Essen. Im Essener Stadtteil Altendorf haben sich auch zwei Gemeinden in einem Offnenen Brief gegen eine weiteres Wohnheim für Flüchtlinge ausgesprochen. Die Meinungs-Äußerung wird von Kirchenvertretern und Gläubigen kritisiert. Und zwar deutlich.
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, heißt es in der Bibel. Wie weit diese Nächstenliebe geht, darüber gibt es in der christlichen Kirche durchaus unterschiedliche Auslegungen. Einig sind sich Katholiken und Protestanten indes darin, dass man Bedürftigen Asyl gewährt.
In Altendorf scheint dieses Dogma in den Wochen vor Weihnachten nicht mehr zu gelten. Die evangelische Lutherkirchengemeinde und der Gemeinderat der katholischen Kirchengemeinde St. Mariä Himmelfahrt haben, in ökumenischer Eintracht, einen Brief des „Runden Tisches Altendorf“ mitunterzeichnet. In dem spricht sich dieser gegen ein Übergangswohnheim in der ehemaligen Markscheide-Schule aus.
Deutlich Positionierung zweier Kirchengemeinden
Dass sich neben Bürgerschützen und Chor auch zwei Kirchengemeinden so deutlich positionieren, verwundert. „Die Synoden haben deutlich gemacht, dass es christliche Aufgabe ist, Flüchtlinge aufzunehmen“, sagt beispielsweise Kathrin Richter, Vorsitzende von Pro-Asyl und engagierte Christin. „Mich hat zudem die Wortwahl sehr erschrocken. In dem Offenen Brief gibt es gefährliche Formulierungen, wie ,zu uns strömende, hilfsbedürftige Flüchtlinge’“, findet sie.
„Gemeinde mit enormem Einsatz für Migranten“
Pfarrer Hans Strohschein aus der evangelischen Lutherkirchengemeinde Essen-Altendorf weist darauf hin, „dass unsere Gemeinde nicht nur den Brief unterzeichnet, sondern der Stadt Alternativ-Immobilien zur Markscheideschule aus ihrem eigenen Besitz angeboten hat. Inwieweit diese Immobilien geeignet sind, wird von der Stadt geprüft.“
Stohschein weiter: „Unsere Gemeinde hat in den letzten 30 Jahren einen Mitgliederschwund von über 60 Prozent hinnehmen müssen. Trotzdem unterhalten wir weiterhin drei Kindergärten. Die wenigsten Kinder sind evangelisch. Hier leistet unsere Gemeinde einen enormen Einsatz für Migrantenfamilien.“
Auch Kirchenvertreter überrascht das Bekenntnis aus Altendorf. „Ich weiß, dass unsere Kollegen dort viel tun und auch in einer besonderen Situation sind. Aber ich bin schon zusammengezuckt“, sagt Pfarrerin Dagmar Kunellis, Vorsitzende des Beirats für Flüchtlingsfragen und Migranten im Kirchenkreis Essen. Sie ist Pfarrerin in der evangelischen Gemeinde Bedingrade-Schönebeck, sitzt beim Übergangswohnheim in Frintrop am Runden Tisch und erlebt dort, wie viele Anfangsbedenken nach und nach verschwinden. „Die Meinung aus Altendorf ist keine Mehrheitsmeinung in der evangelischen Kirche und vielleicht auch nicht grundsätzliche Stimmung in der Gemeinde des Stadtteils“, glaubt Dagmar Kunellis.
"Runder Tisch Altendorf"
Dort, im Stadtteil, arbeiten Vertreter der Kirchengemeinden am „Runden Tisch Altendorf“ mit. „Sie haben das so entschieden. Auch nicht falsch, wie ich finde“, sagt Pfarrer Hermann Walter aus dem Presbyterium der Lutherkirchengemeinde. „Es gibt sicher unterschiedliche Meinungen in der Gemeinde“, sagt Walter zudem.
In der katholischen Kirche wird die Meinungsäußerung des Gemeinderats von St. Mariä Himmelfahrt zur Kenntnis genommen. Das Bistum wollte sich auf Anfrage nicht äußern und verweist auf die Unabhängigkeit der gewählten Laienvertretung. „Ich finde, der Brief und die Meinung sind einfach unchristlich“, ärgert sich dagegen ein Gläubiger aus St. Mariä Himmelfahrt.