Geschäftsführerin der Mietergemeinschaft Essen.
Mammitzsch geht davon aus, dass viele Essener kein Wohngeld beantragen, obwohl sie möglicherweise einen Anspruch darauf hätten. Als Gründe dafür nennt sie Unkenntnis der Gesetzeslage, Unsicherheit und Scham. „Für die betroffenen Menschen gibt es im Sozialsystem kaum noch andere Möglichkeiten zur Hilfe. Viele von ihnen leben bereits am untersten Einkommensrand“, berichtet sie weiter.
Wer kein Wohngeld erhält und wessen Einkommen nicht ausreicht, hat Anspruch auf Grundsicherung. Dabei werden sowohl Miete als auch Heizkosten bis zur Mietobergrenze in voller Höhe übernommen. Aber auch hier bedarf es eines zweiten Blicks, betont Pressesprecher Stefan Schulze und gibt ein Beispiel. „Wer kein Wohngeld mehr erhält, bekommt deshalb nicht automatisch Leistungen nach SGB II.
Unterschiedliche Höchstsätze
Es kann tatsächlich sein, dass jemand vorher 50 Euro Wohngeld erhalten hat, jetzt aber ohne Unterstützung auskommen muss.“ Grund sind unterschiedliche Höchstsätze bei Mieten und Sozialleistungen. „Nehmen wir mal den Rentner mit einem Einkommen in Höhe von 800 Euro. Bislang hat er 30 Euro Wohngeld erhalten – das fällt jetzt weg. Anspruch auf SGB II-Leistungen hat er aber erst ab einem Einkommen von weniger als 700 Euro. Der Rentner müsste schauen, wie er mit seinem Geld haushaltet.“
Andererseits gebe es aber auch Fälle, da zahle die Stadt für eine Übergangszeit deutlich mehr als vorgesehen, etwa bei Arbeitslosigkeit oder bei Menschen mit Behinderung. Schulze: „Der soziale Auftrag der Stadt ist es, Personen die in Not geraten sind aus der Patsche zu helfen.“
Silke Gottschalk vom Deutschen Mieterbund NRW reicht das aber nicht. Die Streichung der Heizkostenkomponente hält sie für einen Fehler – generell gehe ihrer Meinung nach „Wohngeld inzwischen an vielen Bedürftigen vorbei.“ Gottschalk: „Unserer Meinung nach sollten Heizkosten wieder berücksichtigt werden. Wir gehen aber noch weiter und fordern die Einführung einer Energiekostenkomponente, in der nicht nur die Heizkosten aufgefangen werden.“
Mieten und Nebenkosten steigen kontinuierlich
Die Geschäftsführerin beklagt, dass Mieten und Nebenkosten über Jahre kontinuierlich angestiegen seien, die Zuschüsse aber nicht entsprechend angepasst wurden. Der Deutsche Mieterbund wirbt daher für eine Aufstockung um zehn Prozent. „Die Erhöhung würde in etwa den gestiegenen Kosten der letzten Jahre entsprechen“, so Gottschalk.
Mit dieser Meinung steht der Verband nicht alleine da. Sprecher Stefan Schulze erklärt, auch die Stadt Essen wünsche sich eine Neubewertung. „Aus Sicht der Wohngeldstelle bedarf es einer regelmäßigen Anpassung der Mietobergrenzen sowie einer erneuten und dauerhaften Berücksichtigung der permanent steigenden Energiekosten.“