Essen. Die Essener Tafel verteilt wöchentlich Lebensmittel an rund 6000 Bedürftige. Zu den Kunden dieses besonderen Warenhauses gehören auch zahlreiche junge Menschen – Tendenz steigend. Ein Ortsbesuch zwischen Orangen, Frikadellen und Thunfisch-Konserven an der Warenausgabe im Steeler Wasserturm.
Björn Klein hat eingekauft: In seinem Korb liegen Butter, Aufschnitt, Brot, Pudding und etwas Gemüse. Gerade reicht ihm eine Mitarbeiterin eine Dose Thunfisch über den Tresen, die er zu den anderen Sachen packt. Für die Lebensmittel bezahlt der 28-Jährige an der Kasse zwei Euro und damit deutlich weniger als in einem regulären Supermarkt – den kann er sich nur selten leisten. Bei der Essener Tafel werden wöchentlich etwa 6000 Menschen versorgt, das entspricht rund 1800 Familien, die alle eine gültige Benutzer-Karte vorweisen können – meistens belegt durch den Bezug von Arbeitslosengeld II. Zu den Kunden in diesem ganz besonderen Warenhaus gehören aber auch zahlreiche junge Erwachsene so wie Björn Klein – Tendenz steigend. „Das sind schon nicht wenige“, sagt eine der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen.
Der Stoppenberger Klein hat keine Arbeit, aber einen kleinen Sohn, der versorgt werden will. Mit dem Hauptschulabschluss und – wie er selbst sagt – recht bescheidenen Noten fand er keinen Ausbildungsplatz und auch keinen Job, weshalb Klein schon seit Jahren auf Unterstützung angewiesen ist. Wenn er nicht zur Tafel gehen kann, hilft ihm seine Familie gelegentlich aus. Bei der Essener Tafel gilt die Bezugsberechtigung immer nur für ein Jahr, danach muss ein weiteres Jahr pausiert werden. So soll gesichert werden, dass jeder Mal an die Reihe komme, betont Koordinator Andreas Heil. „Für mich fühlt es sich hier an, als würde ich ganz normal einkaufen, ich bin nicht anspruchsvoll, sondern dankbar“, erzählt Björn Klein: „Ich schäme mich nicht.“
An der Essensausgabe am Steeler Wasserturm erblickt man immer wieder junge Gesichter. Wie alt die Kunden sind und wie es um ihre Ausbildung bestellt ist, wird nicht erfragt. Nachweislich häufen sich zumindest bei der Wattenscheider Tafel die Anfragen selbst von Studierenden, die mit knurrendem Magen vor der Ausgabe warten, weil sie rechtlich keinen Anspruch auf staatliche Hilfsleistungen haben. Die Verantwortlichen verteilen in diesen Fällen trotzdem Lebensmittel. Laut offiziellen Zahlen gilt jeder vierte Student in Deutschland als „arm“. Die Behörden definieren diesen Status anhand eines monatlichen Geldbetrags von 640 Euro. Wer beispielsweise sein Studium nicht in der Regelstudienzeit absolviert, verliert den Anspruch auf BAföG und fällt dadurch schnell unter die Einkommensgrenze. Wie häufig dies in Essen passiert, ist nicht erfasst.
Ganze Familien stehen an
Auch für einen Tischler-Azubi aus Essen reicht das Lehrlingsgeld oft nicht aus. Der junge Mann möchte seinen Namen lieber für sich behalten, berichtet aber, dass er eine Zeit lang selbst bezugsberechtigt war, jetzt aber aus dem Raster gefallen sei. Nun begleitet er den kleinen Bruder seiner Freundin zur Tafel – die gesamte achtköpfige Familie hat eine Tafel-Erlaubnis, die offiziell nur auf einen bestimmten Namen ausgestellt ist, wodurch deutlich wird, dass dahinter häufig auch Kinder und Jugendliche stehen, die auf die Hilfen angewiesen sind. „Die Mutter des Jungen kann aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten, der Vater hat zwar einen Job, aber trotzdem reicht das Geld nicht “, berichtet der Lehrling. Auch er hat Brötchen in seinem Einkaufskorb, daneben Joghurt, Milch und Frikadellen. Für ihn ist der Gang zur Tafel zur Normalität geworden. „Die Miete will bezahlt werden, dazu Strom, Versicherung. Da bleibt nicht viel übrig“, so der junge Mann.
Statistisch gesehen gibt in unserer Stadt 61.777 arbeitsfähige Menschen, die Anspruch auf Sozialleistungen haben und dem Arbeitsmarkt täglich mindestens drei Stunden zur Verfügung stehen. Knapp 20 Prozent davon sind unter 25 Jahre alt. Ein Teil kommt einmal in der Woche zu einer festgelegten Zeit nach Steele oder an eine der anderen Verteilerstellen. Man reiht sich dort in eine Schlange, nimmt einen roten Plastikkorb, wählt einige der gerade vorhandenen Waren aus, zeigt seinen Ausweis vor – das war's. Nach Angaben des Jobcenters, ist die Zahl der jungen Empfänger von Arbeitslosengeld II in den vergangenen Jahren leicht angestiegen – von 19,1 Prozent im Jahr 2008 auf derzeit 19,9 Prozent. Gewachsen ist dabei auch die absolute Zahl der Bezugspersonen unter 25 Jahren – von 11.018 auf aktuell 12.280.
Auch hinter dem Tresen im alten Wasserturm stehen junge Menschen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 sind die Essener Tafeln eine stadtweit bekannte Institution geworden – eben auch bei jungen Leuten. Nina Everbeck ist erst 26 und arbeitet seit einem Vierteljahr im Verein. An vier Tagen kommen jeweils 240 Menschen zu ihr und den Kollegen an die Warenausgabe. Zehn Kunden sind es meist in einer Schicht. Die Lebensmittelspenden stammen von Supermärkten, Bäckern und sonstigen Händler. Meistens ist die Ware kurz vor dem Ablaufdatum. Weil Nina Everbeck selbst nicht ganz fit ist, hat sie sich für die Arbeit bei der Tafel gemeldet – schließlich wolle sie nicht nur zu Hause herumsitzen. „Es sind schon viele junge Leute unter den Kunden“, erklärt die Frintroperin, während sie die letzten Gläser mit Kapern verteilt.
Kurz hält sie inne und sagt: „Manche Menschen brauchen einfach Hilfe.“